Kapitel 7

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H A R R Y

Die Wahrheit ist: Wie soll ich jemanden hassen, den ich einst so sehr geliebt habe? Ich habe ihn aus der Ferne verehrt und ihn nie aufgegeben, obwohl er ein Fremder war. Jeden Donnerstag habe ich mir dabei Mühe gegeben, mich herauszuputzen und jeden Donnerstag wütete in mir die Hoffnung, dass seine Augen meine auf magische Weise finden würden und unsere Lovestory beginnen würde.

Ich habe versucht, ihn zu hassen. Aber ich kann es nicht. Es geht nicht.

„Ich werde ihn heiraten.", habe ich Brexon zugeflüstert. Mein Blick lag wie so oft verstohlen auf ihm, als wir in der Kantine saßen und die scheußliche Hühnersuppe aßen. Sie hatten uns vermutlich den Rest von Montag gegeben. Ich nahm Louis genauer in Visier, wie ich es immer tat, und beobachtete, wie er den Kopf in den Nacken warf und laut zu lachen begann.

Brex betrachtete mich skeptisch. „Weiß er davon?"

Ich kicherte leise, als würde ich ein großes Geheimnis verbergen und schüttelte den Kopf. „Nope. Das ist eine Überraschung."

Ich war so fucking jung und verliebt und habe dieser absurden Illusion Glauben geschenkt.

Mir gefiel der Gedanke anfangs nicht, mit ihm unter einem Dach zu leben, aber je näher ich Louis kennenlerne, desto mehr gewöhne ich mich an ihn als neuen Mitbewohner und mir fällt auf, dass er kein schlechter Mensch ist. Im Gegensatz zu Miles.

Du erinnerst mich an jemanden. Jemanden, den ich wirklich sehr geliebt habe. Für das, was er war, und nicht für die Dinge, die er getan hat... Ich wusste genau, dass es um ihn geht. Es ist nun mal eine Tatsache, dass Louis zutiefst in Miles vernarrt war. Er hing so sehr an ihm, als ob sie aneinandergeklebt wären. Zudem hat Meadow mich durch die Blume wissen lassen, wie sehr er ihn geliebt hat.

Er sprach von ihm in der Vergangenheit, dass er ihn geliebt habe, doch seine Augen verrieten mir das Gegenteil. In ihnen wohnt ein feuriger Funke, sobald er über ihn spricht. In seiner Stimme tanzt Wärme. Es tut noch immer verdammt weh, zu wissen, dass er jemand anderen möchte. Jemanden, der nicht ich ist. Jemanden, der ein kaltblütiges Arschloch ist.

Ich möchte diese Echos der Liebe, die ich damals empfunden habe, ersticken. Einfach weitermachen.

Ich will nicht, dass Louis einen Teil von Miles in mir sieht. Ich bin nicht annähernd wie er. Als er das sagte, hasste ich ihn ein kleines Bisschen. Nun ja, sofern es möglich ist. Miles war ein grausamer Mensch und mich in einen derartigen Vergleich zu setzen, lässt mich den bitteren Geschmack meiner Galle auf der Zunge schmecken.

Miles war ein abtrünniger Wichser.

Ich. Bin. Kein. Abtrünniger. Wichser.

Je öfter ich diese Worte in meinem Kopf abspielen lasse, umso mehr gewinne ich an dem Gefühl, dass ich kein Arschloch bin. Ich habe Louis falsch behandelt und war anfangs nicht nett, aber ich bin nicht Miles. Niemals.

Ich stoße einen verärgerten Laut aus, als ich mich nach Stunden noch immer in meinem Bett wälze. Ich finde keine Ruhe zwischen all den Gedanken, denn offenbar finden sie eine Vorliebe dazu, mich mit Louis zu quälen. Sein Lächeln. Seine Augen. Seine Stimme, die verdammt nochmal weicher als die Federn in meiner Daunendecke ist. Wie er grübelnd die Lippen schürzt und den Kopf in den Nacken wirft, wenn er herzlich zu lachen beginnt. In gewissen Zügen erkenne ich den jungen Louis wieder und es verwirrt mich.

Ich habe mir, noch bevor er aufgekreuzt ist, geschworen, dass ich ihm gegenüber nie wieder annähernd irgendwelche Gefühle entgegenbringen werde, doch der Kern des Problems, die diese Gefühle aufbringen, ist, dass sie nie gänzlich verschwunden sind.

Wie soll ich über ihn hinwegkommen, wenn ich es die letzten zehn Jahre nicht konnte? Wenn seine bloße Anwesenheit mich wieder in meine Jugend zurückkatapultiert.

Mein Herz beginnt zu pochen – so wie jedes einzelne Mal in den vergangenen Tagen, wenn meine Gedanken zu dem Blauäugigen schweifen.

Als ich bemerke, dass ich jeden Moment verrückt werden würde, wenn ich mich weiterhin in diesem Gedankentornado verliere, werfe ich meine Beine über die Bettkante und stehe auf. Ich tigere leise durch die Wohnung, auf der Suche nach einer Aufgabe. Ich stelle die Gläser in der Küche in ihren zugehörigen Ort zurück und wische die Oberfläche der Küchenzeile ab. Dann taucht Louis vor meinen Augen auf, wie er mir sagt, dass ich ihn an Miles erinnere. Also gehe ich ins Wohnzimmer und beziehe die Kissen neu. Hier saß er am vorherigen Abend und hatte Angst vor einem Horrorfilm. Im Badezimmer finde ich seine Wäsche in der Waschmaschine vor. Für einen Moment überlege ich, sie in den Trockner umzulegen, entscheide mich dann jedoch dagegen.

Es wäre ein wenig creepy, wenn er herausfinden würde, dass ich mich um vier Uhr morgens aufgemacht habe und seine Wäsche durchwühlt hätte. Diesem Teufelskreis namens Louis Tomlinson nicht entkommend, begebe ich mich zurück in mein Zimmer.

Ich räume meine gebügelte Kleidung, die noch auf meinem Schreibtischstuhl liegt, in den Schrank, entferne den Schmuck von der Kommode, den ich nicht mehr anziehe und krame sie in das Kästchen auf meinem Nachtschrank.

Meine Augen geraten auf ein Goldarmband. Schwermetall. Doppelankerkette. 585er Gold.

Ich betrachte lächelnd das Armband in meiner Hand. Damals habe ich einem Psychopathen geähnelt, was nicht verwunderlich ist, wenn man bedenkt, dass ich Louis nie gekannt habe und trotzdem lieben konnte. Louis hat sein Armband im letzten Schuljahr im Sportunterricht vergessen und seitdem bewahre ich es in meinem Schmuckkasten auf.

Er hat es gesucht. Er hat eine Durchsage machen lassen und kleine A4 Flyer in der Schule aufgehangen, um es wiederzufinden. Ich wusste, dass es ihm etwas bedeuten musste, wenn er so eifrig danach sucht, aber dennoch habe ich es aufbewahrt und nie zurückgegeben. Vermutlich hätte ich das tun sollen. Streichen wir das vermutlich. Ich hätte ehrlich zu ihm sein sollen und ihm das Armband geben sollen, aber ich habe es nicht getan. Aus Angst.

Kurz überlege ich, es ihm zurückzugeben, verwerfe diesen Gedanken aber schnell. Jetzt ist es zu spät. Er weiß nicht, wer ich bin und schon gar nicht, dass wir uns bereits kennen. Oder ich ihn. Er würde mich für geisteskrank halten, würde ich ihm das Armband geben. Für psychotisch. Irre. Er würde Misstrauen gegen mich hegen, was ich nachvollziehen könnte.

Ich löse meinen Blick und verfrachte es vorsichtig zu meinem Schmuck. Ich schließe das Kästchen und verstecke es in der Schublade. Ich möchte es nicht darauf anlegen, dass es jemand findet.

Sobald ich im Bett liege, denke ich wieder über Louis und Miles nach. Ablenkungstherapie ist nun mal nur von kurzer Dauer.

Es macht mich verdammt wütend, dass Louis ihn als Gutmenschen hinstellt, als hätte sein Verhalten keine Auswirkungen auf das Leben anderer gemacht.

Miles Steeles hat Menschen verletzt.

Das ist, wer er ist.

Wer er war.

Echoes Of Yesterday - Larry StylinsonWo Geschichten leben. Entdecke jetzt