Kapitel 8

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H A R R Y

siebzehn Jahre alt

Ungeduldig verlagere ich mein Gewicht von der rechten auf die linke Ferse. Brexon liest sich mein Gedicht stillschweigend durch und ich versuche irgendeine Regung abzulesen, doch er trägt sein perfektes Pokerface. Nicht ein Mundwinkel zuckt.

Er sieht zu mir auf, als er bei der letzten Zeile angelangt ist. „Du darfst mich nicht hassen. Verspreche es mir."

Ich ziehe eine Augenbraue hoch. Er hasst es. Verdammt. Ich wusste, dass ich völlig talentfrei bin. Wieso habe ich es ihm überhaupt gegeben?

„Ich weiß, dass du es über Louis geschrieben hast."

„No shit, Sherlock.", hauche ich sarkastisch. Jeder Vollidiot, der darüber Bescheid weiß, dass ich einen massiven Crush auf Louis hege, würde es verstehen. Es ist so offensichtlich wie ein verdammter Leuchtturm bei Nacht.

Er seufzt und fährt sich nachdenklich durch die Haare. „Ich habe eine Idee. Ich bin mir ziemlich sicher, dass du sie nicht mögen wirst, aber höre sie dir wenigstens an."

„Okaaay", sage ich gedehnt und betrachte ihn abwartend.

Er legt den Zettel zur Seite und setzt sich auf meinem Bett auf. „Du solltest das Gedicht abtippen, ausdrucken und ihm in den Spind legen."

Mit gemischten Gefühlen, teils geschockt, teils ängstlich, starre ich ihn an. „Wie bitte?", frage ich ungläubig und ich gehe davon aus, dass ich kreidebleich bin. Ich werde mich sicherlich nicht in die Gefahr begeben, aufzufliegen. Nicht, wenn ein verdammter Aiden Wolf bereits weiß, dass ich in Louis verknallt bin und somit vermutlich auch der Rest der Herrenschaft. Er muss nur eins und eins zusammenzählen und ich werde auffliegen. Er wird mich dafür fertig machen und ich werde mich nie wieder an dieser Schule blicken lassen können.

„Wenn du es abtippst, wird er deine Schrift nicht erkennen."

Ich lache humorlos auf, obwohl es mich eher traurig stimmt. „Er kennt meine Schrift nicht. Wie soll er meine Schrift kennen, wenn er nichts außer meinen Namen kennt? Außerdem hat er mich schon vergessen."

„Bitte, Harry. Wir verstecken uns in einem Nebenflur und können seine Reaktion beobachten."

Ich schnaube. „Dann kann man mich endgültig als einen Stalker bezeichnen."

„Tu nicht so, als wärst du das nicht schon vorher gewesen.", neckt er mich, schmunzelt amüsiert über meine Reaktion und schlägt mich spielerisch in die Seite. Wo der Mistkerl recht hat...

Ich lasse mir für die Antwort Zeit, wäge das Für und Wider ab, doch ich muss leider feststellen, dass es kein Wider gibt, außer die Gefahr aufzufliegen. Eine Gefahr, die schwer wiegt, aber nicht schwer genug. Allerdings ist Louis beliebt und hat viele kleine Verehrerinnen und Verehrer, jede von ihnen könnte verdächtig sein.

Also setze ich mich an meinen Laptop und tippe das Gedicht ab. „Hast du Rechtschreibfehler entdeckt? Irgendwelche Sinnfehler?"

„Nein" Er lächelt sanft. „Es ist perfekt, Haz. Kannst du Aurelia bitte sagen, sie soll ein Gedicht für mich schreiben?"

„Wenn deine Freundin nicht selbst darauf kommt, macht es keinen Sinn. Ein gezwungenes Liebesgeständnis zählt nicht." Ich grinse ihn mitleidig an.

Ich drucke die Seite aus und entscheide mich dafür, es mit kleinem Schnickschnack zu verzieren. So würde niemand auf die Idee kommen, ich wäre es gewesen, wenn es auch ein Mädchen sein könnte. Das denke ich im Sinne der beliebten Jungs, die sowieso nur einem Klischee hinterherlaufen und nichts außer Stereotypen in ihren Mikrogehirnzellen haben.

Mein Herz ist kurz davor, aus meiner Brust zu springen, als wir uns am nächsten Morgen diagonal den Spinden gegenüber in einem Flur verstecken. Wir ernten viele skurrile Blicke, doch Brexon redet mir ein, ich solle nicht darauf achten.

„Sie werden dich morgen wieder vergessen haben.", spricht er die bittere Wahrheit aus, doch so wird es sein. Morgen werde ich keine skurrilen Blicke ernten, weil ich auf einem Flur in der Hocke verharre, sondern weil ich skurril bin. Es ist mein natürliches Wesen, der Effekt, den ich auf Menschen habe.

Ich komme mir wie ein Kind vor. Anstatt direkt auf Louis zuzugehen, stecke ich ihm ein geheimes Gedicht zu.

Ich möchte im Erdboden versinken und nie wiederauftauchen, als Louis auf der Bildfläche erscheint – natürlich mit Miles an seiner Seite. Die Zwei sind so unzertrennlich, dass ich das Bedürfnis habe, Regenbögen zu kotzen. Das schlimme ist, ich kann es Miles nicht verübeln. Wäre ich mit Louis zusammen, würde ich ihm vermutlich keine Sekunde von der Seite weichen. Würde ihn küssen und umarmen, wann immer ich eine Chance erlange.

Als er den Spind öffnet, schnappe ich nach Luft. „Sei still!", zischt Brexon, der mit ein wenig Abstand vor mir hockt und richtet sein Gesicht wieder zu Louis. Der Zettel fliegt zu Boden und landet vor Miles. Fuck- so war das nicht geplant. Ein Glück ist Louis schneller. Er registriert den Zettel sofort, während Miles noch von seinem Handy aufsehen muss.

„Was ist das?", fragt er dunkel und will Louis das Papier entreißen, doch er hält es fest. Wieso musst du nur mit so einem Menschen zusammen sein? Er hat dich nicht verdient. Er sollte dich auf Händen tragen.

Er entfaltet den Zettel und beginnt zu lächeln. Das ist ein gutes Zeichen... oder? „Yes! Sehr gut!", haucht mein bester Freund freudig gestimmt, aber leise, um uns nicht auffliegen zu lassen.

Louis' Augen glänzen, als er zu Miles aufsieht und drückt die Unterlippe zu einem Schmollmund hervor. „Hast du das geschrieben? Ich liebe dich doch."

Miles, der wieder in seinem Handy vertieft ist, sieht auf. „Ähm, ne. Was soll das sein?" Seine Art ist so abweisend. Es trifft Louis offenbar, da er enttäuscht die Schultern sinken lässt. Es ist nur ein kleines Stück, für die meisten vermutlich nicht sichtbar, aber ich erkenne es genau. Miles lacht schallend. „Was für ein verdammter Kitsch. Du glaubst doch nicht wirklich, dass ich das geschrieben habe. Das muss offenbar eines dieser liebeskranken Mädels sein, die dich aus der Distanz anschmachten.", betont er und hält damit die Referenz zu meinem Gedicht, in dem ich beschreibe, dass ich ihn nur aus der Distanz sehen kann. Natürlich würde Miles so etwas nicht schreiben. Er muss ihn nicht aus der Ferne lieben, er hat alles. Er hat Louis.

„Du hast recht. Tut mir leid." Er senkt den Blick und nimmt Miles das Gedicht ab.

„Nun, diese Mädchen werden offensichtlich verrückt. Sie drehen völlig durch." Miles sagt es so laut, dass ich es hören kann, und macht sich nicht die Mühe, seine Verärgerung zu verbergen. Ich würde ihn am liebsten schlagen und Brexons geballte Fäuste verraten mir den gleichen Gedanken. Er steuert eine andere Richtung an, während er Louis alleine zurücklässt.

Er beißt sich auf die Unterlippe und lässt seine Augen suchend durch die Menge schweifen. Für einen Moment habe ich Angst, dass er uns entdecken könnte, aber dafür liegen wir zu versteckt. Er lässt ein Lächeln zu und steckt sich das Gedicht ein.

Und mein Herz explodiert,

explodiert,

explodiert.

„Das ist gut, Harry. Er mochte dein Gedicht, so viel hat man aus seinem Ausdruck lesen können. In ihm steckt ein kleiner Romantiker.", sagt Brexon, als wir aufstehen, die Luft rein ist und wir durch den Flur laufen.

„Dann erkläre mir, warum ist er mit Brexon zusammen? Mit einem Bad Boy, der so einen Kitsch ganz offensichtlich lächerlich findet."

„Weil wir uns meistens in die Personen verlieben, die nicht auf die gleiche Weise lieben, wie wir es tun."

Echoes Of Yesterday - Larry StylinsonWo Geschichten leben. Entdecke jetzt