Kapitel 2

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Matteo öffnete vorsichtig die Schnallen an Soras Beinen und dann die an ihren Händen. Sie bedankte sich nicht, vermutlich ging es ihr bald wieder schlechter als hier. Wofür sollte sie da dankbar sein?

"Du bist wohl eher schweigsam.", stellte Matteo belustigt fest.

Doch Sora war nicht nach Lächeln zu mute. Sie hatte seit Ewigkeiten nicht mehr gelächelt oder gelacht. In ihrem Leben gab es keinen Grund mehr für Freude.

"Komm lass uns hier verschwinden."

Sora folgte ihm und scannte dabei ihre Umgebung nach einem scharfen Gegenstand ab, aber es lag keiner in Reichweite.

Noch hatte sie Vampirblut im Organismus, aber sobald dieses draußen war, könnte sie vielleicht einen neuen Versuch wagen. Die Vampire würden da vermutlich nicht drauf vorbereitet sein, wenn sie sich folgsam verhielt.

Matteo führte sie durch den Bunker und war darauf bedacht ihr die blutigen Leichen vorzuenthalten, aber Sora hatte schon weitaus schlimmeres gesehen. Sie empfand kein Mitleid mit ihren Entführern, auch wenn diese sie vielleicht ein bisschen besser behandelt hatten als die letzten.

Einige Treppen führten nach oben und dann konnte Sora zum ersten Mal seit Monaten wieder frische Luft atmen. Sie füllte ihre Lungen und genoss für einige Sekunden das Gefühl der Freiheit. Es würde immerhin nicht lange andauern.

Matteo führte sie zu einem Auto und hielt ihr die hinter Tür auf, damit sie einsteigen konnte.

Dann gesellte sich noch ein weiterer Vampir auf den Vordersitz und neben ihr nahm tatsächlich Annie platz.

"So sieht man sich also wieder.", sprach Annie zu Sora.

"Deine Vampire also?", fragte diese wiederum.

"Sie kamen um mich zu retten.", schwärmte Annie stolz.

Sora wünschte das würde der Wahrheit entsprechen, aber dann hätte man sie nicht verschont. Die Vampire wussten genau,  wer oder was sie war. Da machte sich Sora keine Illusion.

"Sie kann ja doch reden.", stellte Matteo belustigt fest.

Anscheinend hielt er sich für einen Scherzkeks, doch bei Sora stieß er da auf taube Ohren. Sie würde den Mund nur öffnen, wenn sie Informationen brauchte. 

Seltsamerweise hatte sie sich mit Annie verbunden gefühlt. Sie waren beide Gefangene gewesen und hatten ab und an miteinander geredet. Doch Sora machte sich nichts mehr aus menschlichen Beziehungen. Annie war ihr egal, es interessierte sie nur der Nutzen, den Annie ihr bieten konnte. 

Während der Autofahrt döste Sora dann immer wieder ein. Zwar hatte sie keinen ganzen Liter Blut verloren, aber sie hatte auch kein Vampirblut mehr zu sich genommen und fühlte sich dementsprechend schwach. 

Sie fuhren die ganze Nacht hindurch, bis der Sichelmond langsam wieder unterging. Dann hielten sie an einem einsamen Haus. Rund herum waren einige Maisfelder und ließen die große Farm gerade zu idyllisch wirken. 

Sora wurde ein Zimmer im zweiten Stock zugeteilt und sie staunte nicht schlecht über die vielen Möglichkeiten, die sich ihr dadurch boten.

Zum einen hatte sie ein eigenes Bad und konnte sich zum ersten Mal seit Ewigkeiten richtig duschen und zum anderen hatten die Vampire absolut nicht am Schirm, dass Sora versuchen könnte sich umzubringen. Sobald das Blut aus ihrem Organismus verschwunden war würde sie einfach aus dem Fenster springen können.

Ein Sprung in die Freiheit, wäre ein wirklich poetisches Ende für ihr grausames Leben.

Als Sora ihre langen, schwarzen Haare mit allen Produkten, die sie finden konnte wusch und anschließen sorgfältig die unzähligen Knoten aus ihren Haaren kämmte, dachte sie über ihr verkorkstes Leben nach. Was hatte sie früher getan, um ein solches Ende zu verdienen?

Als die Haare endlich wieder kämmbar waren, griff sie noch nach einer Schere und kürzte die kaputten Spitzen, sodass sie langsam wieder ansehnlich wurde.

Anschließend schlüpfte sie in den langen Bademantel und kehrte in ihr Zimmer zurück. Auf dem Beistelltisch hatte jemand ihr ein Tablett mit Essen hinterlassen und Sora stürzte sich gierig auf die Brötchen und den Käse. Es tat so gut wieder vernünftige Nahrung zu sich zu nehmen. Damals im Kinderheim hatte sie die Brötchen morgens gehasst und verschmäht, aber jetzt war es so, als hätte sie noch nie etwas besseres gegessen.

Sie genoss jeden Bissen und merkte schnell, dass ihr Magen schon voll war. Er musste sich erstmal wieder an die plötzliche Nahrung gewöhnen. Die Werwölfe hatten ihr zwar Essen gegeben, aber es war immer nur geradeso genug, damit sie überlebte.

Mit vollem Magen meldete sich wieder ihre Müdigkeit und sie schlüpfte in bereitgelegte, warme Schlafkleidung, die sie gegen die herbstliche Kälte schützte.

Dann riss Sora noch das Fenster auf und genoss den Blick auf die Sonne. So lange hatte sie auf die wärmenden Strahlen verzichten müssen. 

Sie legte sich in dem Doppelbett schlafen und gab der Erschöpfung nach. Doch es dauerte nicht lange, bis die ersten Albträume sie wieder weckten. Panisch wachte Sora mitten in der Dunkelheit auf und bekämpfte die Geister ihrer Vergangenheit.

Es dauerte nicht lange, bis Matteo in ihrem Zimmer das Licht anschaltete und sich alarmiert umschaute.

"Was ist passiert?", fragte er misstrauisch.

"Albtraum.", antwortete sie einsilbig und ging ins Badezimmer, um den Schweiß abzuwaschen.

Matteo beließ es dabei und Sora fragte sich, wieso der  Vampir sie so gut behandelte. Sie traute Matteo nicht und konnte sich seine Motive nicht erklären. Doch vermutlich war das nur die Ruhe vor dem Sturm und sie durfte sich nicht in Sicherheit wiegen. Morgen würde sie einen Versuch wagen, dann sollte das Vampirblut ihren Körper verlassen haben.

Sora schlüpfte wieder unter die Decke und schlief dann erneut ein.

Broken Mate - Der HeilungsfluchWo Geschichten leben. Entdecke jetzt