36. Kapitel

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Blake

„Hat der Wirtschaftsfutzi schon einen Terminvorschlag geschickt?", fragte ich Carter. Mein Blick wanderte flüchtig über die Unterlagen mit seinen Referenzen, die Carter mir bereits gestern Abend gegeben hatte. Ich wusste, dass er die Papiere gründlich durchgesehen hatte, sonst hätte er mir den Typen nicht als möglichen Buchhalter für den Laden vorgeschlagen.

„Donnerstag in zwei Wochen", antwortete er knapp und nickte kurz. Wie immer, wenn er in meinem Büro war, saß er auf dem Sessel gegenüber meines Schreibtisches. Seine Aufmerksamkeit war auf mich gerichtet, während ich die einzelnen Blätter durchging. Obwohl ich größtenteils darauf vertraute, dass er in der Lage war, einen geeigneten Buchhalter zu finden, wollte ich mir selbst ein kurzes Bild von dem Kerl machen, den ich hereinlassen würde.

„Dann bestätige ihn", sagte ich.

„Das ist der Donnerstag, an dem wir in Manchester sind", entgegnete er, woraufhin ich meinen Blick zu ihm aufrichtete. „Das Event hast du auf dem Schirm?"

Fuck... Manchester hatte ich beinahe vergessen...

„Wie könnte ich das nicht? Es ist das wichtigste Geschäft des Jahres", erwiderte ich selbstverständlich. Jedes Jahr fand ein Event in Manchester statt, bei dem wir einen unserer größten Abnehmer trafen – ein Russe, mit dem wir bereits seit ein paar Jahren arbeiteten.

„Gut", sagte Carter und verkniff sich ein Schmunzeln. Der Wichser hatte mich durchschaut, aber tat sich selbst den Gefallen und kommentierte es nicht weiter. „Wie auch letztes Jahr wird es im Lowry Hotel stattfinden."

„Na wunderbar", antwortete ich. Der Geschäftsführer des Hotels war geschmiert, was garantierte, dass das Event ohne Probleme verlaufen würde – keine ungeplanten Überraschungen, keine störenden Zwischenfälle.

Ein vibrierendes Geräusch und das Aufleuchten des Displays rissen Carters Aufmerksamkeit auf sich. Sein Blick fiel auf sein Telefon, das er zuvor am Rand meines Schreibtisches abgelegt hatte, als er in mein Büro gekommen war. Seine Miene verfinsterte sich schlagartig, als er danach griff.

„Entschuldige", sagte er knapp, woraufhin ich nickte und er den Anruf entgegennahm. Es amüsierte mich zu sehen, wie seine Miene Bände sprach, als die Person auf der anderen Seite der Leitung zu sprechen begann. „Was genau stand denn in meiner Nachricht?", fragte er. Der Ton in seiner Stimme war rau. „Ich würde nicht 20:00 Uhr sagen, wenn ich nicht da wäre. Ich bin bei Blake im Büro. Hol sie dir ab", fügte er hinzu und legte dann auf. Durch die Art, wie er sprach, war seine Genervtheit zu erkennen, weshalb ich mir denken konnte, wer ihn gerade angerufen hatte..

Bevor ich eine sarkastische Bemerkung über seine freundliche Art, den Anruf zu beantworten, machen konnte, klopfte es kurz an der Tür. Zeitgleich wendeten wir unsere Aufmerksamkeit in die Richtung. Langsam öffnete sich die Tür einen Spalt, und wie erwartet, stand Mavis im Türrahmen. In der Sekunde, in der sie zu uns in den Raum hineinspähte, traf ihr Blick meinen. Ein angespannter Blick, der ihre innere Unruhe und Verzweiflung verriet, die sie mitbrachte. Ihre Körperhaltung war verhalten, weshalb sie zögerte, weiter in den Raum hineinzutreten. Schlagartig riss sie ihre Aufmerksamkeit von meinen Augen los und sah rüber zu Carter, bei dem sie krampfhaft verharrte.

Genau wie ich, betrachtete Carter sie für einen kurzen Moment stumm. Dann erhob er sich kommentarlos von seinem Sessel und lief durch den Raum zum Safe. Während sie so dastand und ihm mit ihrem Blick folgte, wanderten meine Augen über sie. Über ihr Gesicht, das sie die ganze Zeit von mir abgewendet ließ, um nicht Gefahr zu laufen, erneut meinen Blick zu treffen. Dennoch wusste ich, dass sie ihn auf sich spürte. Es war offensichtlich, wie unangenehm ihr diese Begegnung nach letzter Nacht war und wie sie sich deshalb zwang, kein weiteres Mal zu mir rüberzusehen.

Mit ernstem Blick und der Ware in der Hand, die Carter aus dem Safe genommen hatte, lief er gelassen zu ihr zurück. „Keine Fehler, alles klar?", sagte er bestimmt, als er vor ihr stehen blieb und ihr das kleine Päckchen reichte. Er war angepisst auf sie, weil sie den gestrigen Job nicht gemacht hatte. Vermutlich hätte er ihr dafür am liebsten den Arsch aufgerissen..

Ohne etwas zu erwidern, blickte sie auf die Drogen und griff danach. Statt sie allerdings loszulassen, hielt er sie weiter fest, weshalb sie ihn nun wieder ansah. Sein Gesichtsausdruck signalisierte ihr, dass er eine Antwort von ihr wollte.

„Ja", entgegnete sie kurz und nickte einmal.

Er ließ das Päckchen los, und Mavis wendete sich von ihm ab, um aus dem Büro zu gehen und die Tür langsam hinter sich ins Schloss zu ziehen. Daraufhin setzte er sich etwas nachdenklich wirkend zurück auf seinen Sessel. Ein Moment der Stille verging, bevor er seine Aufmerksamkeit wieder auf mich richtete...

„Wie war es gestern? Es scheint ihr gut zu gehen", sagte er. Ich arbeitete schon eine ganze Weile mit Carter, und bereits als ich ihn einstellte, wusste ich, dass der Typ nicht ansatzweise so dumm war wie der Großteil der Menschen, die in diesem Business arbeiteten. Es hätte mich gewundert, wenn er nicht ebenfalls bemerkt hätte, dass Mavis meinen Blick vermieden hatte.

Eine Frage, die ich nicht direkt beantwortete. Physisch war sie offensichtlich unversehrt, aber ihr Gesicht zeigte, dass es ihr nicht gut ging. Die Situation hatte ihr zugesetzt, und ich war mir sicher, dass ihre Gedanken sie deshalb bereits zermürbten. Verständlich. Ich hatte sie berührt, und ihr hatte es gefallen, auch wenn sie es nicht zugab.

Ein Schweigen meinerseits, das Carter bereits interpretierte...

„Bitte sag mir nicht, dass du sie gevögelt hast", fragte er und schüttelte langsam, wie in Zeitlupe, seinen Kopf. 

„Nicht dass es dich etwas anginge, aber nein, ich habe sie nicht gevögelt", antwortete ich ernst. Ja, Carter war meine rechte Hand. Dennoch war er keine Person, die ich bezüglich meiner Entscheidungen konsultieren musste.

„Gerade hast du sie angesehen, als hättest du es getan", entgegnete er wieder. Ein Grund, warum er so gut in seinem Job war: Er hatte seine Augen überall, weshalb ihm selten etwas entging. Auch Dinge wie diese.

„Ich habe drüber nachgedacht, sie zu vögeln", antwortete ich daraufhin ehrlich. Es war offensichtlich, dass Mavis heiß war. Ihre Attraktivität entging niemandem, der sie sah. Auch Carter nicht. Dies war schließlich der Grund, warum ich sie eingestellt hatte. Sie zu vögeln wäre nur ein weiterer, kleiner Vorteil.

„Ist dir die Situation mit ihr etwa noch nicht kompliziert genug?", fragte er erneut. Auch wenn ich meistens komplett darauf vertraute, dass alles, was er mir sagte, dem Geschäft diente, hatte ich bei dieser Sache ein anderes Gefühl. Wie ich ihm schon gestern mitteilte, wusste ich, dass ein Teil in ihm sie mochte, auch wenn er nie besonders freundlich zu ihr war. Ich vermutete, dass es auch diesmal dieser Teil in ihm war, der es als nicht sinnvoll empfand, dass ich sie fickte. Weil sie noch mehr darunter leiden könnte, als sie es hier ohnehin schon tat, und weniger wegen der Kompliziertheit der Situation.

„Keine Sorge, da ist noch Luft nach oben", antwortete ich nun mit einem entspannten Lächeln auf den Lippen, während ich mich in meinem Sessel zurücklehnte. Ich spielte gerne, und je komplizierter das Spiel, desto besser...

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