Mavis
Mein Blick folgte seinem gelassenen Schritt, als er sich von mir entfernend durch die mittlerweile voller gewordene Bar in Richtung der Tür bewegte, um einen Augenblick später zu verschwinden. Mein stark pochendes Herz machte mir bewusst, wie bedeutsam sich seine Worte anfühlten und wie viel Gewicht in ihnen lag. Als hätte ich die wichtigste Entscheidung meines Lebens zu treffen. Eine Erkenntnis, die mich so sehr unter Druck setzte, dass ich mich wie erstarrt fühlte.
Blake hatte es mir deutlich gesagt: Egal, was passierte und wie ich mich entscheiden würde, er würde mir etwas antun, weil ich mich ihm widersetzt hatte. Das vorstellbar Schlimmste. Wenn nicht an diesem Abend, dann in einer anderen absehbaren Zeit...
Schlagartig konnte ich spüren, wie meine Gedanken destruktiver wurden. Sie schweiften zu dem Punkt, wo sie in der Vergangenheit bereits einige Male waren: in Gravecliff und als ich die Nachricht über Phoebes Tod bekam. Ich wusste schon immer, dass es eine ganz einfache Lösung für all das Leiden gab. Eine Lösung, mit der ich diese anstehenden Konsequenzen umgehen konnte und durch die ich die Gewissheit hatte, die Konsequenzen niemals erleben zu müssen. Eine Gewissheit, Blake nie wieder sehen zu müssen. Die Vorstellung und Fantasie, ein letztes Mal die Person zu sein, die die Macht über mein Leben und somit auch über meinen eigenen Tod hatte, war tröstend.
Genauso schnell, wie mir diese idealisierte Vorstellung von meinem Abgang aus diesem Leben gekommen war, wurde sie auch wieder von der existierenden Realität zerstört. Das Zeitfenster, in dem ich es tun konnte, war klein. Zu klein. Es war beinahe Mitternacht, und ich musste damit rechnen, dass ich Blake spätestens am nächsten Tag, womöglich sogar schon vor Sonnenaufgang, wiedersehen würde. Ob in seinem Büro oder unangekündigt irgendwo anders, wo ich ihn nicht erwartete. Es würde mich nicht wundern, wenn in dieser Bar wieder jemand von seinen Leuten saß und mich beobachtete. Zu groß war die Gefahr, dass er es erfahren würde, wenn ich nun direkt zur nächstgelegenen U-Bahn-Station gehen würde, um mich vor einen Zug zu schmeißen. Auch wenn es schmerzhaft war, musste ich mir eingestehen, dass ich die anstehenden Konsequenzen dieser Nacht nicht vermeiden konnte.
Dieser Gedanke sorgte dafür, dass es mir möglich war, mich aus meinem tranceartigen Zustand zu lösen und von dem Hocker aufzustehen, auf dem ich bis dahin saß. Nachdem ich nach meiner Tasche gegriffen hatte, lief ich mit leicht wankendem Schritt ebenfalls durch die Bar. Dabei spürte ich einige verwirrte Blicke auf mir, während ich fast in Richtung der Tür stolperte.
Ein frostiger Kältestoß kam mir entgegen, als ich die Tür der Bar öffnete und hinaus auf die leere Straße trat. Eine Kälte, die mit der Tiefe der Nacht kam und meinen leicht bekleideten Körper frieren ließ. Erst durch den Wind spürte ich die Hitze, die mir durch den Alkohol ins Gesicht gestiegen war und meine Wangen leicht glühen ließ. Schwer atmete ich ein, als ich Blake nach einigen Sekunden aus dem Augenwinkel, ein paar Meter von mir entfernt, sah. Sein ernster Blick war auf mich gerichtet, und trotz des Abstands und des schwachen Lichts erkannte ich die subtile, aber dennoch sichtbare Zufriedenheit auf seinem Gesicht. Er wusste, dass ich mich dafür entscheiden würde, mit ihm zu gehen, auch wenn mein Grund dafür ein anderer war, als er vermutlich ahnte.
Nachdem ich eine Weile wie versteinert auf der Stelle verharrt hatte, regte ich mich endlich und machte langsam ein paar kleine Schritte auf ihn zu. Mit jedem Schritt, den ich tat, und je näher ich ihm kam, desto stärker spürte ich die Anspannung, die sich durch meinen Körper zog und meine Beine zittern ließ.
Erneut, fast schlagartig, blieb ich stehen, als ein schwarzes, anfahrendes Auto zeitgleich unsere Aufmerksamkeit auf sich zog. Es fuhr vor ihn an den Straßenrand und machte dort Halt. Blake öffnete die hintere Tür des Wagens, aber statt einzusteigen, machte er einen Schritt zur Seite, bevor er seinen Blick wieder auf mich richtete. Ein wartender und zugleich auffordernder Blick, der mir signalisierte, dass dieser Moment der letzte war, um meine endgültige Entscheidung über den Verlauf dieses Abends zu treffen.
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Teen Fiction{2. Teil der Preposition-Trilogie} Mavis und Phoebe Prescott - zwei Schwestern, die aufgrund ihrer tragischen Familiengeschichte unzertrennlich scheinen. Bis zu dem Tag, an dem Phoebe sich in den falschen Kerl verliebt und auf die schiefe Bahn gerät...