Kapitel 7

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Ich lud Louis in meinem Appartement ab, nachdem wir in der Apotheke waren und fuhr dann in die Kanzlei. Während der Autofahrt redete ich auf ihn ein, dass er sich ausruhen sollte. Ich verstand ihn nicht. Erst stürmte er aus meiner Wohnung, wurde verprügelt und dann kam er zu mir zurück, nur um jetzt sauer auf mich zu sein. Ich beschloss ihn einfach in Ruhe zu lassen. Er musste jetzt erst einmal mit seinen Verletzungen klarkommen und ich wollte ihn nicht weiter nerven. Ich hatte tatsächlich Angst um ihn. Was der Arzt gesagt hatte, ging mir nicht mehr aus dem Kopf.

Als ich endlich in der Kanzlei ankam, überfiel mich Jane mit tausend Sachen und Louis wurde für ein paar Stunden aus meinem Hirn gedrängt. Erst am späten Abend fuhr ich nach Hause und besorgte noch etwas zu essen. Louis saß auf der Couch und hatte die Augen geschlossen.

„Hey, wie geht es dir?", fragte ich.
„Alles gut." Wenigstens bekam ich eine Antwort.
„Hast du Hunger? Ich habe ein paar Bagels dabei." Er stand auf und folgte mir in die Küche.

Ich ließ ihn wählen und er entschied sich für einen mit Hähnchen und Käse. Er aß langsam und es wurde wieder still. Früher konnten wir nie die Klappe halten, es gab immer etwas, was wir uns zu erzählen hatten. Es fiel mir immer noch schwer zu akzeptieren, dass es nun vollkommen anders zwischen uns war. Gut, fünfzehn Jahre konnten viel verändern, aber dass er permanent so abweisend war, fand ich schon sehr eigenartig.

Ich versuchte heute Abend auch kein Gespräch anzufangen. Es war sowieso vergebliche Liebesmüh. Nachdem ich fertig war, stand ich auf und ging nach oben, um eine heiße Dusche zu nehmen. Meine Gedanken kamen langsam zur Ruhe und ich wollte nur noch ins Bett. Vielleicht konnte ich noch ein paar Zeilen in dem Buch lesen, welches ich mir vor Monaten gekauft hatte. Die ersten zwanzig Seiten hatte ich schon durch. Aber ich erinnerte mich nicht mehr an die Story und musste nochmal von vorn beginnen. Gerade machte ich es mir gemütlich, da klopfte es an der Tür.

„Komm ruhig rein", sagte ich und legte das Buch wieder beiseite.
„Hey, ich wollte mich entschuldigen, weil ich mich heute so danebenbenommen habe", meinte er kleinlaut und stand in der Tür.
„Louis, warum sagst du mir nicht, was los ist?"
„Ich habe dir doch erzählt was passiert ist."

„Nein, ich meine nicht die Schlägerei, sondern die Geschichte davor." Sein Gesichtsausdruck verhärtete sich sofort und ich atmete tief ein und wieder aus, denn es war ihm anzusehen, dass er wieder zumachte.

„Gute Nacht." Er schloss die Tür und ich musste mir auf die Zunge beißen, um mir jeglichen Kommentar zu verkneifen. Wie lange sollte das so weitergehen? Ich sah auf mein Buch und mir war jegliche Lust auf Lesen vergangen.

Mitten in der Nacht wurde ich durch einen Schrei geweckt. Wie von der Tarantel gestochen, sprang ich auf und rannte zu Louis Zimmer. Ich stieß die Tür auf und er lag zusammengerollt auf dem Bett und schrie immer noch. Schnell ging ich zu ihm und rüttelte an seiner Schulter.

„Louis, wach auf. Du träumst. Louis ..." Dann schlug er sein gesundes Auge auf und sah mich an. Er hatte seine Beine fest umschlugen und dieser Anblick verursachte eine unbegründete Angst in mir.

„Harry?", flüsterte er.
„Ich bin hier." Tränen liefen über sein Gesicht und auch aus seinem kaputten Auge quollen sie hervor. Ich strich ihm die Haare aus der verschwitzten Stirn und setzte mich auf das Bett. Er streckte die Beine aus und biss die Zähne fest aufeinander. Es tat mir im Herzen weh ihn so zu sehen. Vorsichtig streichelte ich über seinen Arm, denn ich wusste gerade nicht, was ich sonst tun sollte.

„Bleibst du noch einen Moment?", fragte er und schluchzte.
„Wenn du das willst." Ich kletterte über ihn und legte mich hin.
„Hast du die Tabletten genommen, die Dr. Miller dir verschrieben hat?"
„Nein", antwortete er leise.
„Soll ich dir eine holen?"
„Nein, bleib einfach hier. Es geht schon. Kannst du ... mich festhalten?" Seine Stimme war kaum zu vernehmen bei seinen letzten Worten. Ich rutschte näher zu ihm und legte vorsichtig einen Arm um ihn. Unter keinen Umständen wollte ich ihm weh tun. Er zitterte am ganzen Körper und ich setzte mich nochmal auf, um die Decke über uns zu ziehen. Danach hielt ich ihn, bis er sich wieder beruhigt hatte und einschlief. Nur ich lag wach und starrte in die Dunkelheit. Ich fühlte seinen warmen Körper an meinem und konnte nicht begreifen, warum er sich mir nicht anvertraute.

„Guten Morgen", hörte ich eine Stimme und drehte mich auf die andere Seite, denn ich wollte weiterschlafen.
„Harry, du musst aufstehen." Er strich mir sanft über die Schulter.
„Nein, ich will nicht", murmelt ich in das Kissen.

„Komm schon. Beweg dich. Dein Wecker klingelt schon eine ganze Weile." Ich drehte mich wieder um und öffnete meine Augen. Louis lag neben mir und sah mich aus einem traurigen Auge an.

„Danke, dass du geblieben bist." Er lächelte tatsächlich und ich erwiderte es.
„Das tue ich gern, wenn es dir damit besser geht. Was machen deine Schmerzen?"
„Nicht der Rede wert. Ich denke, Dr. Miller hat etwas übertrieben." Ich zog fragend eine Augenbraue nach oben und rümpfte meine Nase. Er lachte. Was war denn heute los?

„Ich meine das Ernst. Mein Auge nervt, aber die Prellung ist nicht so wild. Glaub mir."
„Nein", sagte ich und schüttelte den Kopf.
„Ich werde es wohl besser einschätzen können als du", konterte er.

„Wenn du meinst", entgegnete ich und warf die Decke nach unten und stand auf. Oh, wie ich es hasste. Ich war kein Morgenmensch. Aber wenigstens hatte mich heute Louis geweckt und nicht mein blöder Wecker. So war es viel angenehmer.

Nachdem ich mich angezogen hatte, ging ich zurück in Louis Zimmer. Er lag auf dem Rücken und blickte ins Leere.
„Louis, alles in Ordnung?"
„Ja, natürlich."
„Hier, nimm bitte eine davon", sagte ich und stellte ihm ein Glas Wasser hin und legte die Schachtel Tabletten daneben. Er versuchte sich aufzusetzen und sein schmerzverzerrtes Gesicht verriet mir, dass es eben doch schlimmer war als er zugeben wollte.

„Ich lasse dir mein Handy da. Alle Anrufe werden direkt in die Kanzlei umgeleitet. Ruf mich an, wenn etwas ist."

„Was soll denn sein?", fragte er mit einem genervten Unterton und stöhnte auf, als er nach dem Wasserglas griff. Warum konnte er denn nicht einfach mal normal reagieren?

„Wie auch immer. Melde dich einfach." Ich drehte mich um, verließ das Appartement und lief Richtung Subway.

Auf dem Weg zur Arbeit ging ich noch in ein kleines Geschäft und besorgte ein Handy für Louis. Ich wollte, dass er mich oder wen auch immer erreichen konnte. Hatte er denn Freunde? Aus San Francisco oder von der Uni vielleicht? Er war für mich irgendwie wie ein Geist, der urplötzlich nach ein paar Jahren wieder auftauchte und keine Vergangenheit besaß. Zumindest keine, an der er mich teilhaben lassen wollte.

Diese ganze Sache mit der Schlägerei ließ mir einfach keine Ruhe. Es war so absurd. Louis war nie ein gewalttätiger Mensch und er verkehrte auch damals nie mit solchen Leuten. Er ging Konfrontationen immer aus dem Weg. Da war ich früher eher derjenige, der mal zu schnell aus der Haut fuhr, aber auch da, brachte er mich immer wieder runter und wir waren nie in eine Prügelei geraten. Auch wenn manche Idioten an unserer High-School es schon verdient hätten.

High Walls - Larry Stylinson FFWo Geschichten leben. Entdecke jetzt