Kapitel 43

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𝐊𝐢𝐚𝐧
Ich ziehe meine Hand zurück und richte mich auf, während ich einen letzten Blick auf Arin werfe. Als ich in Merans Küche stehe und auf ihn warte, wandert mein Blick zufällig zum Kühlschrank. Ein Fotostreifen hängt dort, befestigt mit einem Magneten. Ich trete näher und betrachte die Bilder genauer. Auf dem ersten Bild kneift Meran Arin in die Wange, und ihr Gesichtsausdruck ist eine Mischung aus Überraschung und Belustigung. Im zweiten Bild lehnt sich Meran dicht an Arin, und sie wirkt verlegen, aber auch irgendwie glücklich. Das dritte Bild zeigt die beiden, wie sie in die Kamera lächeln, ihre Augen strahlen vor Freude. Und auf dem vierten Bild machen sie gemeinsam Fingerzeichen, die ich nicht zuordnen kann, aber es sieht aus, als hätten sie einen Riesenspaß gehabt.

Die Gedanken wirbeln in meinem Kopf, doch bevor ich mich weiter darin verlieren kann, kommt Meran mit der Schutzweste zurück. "Hier ist sie," sagt er leise, um Arin nicht zu wecken. "Danke," antworte ich und nehme die Weste. Doch bevor ich gehe, schaue ich Meran direkt an. "Schläft sie heute bei dir?" Meran überlegt kurz und zögert. "Ja oder nein?" frage ich erneut, meine Stimme schärfer als beabsichtigt. "Warum brauchst du so lange, um zu überlegen?" "Bruder, entspann dich," sagt Meran schließlich. "Ich weiß es nicht."

"Euch beiden noch viel Spaß." Ohne ein weiteres Wort drehe ich mich um und gehe zur Tür.

Als ich draußen bin, spüre ich die Wut in mir aufsteigen. Ich gehe zum Auto, forme meine rechte Hand zu einer Faust und atme tief durch. "Ich habe jetzt keine Zeit darüber nachzudenken," murmele ich vor mich hin, während ich mein Handy heraushole.

Heute wurde ein Mann aus dem Knast entlassen. Der Mann, der vor vier Jahren eine unschuldige Frau ermordet hat. Ich habe lange auf diesen Moment gewartet. Mit entschlossenen Schritten gehe ich zu meinem Auto und fahre los, die Gedanken an Arin und Meran verdrängend. Ich treffe den Mann in einer dunklen Gasse Berlins. Die Straßen sind leer, nur das leise Rauschen des Verkehrs in der Ferne ist zu hören. Ich steige aus dem Auto und gehe auf ihn zu. Er lehnt lässig an einer Wand und sieht mich an, als wäre er unschuldig.

"Bereust du deine Tat?" frage ich ihn, meine Stimme ruhig, aber kalt.

"Was für eine Tat? Wovon sprichst du?" antwortet der Mann, ein selbstgefälliges Grinsen auf seinem Gesicht. "Deine Tat vor vier Jahren," sage ich und komme näher. "Klingeln die Glocken jetzt bei dir?" Der Mann überlegt kurz, dann hellt sich sein Gesicht auf. "Huh, die Tat an dieser Schlampe? Ich bin froh, dass ich es getan habe," sagt er und lacht. "Ach, ist das so?" sage ich, meine Stimme gefährlich leise. Ohne Vorwarnung schlage ich zu, treffe ihn hart im Gesicht. Der Mann taumelt zurück, aber ich gebe ihm keine Chance, sich zu erholen. Ich packe ihn am Kragen und schlage erneut zu. "Du bereust es nicht? Gut, dann werde ich dafür sorgen, dass du es tust," zische ich und schlage weiter auf ihn ein. Mein Zorn und die Dunkelheit der Gasse verschmelzen, während ich meinen Frust an ihm auslasse. Jeder Schlag ist ein Ausdruck meiner Wut, meiner Frustration, und vielleicht auch meiner Hilflosigkeit.

Der Mann versucht sich zu wehren, aber er ist chancenlos. "Bitte, hör auf," stammelt er schließlich, Blut läuft aus seiner Nase und seinem Mund. "Jetzt flehst du um Gnade?" sage ich verächtlich und lasse ihn zu Boden sinken. Ich stehe über ihm, atme schwer, die Dunkelheit um uns herum scheint zu pulsieren. Ich wische das Blut von meinen Knöcheln und trete einen Schritt zurück. "Das war erst der Anfang," murmle ich und gehe zurück zu meinem Auto. Im Auto hole ich Tücher heraus und wische das restliche Blut von meinen Händen. Ich bewege meine Finger, um sicherzustellen, dass noch alles in Ordnung ist, und lehne meinen Kopf an das Lenkrad.

Worauf bin ich nur so wütend? Ist es noch immer dieselbe Wut wie vor 13 Jahren, als die Frau, die ich einmal Mutter genannt habe, uns verlassen hat? Oder ist es die Wut von eben, als ich gesehen habe, wie Arin bei Meran war? Aus diesem Grund habe ich mich bewusst von Frauen ferngehalten, weil ich keinen Platz für sowas im Herzen sowie im Kopf habe. Ich drücke aufs Gas. Die Geschwindigkeit steigt innerhalb von Sekunden auf 160 km/h. Ich drücke weiter, 230 km/h. Der Adrenalinstoß lenkt mich kurz von meinen Gedanken ab, aber die Wut bleibt.

𝐏𝐟𝐥𝐢𝐜𝐡𝐭 𝐮𝐧𝐝 𝐒𝐞𝐡𝐧𝐬𝐮𝐜𝐡𝐭Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt