Kapitel 3

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H A R R Y

Mein Herz fällt,

fällt,

fällt

in die dunkle Leere.

Ich hätte es wissen müssen. Ich wusste es besser und trotzdem habe ich seinem Einzug zugestimmt. Ich weiß, wer der bestrenommierte Anwalt Louis Tomlinson ist. Ja, vielleicht würde ich die blauen Augen unter Millionen wiedererkennen und seine Stimme, die die Luft durchwebt wie eine seidige Sinfonie, in jedem Sturm wiederhallen hören. Fuck- seine Stimme wieder zu hören, hat mir eine Gänsehaut der ersten Klasse verpasst. Sie ist so weich, als würde sich eine Welle über ein mondbeschienenes Ufer entfalten.  Ich stelle mir vor, wie er im Gerichtssaal steht und seine Mandanten verteidigt. Er könnte jeden vor dem Gefängnis bewahren, allein durch seine selbstbewusste Erscheinung.

Aber ich habe ihn angesehen, als er mit Meadow auf dem Sofa saß und ich wusste, dass in ihm noch immer etwas gebrochen ist. Noch immer kalt und dunkel. Ich habe ihn angesehen und gehofft, dass er mich wiedererkennt. Dass er schreit, bist du es, Harry? Aber das wird niemals passieren, weil ich damals ein Niemand war, während Louis der beliebteste Junge der High-School war.

Er spielte in einer ganz anderen Liga als ich.

Das tut er noch immer. Seine braunen Haare umrahmen sein markantes Gesicht. Seine Züge stehen im völligen Kontrast dazu, sanft, beinahe vorsichtig. Er ist sonnengebräunt. Trotz einiger Aknenarben ist seine Haut weich und lädt nur so dazu ein, sie zu küssen. Viele Jungs spekulierten damals, ob er nicht eine Gesichtspflege benutzen würde, die seine Haut so verdammt babyweich machte. Sie verurteilten ihn dafür nie, anders als bei anderen Schülern, die weniger beliebt waren.

Alle Schüler und Lehrer haben Schwule verabscheut, meinten, es wäre eine Sünde und Abschaum und plötzlich hat der verehrte Louis Tomlinson sein Coming Out und alle feiern ihn für seinen Mut. Ich habe ihn dafür verabscheut, weil ich all die Jahre zuvor unter meiner Sexualität gelitten habe. Ich wurde als Schwuchtel und Tunte bezeichnet, herumgeschupst und bespuckt, als wäre ich ein Fußabtreter.

Louis Tomlinson hatte alles, was ich nicht hatte und dafür habe ich ihn gleichermaßen geliebt und gehasst. Als ich erfahren habe, dass er in Spanien seine Karriere begonnen hat und all die Vorkommnisse, unter denen ich seit Jahren leide, hinter sich gelassen hat, ist der letzte Funke der ferngenossenen Liebe verschwunden und alles, was ich für ihn übrighabe, ist Verabscheuung.

Als ich ihn nach zehn Jahren zum ersten Mal wiedersah und diese vertrauten blauen Augen sah, die ich aus der Ferne immer zu schätzen wusste, erinnerte mich das an die Zeit, in der ich nichts hatte. Eine Zeit, in der ich nichts war.

Ich blinzle, weil das Bild von dem achtzehnjährigen Louis vor mir erscheint.

Nicht gut.

Nein. Gar nicht gut.

Ein Glück bleibt er nicht allzu lange, weshalb er sich erst gar nicht eine eigene Wohnung gekauft hat. Wenn er die familiäre Situation geklärt hat, sitzt er hoffentlich wieder im Flugzeug und fliegt dorthin zurück, wo er hergekommen ist.

Ich trete aus dem hitzigen Gebäude und ärgere mich – wie immer – darüber, dass der Architekt nicht an Klimaanlagen gedacht hat. Wir befinden uns an der Biscayne Bay. Im Sommer ist es hier verdammt warm. Ich habe das Gefühl zu schmelzen, als ich in mein noch wärmeres Auto steige und den Heimweg antrete.

Als der Anschnallgurt umgelegt ist, klemme ich mein Handy in den Halter und suche Brexons Kontakt heraus. Ich rufe ihn an, während ich die alte Kiste aus der Parklücke manövriere. Ich habe den MERCEDES-BENZ 230 TE von meinem Großvater geerbt, als ich zwanzig wurde. Er hat schon einige Werkstattbesuche hinter sich und vermutlich wäre es sinnvoller ihn abzustoßen, aber ich bringe es nicht über das Herz. Es würde sich wie ein Verrat gegenüber meinem Großvater anfühlen und es hängen zu viele Kindheitserinnerungen an diesem Wagen.

Echoes Of Yesterday - Larry StylinsonWo Geschichten leben. Entdecke jetzt