Kapitel 5

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2. Woche

Es war wieder ein Montagmorgen. Ich hasste Montage. Warum wusste ich auch nicht so genau, aber Montage waren schlimmer als alle anderen Tage der Woche. Meinen Wecker hätte ich am liebsten mit einem Hammer bearbeitet, als dieser in einem schrillen Ton von mir verlangte, mein schönes warmes Bett zu verlassen.

Ich ging kurz ins Bad und schmiss mich dann in meinen Anzug. Ein Blick in den Spiegel verriet mir, dass ich mich so im Büro sehen lassen konnte. Manchmal würde ich am liebsten im Schlabberlook dort auftauchen. Machte es denn einen Unterschied? Der Anzug machte mich auch nicht schlauer, nur sah ich etwas seriöser aus als in meiner bequemen Jogginghose. Warum dachte ich über so etwas nach? Wahrscheinlich, weil ich noch nicht ganz wach war. Kaffee, ich brauchte Kaffee, und zwar eine Menge.

Als ich unten ankam, war Louis gerade im Begriff die Wohnung zu verlassen. Ich hatte ihn gar nicht gehört. Wollte er sich etwa hinausschleichen?
„Guten Morgen", sagte ich und sein Kopf schoss abrupt in meine Richtung. Er hatte wohl nicht mit mir gerechnet.
„Morgen", entgegnete er knapp und band sich seinen linken Schuh zu.
„Wo willst du hin?"
„Weg." Okay, das war klar, aber wohin weg?
„Warum sagst du es mir nicht?" Sein Gesichtsausdruck war hart. Seit unserem Einkauf hatte er kein Wort mehr mit mir gesprochen. Er verzog sich in sein Zimmer und wart nicht mehr gesehen.
„Darf ich nicht das Haus verlassen? Ich dachte, ich bin nicht mehr im Gefängnis?"
„Was?", fragte ich verwirrt.
„Harry, ich wollte von Anfang an nicht bei dir wohnen. Ich werde schon irgendwo anders unterkommen", stellte er klar.
„Ich dachte, wir hätten das Thema geklärt? Du bist hier willkommen. Du musst nicht gehen", antwortete ich. Was war denn nun schon wieder los?

„Doch, dass muss ich. Ach, und ich benötige deine anwaltlichen Dienste nicht mehr. Ich kümmere mich um einen Ersatz." Er öffnete die Tür und wollte schon gehen, aber ich war schneller. Mit ein paar großen Schritten war ich bei ihm und drückte die Tür wieder zu.
„Was soll das?", maulte er mich an.
„Das fragst du im Ernst?" Entgeistert sah ich ihn an. „Louis, du hast kein Geld, keinen Job ..." Mir fielen noch einige Dinge ein, die ich aufzählen konnte, aber ich verzichtete darauf. Er wusste es sicherlich besser als ich.
„Stimmt, dass hatte ich gerade vollkommen vergessen. Was würde ich nur ohne dich tun?" Er schlug sich an die Stirn und sah mich an, als hätte ich nicht mehr alle Latten am Zaun.
„Was du ohne mich tust? In den Knast wandern und das für sehr lange Zeit. Aber bitte, ich werde dich nicht aufhalten. Du bist ein freier Mann, noch." Er lachte.
„Na dann ..."
„Gott, was ist nur los mit dir? Ich biete dir meine Hilfe an und du ..."
„Ich habe nie darum gebeten", bemerkte er und seine Stimme hob sich. Echt jetzt? Aber das konnte ich auch.
„Musstest du auch nicht. Ich tue das hier freiwillig. Wieso bekommst du das nicht in deinen Dickschädel? Du bist seit einer Woche hier, redest fast kein Wort mit mir und jetzt willst du dich einfach still und leise verkrümeln? Was soll der Scheiß?"
„Wann hätte ich denn mit dir reden sollen?", fragte er herausfordernd.
„Was meinst du damit?"
„Ach nichts."

„Machst du mir gerade einen Vorwurf daraus, dass ich letzte Woche wie ein Verrückter gearbeitet habe?" Langsam, aber sicher machte er mich wütend.
„Vergiss einfach, dass wir uns über den Weg gelaufen sind." Tränen glitzerten in seinen Augen und ich atmete tief durch, um wieder runterzukommen. Er brachte mich echt auf die Palme.
„Louis, hör zu ...", begann ich, aber er blockte sofort ab.
„Nein."
„Na gut. Anscheinend hast du gründlich darüber nachgedacht. Ich hoffe, du weißt, was du tust!"
„Das weiß ich schon seit langer Zeit nicht mehr." Er riss die Tür auf und sie schlug gegen die Wand und dann lief er die Treppen hinunter und ich sah ihm verständnislos hinterher.
„Idiot", murmelte ich und schlug die Tür mit Wucht zu. Er war tatsächlich nicht mehr der Louis, den ich mal kannte. Sollte er doch bleiben, wo der Pfeffer wächst. Ich hatte alles getan, was ich konnte. Oder? Fuck.

Später in der Subway musste ich ununterbrochen an unser Gespräch denken, wenn man es denn so nennen konnte. Der Ausdruck in seinen Augen. Er war zornig, aber auch ... er wirkte so hoffnungslos. Als hätte er sich mit seinem Schicksal abgefunden und erachtete jeden Kampf als absolut sinnlos. Als würde er damit rechnen, sowieso zu verlieren und ich war mir sicher, dass es nicht um diesen Unfall ging. So viel mehr musste in den letzten Jahren geschehen sein, aber er ließ mich im Dunkeln. Ich rieb mir über die Stirn. Definitiv hatte ich nicht alles getan.

Nach drei Tagen hatte ich immer noch nichts von ihm gehört. Das gefiel mir alles überhaupt nicht, aber war es denn meine Aufgabe durch die ganze Stadt zu laufen und ihn zu suchen? Er war ein erwachsener Mann und musste selbst entscheiden, was für ihn das Beste war. Und wenn er meine Hilfe so vehement ablehnte, was hatte ich dann für eine Chance? Ich konnte ihn schlecht bis zum Tag seiner Verhandlung ans Bett fesseln.

Am Abend kam ich völlig erschöpft nach Hause. Auch wenn ich mir ständig gut zuredete, dass Louis schon irgendwie zurechtkam, glaubte ich nicht daran und langsam fühlte ich mich doch für seinen Abgang verantwortlich. Auch früher hatten wir Streit und redeten mal ein paar Tage nicht miteinander. Aber dann tauchte er plötzlich wieder auf und ... meine Gedanken stoppten unvermittelt als ich jemanden auf der Treppe vor dem Haus sitzen sah.

„Louis?" Ich war mir zu 99 Prozent sicher, dass er es war, aber seine Stirn ruhte auf den Knien und die Arme waren eng um die Beine geschlungen. Ich ging näher heran und dann hob er seinen Kopf. Geschockt sah ich ihn an und ließ meine Tasche fallen, bevor ich mich auf die Knie begab.

„Gott, was ... Louis ..." Meine Hand schwebte neben seiner Wange, die mit Blut bedeckt war. Er hatte eine Platzwunde am Kopf, stellte ich fest, als ich versuchte herauszufinden, woher das ganze Blut kam. Sein rechtes Auge war schon komplett zugeschwollen und seine Lippe blutete ebenfalls.

„Ich wusste nicht, wohin ich sonst gehen sollte", brachte er mit zitternder Stimme hervor. Du hättest gar nicht erst abhauen sollen, schoss mir durch den Kopf, aber das war nicht der Moment, um ihm dies zum Vorwurf zu machen.

„Komm, ich helfe dir." Ich packte ihn unter den Armen und half ihm hoch. Ein Wimmern drang aus seiner Kehle und eine Träne bahnte sich aus seinem nicht verletzten Auge.
„Es ... tut mir leid. Ich ... wollte ... nicht ..." Ich zog ihn in eine Umarmung und hielt ihn fest. Er klammerte sich an mein Jackett und sein Körper bebte.

„Lass uns reingehen." Er schniefte und dann bugsierte ich ihn ins Haus und hatte Mühe ihn die Treppen nach oben zu schaffen.
„Setz dich", sagte ich und deutete auf einen Küchenstuhl. Bei Licht betrachtet sah er noch schlimmer aus. Als hätte man sein Gesicht als Punchingball verwendet.

Aus dem Küchenschrank holte ich Desinfektionsmittel, Pflaster, Verbandszeug und Tabletten. Ich hatte noch ein paar starke Schmerzmittel, welche mir mein Arzt manchmal aufgrund einer alten Footballverletzung verschrieb. Keine Ahnung, was ich jetzt davon brauchen würde. Sollte ich ihn nicht lieber zu einem Arzt fahren? Gerade wegen seines Auges, das furchtbar aussah.

„Willst du mir sagen, was passiert ist?", fragte ich, während ich mit einem sterilen Tuch seine Kopfwunde desinfizierte.
„Nicht der Rede wert", sagte er und hustete, wobei ihm etwas Blut aus dem Mund lief und er schmerzhaft aufstöhnte.
„Ich fahre dich jetzt zum Arzt."
„Nein, so schlimm ist es nicht."
„Hast du dich mal im Spiegel angesehen? Eventuell musst du genäht werden und dein Auge ..."
„Mich hat es schon schlimmer erwischt. Glaub mir, es geht schon."

„Was ...?" Ich starrte ihn ein paar Sekunden lang an und versuchte mir einen Reim auf seine Worte zu machen? War er im Fightclub? Wenn ja, dürfte er es mir nicht erzählen, denn die erste Regel des Fightclubs lautet ... Okay, ich hatte diesen Film eindeutig zu oft gesehen.

„Ich hatte nur eine kleine Auseinandersetzung. Mach dir keine Gedanken. Du müsstest den Anderen sehen", versuchte er auch noch einen Scherz zu machen. Ich schüttelte nur meinen Kopf und versorgte weiter seine Wunden.

High Walls - Larry Stylinson FFWo Geschichten leben. Entdecke jetzt