80. | Die halbe Wahrheit bleibt eine ganze Lüge

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Hermines POV


Nach wie vor am ganzen Körper zitternd, verließ ich zusammen mit Draco das Büro der Schulleiterin, versuchte mir im Stillen einzureden, dass gerade nicht meine gesamte Welt auf den Kopf gestellt worden war.

Es gab zwar den Spruch „Die Wahrheit kann weh tun", aber ich hatte nicht damit gerechnet, dass sie so sehr weh tun könnte.

In meinem Kopf herrschte ein einziges Chaos. Ich wusste weder was ich denken, noch was ich tun sollte, fühlte mich wie gelähmt. Ich hatte mir erhofft, dass ich nach diesem Gespräch, nach dieser Wahrheit endlich mit allem abschließen könnte, doch das schien mir in diesem Moment so unmöglich wie noch nie.

Ich spürte eine Hand an meiner. Eiskalte Finger, die versuchten sich mit meinen zu verschränken. Bis vor ein paar wenigen Stunden hätte diese sanfte Berührung ein Feuerwerk in meinem Inneren ausgelöst, aber jetzt... jetzt war ich mir nicht mehr sicher, ob mich diese Hand führen und beschützen oder aber in einen tiefen Abgrund ziehen würde.

Ich entzog mich der Berührung, da es sich falsch anfühlte. Nach Manipulation, nach Lügen.

„Du glaubst mir nicht, oder?", hallte es zu mir herüber. Eine Gänsehaut überfiel mich. Meine Ohren schienen sich zu verschließen. Ich wollte das nicht hören. Ich hatte heute genug gehört und gesehen und herausgefunden, ich... wusste nicht, was ich glauben sollte.

„Hermine?"

Lass mich. Bitte.

„Du weißt, dass ich dich niemals anlügen würde. Oder manipulieren oder... dich verletzen."

Warum hast du es dann immer wieder getan?

„Was hast du in der Bibliothek gesucht?", verlangte ich zu wissen, wobei meine Stimme nicht lauter war als das Fiepen einer Maus.

„Ich... ich kann nicht.", war seine einzige Antwort, er griff ein weiteres Mal nach meiner Hand, doch auch dieses Mal löste ich mich vorzeitig.

Ich blieb stehen, schüttelte den Kopf, mit dicken Tränen in den Augen, die mir die Sicht verschwimmen ließen. Sein blonder Schopf war wie ein heller Farbklecks auf einer dunklen Palette und wurde immer größer, als er einen Schritt auf mich zuging. Sein warmer Atem stieß mir entgegen, während er meine Schultern mit seinen Händen umfasste, mich leicht an seine Brust zog.

„Bitte Hermine." Es war ein Flehen. „Ich wünschte wirklich ich könnte, aber... ich kann es dir nicht sagen. Ich... es stimmt, ich habe dir nicht die ganze Wahrheit erzählt, aber... das hatte seine Gründe. Glaub mir."

Ich wollte ihm glauben. Bei Merlins Bart, ich wollte ihm unbedingt glauben. Ich wollte diesem Draco glauben, der mir im Raum der Wünsche seine Vergangenheit gezeigt und mir sein Herz ausgeschüttet hatte. Mit dem ich in den letzten Monaten jede freie Minute verbracht hatte. In den ich mich verliebt hatte. Den ich... liebte.

„Ich liebe dich. Das weißt du."

Ich liebe dich auch, wollte ich antworten. Weil es stimmte. Weil es in dieser Welt voller Lügen die einzige Wahrheit zu sein schien.

Seine Lippen berührten hauchzart meine Stirn, wie eine Feder, die meine Haut streifte. Eine Träne löste sich, als ich für diese wenigen Sekunden meine Augen schloss. Es könnte so einfach sein. Da weitermachen, wo wir aufgehört hatten. Zurück in den Krankenflügel gehen und unsere letzten ungestörten Tage genießen. Ich versuchte wirklich, mir diesen Gedanken schönzureden, aber ich versagte.

„Lass uns zurück in den Krankenflügel gehen." Ich war so neben mir, so in Trance, dass ich mir nicht sicher war, wer von uns beiden das gesagt hatte. Insgeheim hoffte ich, dass er es gewesen war.

Look closer - DramioneWo Geschichten leben. Entdecke jetzt