Sag es mir

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Loona

Leises knisterte das Feuer in der Feuerschale und mischte sich mit dem Gelächter von James und Soey. Ich war froh, dass sie so ausgelassen die Zeit in London genoss. Sie hatte genug mit Mike durchgemacht und hatte eine Abwechslung verdient. James tat ihr sichtlich gut und das sah man deutlich. Mein Blick wanderte zurück zu dem kleinen Feuer, was in Harrys Garten loderte. Ich zog die Decke an mich heran und sah den tanzenden Flammen zu.

Es erinnerte mich an die Zeit mit Koray am See. Ich legte meinen Kopf auf die Lehne des großen Gartensofas von Harry und schwelgte etwas in Erinnerung. Ich hatte es lange gemieden, mich an solche Momente zu erinnern, aus Sorge an ihnen zu zerbrechen. Dank Harry begann ich Stück für Stück durch die Vergangenheit zu reisen. Er brachte mich mit kleinen Sätzen oder Gesten dazu, mich meinen Ängsten zu stellen und es auszuhalten.

„Hier Love. Dein Bourbon." Seine Stimme zog mich aus meinen Gedanken und ich richtete mich auf, um ihm das Glas abzunehmen. „Vielen Dank." Er lächelte und setzte sich dicht neben mich. Ich mochte seine Nähe. Es beruhigte mich. Kaum saß er im Karaoke Raum neben mir und strich dabei über meine Rücken, war die Trauer sowie der Schmerz wie weggeblasen.

So auch in seinem Garten. Er brauchte nur in meiner Nähe sein und mir ging es gut. Aber das war es auch, was mich verwirrte. „Gerne lass ihn dir schmecken." Meinte er schmunzelnd, stieß sein Glas gegen meines und nahm einen Schluck. Auch ich trank etwas von der bernsteinfarbenen Flüssigkeit und genoss die angenehme Wärme, die sich in meinem Brustkorb ausbreitete. „Darf ich dich etwas fragen?" Mit seiner Frage rückte er bis nach hinten an die Sofalehne und legte seinen freien Arm auf dem Polster hinter mir ab. „Natürlich." Bestätigte ich und wartete leicht unruhig auf seine Frage.

„Der Abend beim Essen in der Villa Bianca, bevor du Korhan vor dem Ersticken bewahrt hast, kamst du verweint von der Toilette zurück." Ich hätte mich beinahe an meinem Bourbon verschluckt. Harry hatte ein Auge für Details und war sehr aufmerksam. Er nahm so viel wahr. „War dein Bruder der Grund dafür?" Wollte er wissen und drehte seinen Kopf zu mir. Der Frage auszuweichen, war nach allen, was er von mir erlebt hatte, nicht mehr möglich. Ich holte tief Luft und weichte seinem Blick aus.

„Ja." Gestand ich. „Als ich seinen Namen hörte, durchfuhr es mich wie ein Blitz. Sie klangen so ähnlich, dass mir mein Verstand einen Streich spielte und nach langen die Wunde aufkratzte." Erklärte ich ihm. Kurz pausierte ich und erinnerte mich, wie liebenswert Harry einfach neben mir stand und mit mir schwieg. „Loo, wenn ich zu weit gehe mit Fragen oder Äußerungen, dann sag mir es bitte." Bat er mich und strich mit seiner Hand hinter mir über meine Schulter. „Ich möchte nicht, dass du dir vorkommst, als würde ich jedes Mal eine Pistole dir auf die Brust setzten." Fügte er hinzu.

Verwundert schaute ich ihn an. „Aber genau das habe ich gebraucht Harry. Jemand, der mich anschubst, der mir das Gute und das schlecht vor Augen führt." Machte ich ihm klar und konnte meinen Augen nicht mehr von ihm wenden. „Es tut mir nur leid, dass ich dich in mein Chaos hineingezogen habe. Immerhin bin ich ein Fremde für dich." Schmunzelte ich verlegen und presste meine Lippen zusammen. „So fremd wirkst du nicht mehr auf mich, Loo." Sprach er leise und hob seinen Mundwinkel so weit, dass diese unverschämt süßen Grübchen zum Vorschein kam.

Ich konnte nachvollziehen, was er damit meinte. Obwohl man sich nicht kannte, standen wir uns sehr nahe. Körperlich sowie emotional. „Du auch nicht auf mich. Dazu hast du mir geholfen, obwohl du es nicht machen müsstest." Hauchte ich leise meine Antwort. Er nickte verständnisvoll. „Menschen, die ich mag, helfe ich gerne. Es ist wichtig, anderen zu helfen und ihnen zu zeigen, dass sie geschätzt und wertvoll sind." Begann er zu erzählen und ich hörte aufmerksam zu.

„Heißt das, du magst mich!" Wollte ich wissen, legte meinen Kopf leicht schräg. Er musste lachen. „Ja, ich mag dich Loo. Du bist eine interessante Frau und hast einen lobenswerten Job. Du bist nicht auf den Mund gefallen und sprichst ehrlich über Dinge, die dich stören. Du bist humorvoll, bist tiefsinnig und hast eine wundervolle Gesangsstimme. Du liebst deine Freundin Soey und würdest für sie durchs Feuer gehen." Mein Herz raste und Hitze breitet sich auf meinen Wangen aus. „Dein Herz ist groß Loona. Du musst dich nur von dieser Schuld und Selbsthasse befreien, der dich so quälte."

Gänsehaut bildete sich auf meiner Haut. „Gott verdammt." Fluchte ich verlegen und musste mich abwenden. Behutsam legte ich meinen Hinterkopf auf die Rückenlehne des Gartensofas und blickte durch die dunklen Baumkronen in den nächtlichen Sternenhimmel. „Du hast mich schon gut durchschaut, Mr. Superstar." Scherzte ich gespielt und versuchte mir die aufkommenden Tränen zu verdrücken. Der Schmerz der Vergangenheit holte mich ein. Nicht nur wegen dem, was Harry sagte. Sondern auch die Tatsache, dass ich in den letzten Tagen mich mehr mit Korays Tod auseinander gesetzte hatte als in den vergangenen 2 Jahren.

„Hey, komm her, kleiner Mond, schau dir das an." In dem Moment wusste ich nicht, ob ich mich beleidigt oder geschmeichelt fühlen sollte. Aber eher ich mich über die seltsamen Kosenamen äußern konnte, packte er mich in meinem Oberarm und zog mich zu sich. Mit einem Ruck, als sei ich leichter als Luft, landete ich mit meinem Gesicht an seiner Oberkörper. Wie aus dem Stand begann mein Puls zu rasen und mein Herz hämmerte gegen meine Brust. Für einen Bruchteil einer Sekunde glaubte ich seinen Herzschlag wahrzunehmen.

Im nächsten Moment spürte ich schon seine Hand unter meinem Kinn, die meinen Kopf nach oben drückte. „Sieh nur da!" Hauchte er mit leiser Stimme und ich sah zu ihm auf. Mit dem ausgestreckten Zeigefinger deutete er in den Nachthimmel. Ich folgte seiner Hand und entdeckte zwischen den Baumkronen einen großen, hellen Vollmond. „Ich weiß nicht, wann ich das letzte Mal so einen großen Mond gesehen habe." Erklärte ich leise und konnte meine Augen nicht davon abwenden.

„Der Mond ist wie dein Bruder Koray. Auch wenn du ihn nicht siehst, so ist er doch immer da und sieht auf dich herab. Auch in der dunkelsten Stunde wird er dir genügend Licht schenken, damit du weiter machen kannst." Kam es von Harry mit sanfter und tiefer Stimme. Mein Blick wanderte zu seinen Augen, in denen sich das Feuer und das Mondlicht abwechselt spiegelten. Das, was er sagte, war wohl der schönste Vergleich, den ich je gehört hatte.

Mir war klar, dass ich mit weit offenen Mund ihn anstarrte. Mehr als es gut war. Er lächelte, was ich erwiderte. „Du starrst Moon." Kam es plötzlich von ihm und er sah mir tief in die Augen. Es war durchdringend. Vertraut und es machte mir Angst. Ich war nicht bereit, das zu fühlen, was er in mir auslöste. Das Gefühl, jemanden anderen zu vertrauen. Mich zu öffnen, jemand anderen zu zeigen, wer und wie ich wirklich war, ohne diese Mauer um mich.

Mein Lächeln verschwand und ich wollte mich von ihm lösen. „Bitte, renn nicht weg, Moon." Bat er mich leise und hielt mein Kinn zwischen Daumen und Zeigefinger fest. „Harry, ... ich." Flüsterte ich und war nicht mehr in der Lage, mich von ihm wegzudrücken. Schlagartig schoss mein Puls wieder in die Höhe und brachten meine Ohren zum Rauschen. Meine Atmung wurde schneller, als es mir den Anschein machte, dass er sich meinem Gesicht nährte. Und ehe ich verstand, was passierte, spürte ich seine warmen und weichen Lippen auf meinen.

Erst ein hohes Kreischen, gefolgt von Soey Lachen brachte etwas Distanz zwischen uns. Er lächelte verlegen und ließ mich los. Er hatte mich geküsst und ich wusste nicht, was ich sagen oder machen sollte. Also presste ich meine Lippen zusammen und schaute kurz auf den Boden, bis James meine Aufmerksamkeit erregte. „Hey, kann mir einer mal helfen, Soey aus dem Busch zu holen!" Lachte er laut auf und stand vor einen Busch, aus dem zwei Füße raus schauten.

Auch ich musste lachen und eilte meiner besten Freundin zur Hilfe. „Was hast sie gemacht?" Fragte ich im Lauf und hörte, wie sie weiter lachte. „Sie wollte mir eine Yogaübung zeigen." Lachte er und rang um Fassung. „Und dann verlor sie das Gleichgewicht und fiel in Gebüsch." Fuhr er fort, als er sich wieder fing. Auch Harry eilte zu uns und ich spürte seine Hand an meinen Rücken. Sofort zuckte ich und Hitze schoss mir ins Gesicht. Ich war unfassbar dankbar, dass es in seinem Garten dunkel war und man nicht sehen konnte, wie rot meine Wangen wurden.

Ich versuchte mir nichts anmerken zu lassen und schaute auf die zappelnden Beine. „Es wäre zu freundlich, wenn ihr mir hier aushelfen könnte. Und zwar SCHNELL. HIER IST NE RIESIGE SPINNE: AAAAAAAAAAAAHHHH." Kreischte sie plötzlich und strampelte panisch mit ihren Füßen. Hastig griffen Harry und ich in den Busch und zogen sie an ihren Händen wieder auf die Beine.

Ihr Haar war zerzaust und einige trockene Blätter und abgebrochene Zweige steckten darin und schenkten ihr das Aussehen einer Vogelscheuche. Wie verrückt sprang sie hin und her und schüttelte sich. Es sah einfach zu witzig aus und ich konnte mir das Lachen nicht verkneifen. Ich musste so herzhaft lachen, dass ich kaum noch Luft bekam und mir Tränen über die Wangen liefen. „Haha, sehr witzig, Loona." Kommentierte sie meine Verhalten und zupfte sich die Blätter aus den Haaren. „Tut...tut mit leid. Soey.. Wirklich."

Pillow Talk || H.S. [18+] || GermanWo Geschichten leben. Entdecke jetzt