Kapitel 9

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Zaghaft öffnete Sora die Tür. Sie konnte Taric überhaupt nicht einschätzen. Erst war er so abweisend zu ihr gewesen und jetzt wirkte er fast schon fürsorglich. Das verwirrte die junge Frau zutiefst.

"Die Angestellten haben schon Feierabend, aber ich bin auch kein schlechter Koch.", sagte Taric mit einem leichten Lächeln.

Sora wusste nicht was sie darauf erwidern sollte und nickte einfach nur.

Sie gingen die Treppen nach unten und ein paar Gänge weiter befanden sie sich schon in der Küche.

Unterwegs begegneten sie keinem. Sora konnte nicht sagen, ob das ein Anweisung von Taric war, oder ob einfach keiner Zuhause war. Dennoch war sie froh darüber. Alles fühlte sich noch so unwirklich an und sie hatte Angst, dass sie jeden Moment zusammenbrach.

Ihre Gefühle waren außer Kontrolle und sie versuchte sich an der Rache festzuklammern, um nicht den Verstand zu verlieren.

"Was magst du denn gerne?", fragte Taric freundlich.

Sora überlegte. Was mochte sie überhaupt? Das hatte sie noch nie jemand gefragt. Im Heim hatte es immer einen festen Essensplan gegeben, selbst an ihren Geburtstagen und in der Gefangenschaft hatte das erst Recht niemanden interessiert.

"Ich... weiß nicht.", antwortete sie zaghaft.

"Wie das weißt du nicht? Was hast du dir denn am liebsten immer gekocht?", fragte Taric belustigt und lächelte sie.

Soras Miene verfinsterte sich. Er machte sich über sie lustig und ihr war definitiv nicht zum Lachen zur Mute.

"Ich durfte noch nie selbst kochen und einen Wunsch äußern erst Recht nicht.", antwortete sie wütend.

Daraufhin verfinsterte sich nun Tarics Blick und sein Lachen erstarb.

"Dann bringe ich es dir bei. Was wolltest du schon immer mal ausprobieren?", fragte er entschlossen.

Sora überlegte und dachte an ihren Lieblingsfilm Ratatouille.

"Ich wollte schon immer wissen, wie Ratatouille schmeckt."

"Ratatouille? Wie aus dem Disneyfilm mit der Ratte?"

"Genau der. Das ist mein Lieblingsfilm."

Dabei erhellte sich ihr Gesicht und sie schwelgte in den wenigen schönen Erinnerungen aus ihrer Kindheit. Einmal im Monat hatte es einen Kinoabend im Heim gegeben und da wurden immer Disneyfilme abgespielt. Ratatouille hatte Sora dabei am besten gefallen und sie hatte oft von dem Essen geträumt.

"Dann machen wir das. Ich habe eine Zeit lang in Frankreich gelebt und kenne das beste Ratatouille-Rezept."

Dann griff er die ersten Zutaten aus den Körben und machte sich ans Schälen. Sora beobachtete ihn mit leuchtenden Augen und merkte, wie ihr Magen bereits zu Grummeln anfing.

"Wie kann ich helfen?", fragte sie unsicher.

"Setzt dich einfach hin und erzähl mir etwas von dir. Du bist erschöpft. Kochen bringe ich dir ein anderes Mal bei. Für heute lass dich einfach bekochen."

Sora setzte sich uns stutzte. 

"Es gibt nicht wirklich was über mich zu erzählen. Das wichtigste weißt du schon."

"Aber das verrät mir ja nichts über deine Persönlichkeit, deine Interessen oder Hobbýs. Wieso haben deine Eltern dir zum Beispiel nie das Kochen beigebracht?"

Sora zögerte. Sollte sie diesem Vampir so viele privaten Dinge erzählen? Andererseits, was sollte er mit diesen Informationen anfangen? Sie war schon seine Gefangene.

Außerdem behandelte er sie bisher gut und sie wollte nicht, dass sich das änderte. Was hatte sie also zu verlieren? Jedoch wusste Sora das zu genau. Sie wollte ihn nicht zu Nahe an sich heran lassen, damit er sie nicht verletzen konnte. 

Vampire waren durchtrieben und liebten das Spiel. Sie wogen ihr Opfer in Sicherheit, um sie dann noch Härter zu treffen. Einmal hatte sie diesen Fehler begangen und einen Vampir zu Nahe an sich herangelassen. Das würde ihr nicht noch einmal passieren.

Aber war Taric nicht anders? Er wirkte ihr so vertraut und ehrlich.

Aber er war ein Vampir und denen konnte man nicht trauen.

"Weil ich keine Eltern habe.", antwortete sie einsilbig.

Taric hielt beim schneiden inne und blickte sie aus traurigen Augen an. 

"Das tut mir leid. Ich teile deinen Schmerz."

Sora schnaubte auf. 

"Es war nicht schmerzhaft, weil ich sie nie kennengelernt habe. Ich bin im Heim aufgewachsen.", erwiderte sie aufgebracht.

Er brauchte nicht so zu tun, als würde er sie verstehen. Niemand konnte ihren Schmerz verstehen, oder teilen.

"Trotzdem glaube ich, dass es für dich schmerzhaft war. Selbst wenn du sie nicht gekannt hast, haben sie ein Loch in deinem Leben hinterlassen, dass niemand füllen konnte. Du warst ganz alleine und niemand hat sich um dich gekümmert, oder gesorgt.", sagte Taric melancholisch.

Taric traf mit seinen Worten vollkommen ins Schwarze und Sora hatte all die Jahre einen starken Verlust gespürt, obwohl sie es sich nicht hatte eingestehen wollen. Sie war wütend auf ihre Eltern gewesen, dass diese sie nicht beschützt hatten. 

Tränen brannten in ihren Augen und sie krallte ihre Fingernägel in die Handflächen, bis Blut hervortrat.

"Was weißt du schon?!", fuhr sie Taric an.

Dieser kniete sich augenblicklich vor sie und griff nach ihrer Hand. Sora zuckte zurück, als seine warme Haut ihre berührte und wohlige Schauer durch ihren Körper sendete.

Sie entzog ihm ihre Hand und er respektierte das. Dennoch blickte er ihr stur in die Augen, bis sie seinen Blick erwiderte.

"Ich weiß mehr, als du denkst. Aber du hast jetzt mich. Du bist nicht mehr alleine und ich werde mich um dich kümmern und sorgen.", sagte Taric ernst, ohne jeglichen Spott in der Stimme.

Damit brach Soras letzte Widerstand und die Tränen flossen über ihre Wangen. Er begriff nicht, dass seine Worte sie mehr schmerzten, als dass sie ihr Sicherheit vermittelten. Die Worte rissen alte Wunden auf, denn er war nicht der Erste, der diese Worte nutzte.

Verzweifelt und wütend auf sich selbst stand Taric wieder auf und holte schnell etwas Küchenpapier für Sora.

Diese nahm es an und beruhigte sich langsam wieder. Stück für Stück verschloss sie ihre Erinnerungen und Emotionen hinter einer dicken Mauer und glättete ihre Gesichtszüge.

Das war das zweite Mal innerhalb einer so kurzen Zeit, dass Taric sie bei einem solchen Ausbruch erlebt hatte. Normalerweise hatte Sora gelernt, ihre Emotionen zu kontrollieren und niemanden durchblicken zu lassen. Aber Taric schaffte es immer wieder hinter die Mauer zu blicken.

Wieder spürte sie die Verbindung zu ihm und schüttelte sie dann wieder ab. Vampir. Er war ein Vampir.

Immer wieder wiederholte sie diese Worte, bis sie sich völlig beruhigt hatte.

Broken Mate - Der HeilungsfluchWo Geschichten leben. Entdecke jetzt