Loona
Wie seltsam es sich anfühlte, nach zwei Wochen wieder meine Wohnung zu betreten. Und das auch noch mit ihm. Sofort ratterte es in meinem Kopf, und ich ging mental durch meine Wohnung. Ich überlegte gründlich, ob ich irgendwo noch Sachen rumliegen hatte. „Komm ruhig rein", bat ich Harry und zeigte ihm den Weg ins Wohnzimmer mit der offenen Küche. Ich ließ den Koffer einfach neben der Haustür stehen, warf den Schlüssel in die kleine Schale auf der Kommode und rannte erstmal zu den Fenstern, um Luft in die Wohnung zu lassen. Schnell bemerkte ich, dass ein paar meiner Pflanzen diesen Urlaub nicht so gut überstanden hatten, wie ich. Aber was machte ich mir vor? Selbst wenn ich nicht im Urlaub war, vergaß ich einige der Pflanzen rücksichtslos. Ich hatte einfach keinen grünen Daumen. „Du hast eine schöne Wohnung. Von außen macht es nicht den Eindruck von Gemütlichkeit", hörte ich die Stimme von Harry aus dem Wohnzimmer. Da hatte er nicht Unrecht. „Als ich hier einzog, hatte ich nicht geglaubt, lange zu bleiben. Aber so wie es die Zeit mal zuließ, habe ich alles ausgeholt und es mir so gemütlich wie möglich gemacht", gestand ich und lief zurück zu ihm.
Er stand noch immer am selben Fleck und sah sich um. „Wie gesagt, es ist nichts im Vergleich zu deinem Lebensstil", flüsterte ich und strich mit meiner Hand über das alte Sofa mit der kuscheligen grauen Decke, die das hässliche Muster verdeckte. „Und ich sagte bereits, dass ich nicht mit einem goldenen Löffel im Mund geboren bin, Moon", wiederholte er seine Worte aus dem Auto. „Hör zu, Moon. Ich weiß, was es heißt, wenig Geld zu haben und in bescheidenen Verhältnissen zu leben. Ich habe mein erstes Geld verdient, indem ich in einer Bäckerei in meinem Heimatort gearbeitet habe", erzählte er mir, und ich fühlte mich plötzlich schlecht. „In... einer... Bäckerei?" wiederholte ich etwas ungläubig. Er grinste verlegen und kam auf mich zu. „Ja, in einer Bäckerei." Irgendwie war die Vorstellung von ihm in einer Schürze ganz niedlich. „Was hast du gemacht, bevor du Krankenschwester geworden bist?", brachte mich seine Gegenfrage kurz aus dem Konzept.
„Was? Ich?" stotterte ich und trat einen Schritt zurück, als er genau vor mir stehen blieb. Meine Gedanken überschlugen sich. Es war Jahre her, dass mich das jemand gefragt hatte. Denn es war mit vielen Erinnerungen verbunden, und ich war mir in dem Moment nicht sicher, ob ich davon erzählen wollte. „Moon?" holte mich seine Stimme zurück in die Gegenwart. „Hast du Hunger? Willst du etwas trinken? Ich... ich schau mal, was ich noch so habe. Ansonsten... lass uns etwas bestellen. Immerhin... war ich zwei Wochen nicht hier", sprudelte es hastig aus mir, und ich lief zur Küche. Eilig suchte ich in meinem Schrank nach etwas Trinkbarem. „Hey, Moon", rief er mich, doch ich suchte weiter und fand eine Flasche Wein. „Haa, schau, ein Weißwein. Willst du auch ein Glas?", fragte ich, achtete aber nicht auf seine Antwort. Also holte ich einfach zwei Gläser aus dem Schrank. „Moon!" Meine Hand zitterte, und ich fragte mich, wieso. Ich goss etwas ins erste Glas.
Ein Kloß bildete sich in meinem Hals, und ich spürte, wie sich Tränen in meinen Augen bildeten. Ich versuchte alles, um das zu verhindern. Ich hatte lange nicht mehr vor ihm weinen müssen. Also, warum hatte mich diese Frage so aus der Bahn geworfen? „Loona, Stopp!" Seine Hand griff nach der Weinflasche, und seine freie Hand legte sich an meinen Rücken. Er nahm die Flasche und stellte sie ab. Sanft drehte er mich an den Schultern zu sich und sah mir tief in die Augen. „Ich... ich...", stotterte ich und verlor dabei meine Stimme. Es kotzte mich an, dass ich gerade nicht in der Lage war, in meinem Alter so eine einfache Frage zu beantworten. „Atme erstmal tief ein und aus", bat er mich. „Ein Schritt nach dem anderen, erinnerst du dich?", rief er mir ins Gedächtnis. Ich konnte nur nicken und kaute auf meiner Unterlippe. Der piksende Schmerz sollte mich vom Weinen ablenken.
„Es tut mir leid, wenn ich dich mit meiner Frage gerade überrannt habe. Das war keine Absicht", entschuldigte er sich. Er sah plötzlich so traurig aus. „Was hältst du davon, wenn wir uns mit dem Wein auf dein Sofa setzen, uns etwas zu essen bestellen und uns einfach unterhalten? Über das, wozu du bereit bist, es zu erzählen", schlug er vor und strich sanft über meine Oberarme. Ich stimmte mit einem Nicken zu und hörte auf, meine Lippe zu zerbeißen. Also liefen wir zum Sofa, bestellten uns eine Pizza, die nach 30 Minuten eintraf, und tranken etwas Wein. Als meine Anspannung langsam abfiel, betrachtete ich Harry, wie er mich anlächelte. Er war stets bemüht, mir das Gefühl von Sicherheit zu geben und Zeit. Er machte mir nie Druck mit irgendetwas. Dieses Gefühl war angenehm und sehr überraschend für mich. Ich atmete noch mal tief durch und lächelte. Mein Blick ging zu meiner alten Kommode mit einer breiten Schublade. In dieser befanden sich all meine Erinnerungen. In mir kam das Gefühl auf, diese Erinnerungen zu teilen. „Meinen ersten Job hatte ich in einem Tierheim", begann ich aus dem Nichts.
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Pillow Talk || H.S. [18+] || German
FanfictionIn PILLOW TALK begleiten wir Loona, eine leidenschaftliche Krankenschwester, die mit den Schatten ihrer Vergangenheit kämpft. Nach einem schweren Autounfall, bei dem sie ihren Bruder verlor, ist sie von Schuldgefühlen zerfressen und unfähig, eine em...