Sora lag auf dem Boden ihrer Zelle und lauschte dem tropfenden Wasserhahn ihres Waschbeckens. Die meisten Menschen wären von diesem Geräusch wahrscheinlich genervt, aber auf Sora wirkte es beruhigend.
In ihren letzten Gefangenschaften besaß sie weder Wasserhahn noch Toilette in ihren Zellen. Das Tropfen bedeutete also, dass sie in Gefangenschaft der Werwölfe war.
Das war zwar nicht schön, aber zumindest besser als bei den Vampiren. Werwölfe besaßen zumindest etwas mehr Mitgefühl.
Neben ihr in der Zelle befand sich Annie, eine junge Vampirin, deren Blut Sora am leben hielt.
Die Tür wurde aufgerissen und Matt betätigte den Lichtschalter, damit sich die Neonröhren langsam erhellten.
Sora blinzelte mehrfach und versuchte sich an das unnatürliche Licht zu gewöhnen.
"Aufstehen. Es ist so weit.", begrüßte Matt sie wenig freundlich und Sora raffte sich mühsam auf. Sie vermisste das Tageslicht, sie konnte nicht mal sagen, ob es Tag oder Nacht war.
Sie hatte komplett die Orientierung verloren und wusste nicht einmal mehr wie lange sie schon bei den Werwölfen war.
Jeder Tag war gleich und bestand aus Blut spenden und schlafen. Vielleicht spendete sie auch mehrere Male am Tag Blut, genau konnte sie das nicht sagen.
Matt führte sie zu einem Stuhl und fesselte ihre Arme und Beine. Man hatte auf ihre Selbstmordversuche reagiert und ließ ihr nun keine Möglichkeit mehr.
Sie kannte das Risiko dabei erwischt zu werden, aber alles andere war keine Option. Sora hatte aufgegeben und ihren Lebenswillen verloren. Seit ihrem 18. Lebensjahr war sie nun schon in Gefangenschaft.
Wie alt sie nun war? Sie konnte es nicht genau sagen. Aber es waren schon einige Jahre seitdem vergangen. Anfangs hatte sie noch Strichlisten geführt, aber als sie in Fensterlose Räume kam, konnte sie nicht mehr sagen, wann ein Tag vorbei war.
Matt legte ihr einen Zugang in die Armbeuge und verklebte ihn dann. Nun hieß es abwarten, bis ein Liter ihres kostbaren Blutes in den Beutel gelaufen war.
Sora spürte den Einstich schon gar nicht mehr. Generell war sie sehr abgestumpft, was Schmerzen anging. Zu viel hatte sie schon in ihren jungen Jahren erlebt, da war ein Nadelstich nichts gegen.
Das Blut von Annie würde ihren Blutverlust anschließend während ihres Schlafes wieder ausgleichen. Danach konnte es dann wieder von vorne losgehen.
Sie hasste den Geschmack von Vampirblut. Es war mit Abstand das widerlichste, was sie je zu sich genommen hatte. Sie hasste alles daran. Der Geruch, die Konsistenz, der Geschmack, die Temperatur und vor allem die Wirkung. Wieso hatte das Blut nur die Wirkung sie immer von der Schwelle des Todes zurückzuholen.
Sie wünschte sich doch nur endlich Frieden und den gab es für sie leider nur im Tod.
Anfangs hatte sie noch gehofft, dass sie wieder frei sein könnte, aber ihr Blut wirkte dafür zu anziehend auf Vampire und leider gab es von denen viel zu viele.
Sie hasste alle diese Wesen aus tiefstem Herzen. Vampire waren die Schlimmsten, kurz danach kamen die Druiden. Aber selbst die Werwölfe wollten ihr Blut als Waffe gegen die Vampire.
Immer wieder versank Sora in ihren düsteren Gedanken und verfluchte jedes magische Wesen.
Matt füllte ihr Blut schweigsam in kleine Phiolen ab und beachtete sie aber nicht weiter. Niemand hielt es für nötig mit ihr zu reden, es war als wäre sie nicht einmal mehr ein Mensch. Man behandelte sie wie ein lebendes Versuchsobjekt und es war egal, wie es ihr dabei ging.
Ein Knall ertönte und die Wände fingen an zu vibrieren. Ängstlich sah Sora zu Matt, der alarmiert aufsprang und tief knurrte.
Sie kannte diese Situation. Schon oft hatte Sora das erlebt. Irgendein anderer Clan hatte von ihrem Aufenthaltsort erfahren und wollte sie nun für sich beanspruchen. So hatte Sora schon einige Male ihre Peiniger gewechselt. Manchmal schaffte man es sie zu verteidigen und manchmal wurde sie einfach mitgenommen.
Für Sora machte es keinen Unterschied, wobei sie die Werwölfe eigentlich lieber hatte. Sie behandelten sie zwar nicht gut, aber immerhin wurde sie hier nicht gefoltert. Sie gestanden ihr ein gewisses Maß an Menschenwürde zu und sie hatte sogar eine eigene Toilette und ein Waschbecken. Das wollte sie nicht so schnell wieder verlieren. Sie war noch gerade erst ein paar Wochen oder so hier.
Hoffentlich kamen gleich keine Vampire zur Tür hinein. Vampire besaßen keine Seele mehr, sie waren allesamt böse und korrumpiert. Werwölfe hatten zumindest menschliche Seelenverwandte, die auf ihre unmenschliche Seite einwirkten.
Das machte zumindest die verbundenen Werwölfe umgänglicher. Matt hatte eine Seelenverwandte. Auch wenn er gegenüber mir nicht gesprächig war, hatte ich das aus Gesprächen von Anderen belauscht.
Matt verwandelte sich nun gänzlich in einen Wolf und positionierte sich zwischen mir und der Tür.
Fasziniert beobachtete Sora die Verwandlung, bei der sich innerhalb von Sekunden die Knochen verbogen, bis aus einem Menschen ein Wolf wurde und das ganz ohne Vollmond.
Das hatte sie zuvor noch nie selbst gesehen. Der Werwolf war deutlich größer, als ein normaler Wolf, aber genauso hübsch.
Die junge Frau hatte schon immer Hunde geliebt und dieser Werwolf sah aus wie ein grauer, kuschliger Hund.
Sie hatte das Bedürfnis durch sein Fell zu streichen, aber ihre Hände waren noch immer an den Stuhl gefesselt.
Unfähig etwas anderes zu tun, beobachtete sie die aufspringende Tür und blickte in die braunen Augen eines Vampirs.
Er hatte die spitzen, weißen Zähne gefletscht und zögerte keinen Moment ehe er auf Matt losging. Sora konnte die blitzschnellen Bewegungen mit ihren Augen kaum erfassen. Im einen Moment stand er vor Matt und dann hatte er ihn auch schon von hinten umfasst und seinen Brustkorb zusammen gequetscht.
Ein schreckliches Jaulen erklang und Matt ging röchelnd zu Boden. Der Kampf hatte keine zwei Sekunden gedauert und nun stand niemand mehr zwischen ihr und dem braunhaarigen Vampir. Er hatte ebenmäßige Züge und sah, wie für einen Vampir typisch, sehr gut aus.
Doch je schöner das Äußere, desto grässlicher das Innere eines Vampirs. Das hatte Sora bereits gelernt.
Vor ihr stand wohl ein Vampir der besonders schlimmen Sorte und auf ihren Armen bildete sich eine Gänsehaut, während der Vampir sich langsam an sie heran pirschte.
Er hatte eine ausgesprochen mächtige Aura und Sora musste sich zusammenreißen, ihre Augen nicht zusammen zu kneifen.
"Ich muss gestehen mit einem Mädchen hatte ich nicht gerechnet.", sagte der Vampir mit einer melodischen Stimme.
Was sollte sie darauf schon antworten? Hatte er etwa mit einem Tier gerechnet? Doch wo war da noch der Unterschied?
Sie wurde wie ein Masttier gehalten und gequält.
"Verzeih mir. Mein Name ist Matteo. Es freut mich dich kennenzulernen. Dann bringen wir dich doch mal weg von diesem schrecklichen Ort."
Sora verzog weiter keine Miene und verschloss ihre Gefühle hinter einer eisernen Maske.
Es machte keinen Unterschied, ob sie freundlich war, oder nicht. Die Vampire würden jedenfalls zu ihr nie freundlich sein. Das war alles nur Fassade.
Sie war für die Übernatürlichen eine Waffe und mehr nicht. Das hatte man sie oft genug spüren lassen.
Ihr Blut war das, was alle Welt begehrte. Denn ihr Blut konnte Vampire heilen und zurück in Menschen verwandeln.
Damit hatte die Natur eine Waffe gegen die fast unsterblichen Vampire der dritten, zweiten und vielleicht sogar ersten Generation erschaffen.
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Broken Mate - Der Heilungsfluch
VampireSeit ihrem 18. Geburtstag ist Soras Leben ein Albtraum. Gefangen und gefoltert von übernatürlichen Kreaturen, die ihr Blut begehren - Blut, das die Macht besitzt, Vampire in Menschen zu verwandeln. Gebrochen und ohne Hoffnung wünscht sie sich nur...