Kapitel 6

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Annie blieb im Auto, weil sie die direkte Sonne meiden musste und das missfiel ihr eindeutig. Sie hatte sich einige genervte Kommentare nicht verkneifen können, aber wenn es nach Sora gegangen wäre, hätten sie ruhig weiterfahren können.

Sie hatte sich damit abgefunden, dass keiner auf ihre Bedürfnisse Rücksicht nahm. Es kam ihr sogar falsch vor, dass Wotan genau darauf zu achten schien.

Sie setzten sich an einen Tisch in der hinteren Ecke und Wotan reichte ihr die Karte.

Zögernd griff sie danach und ließ ihren Blick darüber schweifen.

War das eine Falle? Sie traute Wotan und seinem Bruder kein Stück.

"Was möchtest du bestellen?", fragte Wotan nach einer Weile.

"Mir egal."

Sora wusste nicht, was sie bestellen durfte und erwartete eine Strafe bei der falschen Auswahl. Deshalb ließ sie es lieber ganz bleiben.

"Wenn du dich nicht entscheiden kannst, müssen wir wohl die ganze Karte bestellen.", sagte Wotan gewohnt schmunzelnd.

Schockiert blickte Sora ihn an und warf nochmal einen Blick auf die Karte, während die Kellnerin kam.

Lächelnd nahm sie die Bestellungen der Männer auf während sie genüsslich auf ihrem Kaugummi kaute und ihren Ausschnitt gekonnt in Szene setzte.

Ohne Zweifel waren die beiden Brüder ausgesprochen attraktiv, aber Sora hätte nichts egaler sein können.

Sie sehnte sich nicht mehr nach Liebe. Sie hatte sich einmal von einem schönen Gesicht täuschen lassen und das würde ihr nicht noch einmal passieren.

Der Blick der Kellnerin richtete sich nun auffordernd aus Sora und sie musste sich räuspern.

"Pancakes und Wasser, bitte."

Dann verschwand die Kellnerin in die Küche und sie versuchte die Freude über das leckere Essen zu verbergen.

Sie sollten nicht glauben, dass Sora ihnen dankbar war. Denn das war sie nicht. Sie war noch immer eine Gefangene.

Ihre Begleiter hatten nur einen Kaffee bestellt, während Sora die ganze Portion Pancakes verdrückte. Die hatte noch nie sowas leckeres gegessen und genoss jeden Bissen.

"Ich zahle schon mal.", sagte Wotan und Sora sah ihn überrascht an.

Vampire die zahlten und sich nicht einfach nahmen, was sie wollten, war ihr neu.

Der Bruder stand ebenfalls auf und verschwand, während Sora die letzten Reste aß.

Dann wartete sie. Oder erwarteten die Vampire, dass sie selbst zum Auto kam? Sie war es nicht gewohnt mit so vielen Freiheiten umzugehen.

Ein paar Minuten später kehrte Wotan zurück und sah sie überrascht an.

"Komm mit.", forderte er freundlich.

Sora stand auf und folgte ihm zurück zum Auto, wo bereits Taric und Annie drin saßen.

Sie setzte sich auf ihren Platz und dann fuhren sie auch schon weiter.

"Du hast gar nicht versucht zu fliehen.", stellte Wotan fest.

"Wieso sollte ich auch?", antwortete Sora schnippisch.

Er tat ja gerade so als hätte sie eine Wahl, aber die hatte sie nicht.

"Naja ich dachte du würdest die Freiheit bevorzugen. Aber vielleicht magst du uns einfach lieber."

Sora lachte sarkastisch auf. Was bildete der sich ein.

"Mit meinem Blut gibt es keine Freiheit. Der Duft zieht Vampire an, wie Fliegen. Es würde keinen Tag dauern und ich wäre wieder in Gefangenschaft.", murmelte sie und starrte aus dem Fenster.

Die Hoffnung auf Freiheit hatte sie schon lange aufgegeben. Mit ihrem 18. Geburtstag hatte ihr Blut die volle Wirkung entfaltet und es hatte gerade mal zwei Stunden gedauert, bis sie in ihre erste Gefangenschaft geraten war.

Nach einer Weile kamen sie dann endlich vor einer prächtigen Stadtvilla an und stiegen aus. Wotan wurde direkt von einer braunhaarigen Vampirin in Beschlag genommen, die ihn überschwänglich küsste.

Deshalb nahm sich der schweigsame Bruder ihrer an und führte sie die Treppe hoch.

In der Eingangshalle wimmelte es nur so vor Vampiren, die sie alle anstarrten. Bei ein paar stießen sogar die Fangzähne durch die Lippen und Sora schloss automatisch weiter zu dem schwarzäugigen auf.

Das würde hier ja lustig werden mit so vielen Vampiren.

Eine Gänsehaut bildete sich auf Soras Haut und sie griff unwillkürlich an das Pflaster an ihrem Hals.

"Dir wird hier niemand etwas tun.", sagte der Vampir vor ihr erstaunlich sanft.

Sora schnaubte belustig. Das konnte er wohl nicht ernst meinen.

Als sie in der  dritten Etage ankamen hielt er vor einer hölzernen Tür.

Das Haus schien generell schon sehr alt zu sein und bestand größtenteils aus Holz mit vielen fantasievollen Schnitzereien.

"Das ist dein Zimmer. Meins ist direkt rechts neben an. Melde dich ruhig, wenn du etwas brauchst."

Sora nickte und öffnete dann die Tür.

Sie hatte schon geglaubt, dass ihr letztes Zimmer paradiesisch war, aber dieses übertraf nochmal alles, was sie je gesehen hatte.

Es gab einen großen Schlafsaal mit Schreibtisch, Sitzecke und verschiedenen Schränken. Dann gab es an der linken Wand zwei Türen. Die eine führte in ein edles Marmorbad und die Andere in einen begehbaren Kleiderschrank.

Sora hatte sowas noch die gesehen und der ganze Prunk überforderte sie. War das etwa wieder eine Foltermethode? Zeigten sie ihr jetzt das Paradies, damit sie wusste, was sie niemals haben würde?

Unschlüssig stand sie im Raum und hatte Angst, dass alles verschwand, wenn sie sich bewegte.

Nach Minuten gab sie sich einen Ruck und Schritt dann zu der Balkontür.

Der Balkon führte rundherum ums Haus und vor ihr erstreckte sich hinter dem Garten eine weitere Häuserreihe und im Hintergrund die Skyline der Stadt, die sie so hasste.

Die Stadt, die ihr nur Leid zugefügt hatte.

"Wunderschön, oder?"

Sora hatte gar nicht mitbekommen, dass der mysteriöse Bruder ebenfalls rausgetreten war. Vampire besaßen einfach die lästige Fähigkeit sich immer anzuschleichen.

Sora würde vorsichtig sein müssen, wenn sie ihre Pläne in die Tat umsetzen wollte.

Schnell versteckte sie ihre Emotionen und ging wieder in ihr Zimmer zurück. Er sollte nicht denken, dass dieses Zimmer ihre Gefangenschaft rechtfertigte.

Dann schloss sie die Balkontür und setzte sich aufs Bett und ging ihre Optionen durch.

Broken Mate - Der HeilungsfluchWo Geschichten leben. Entdecke jetzt