Als ich heute Morgen aufwachte, wollte ich definitiv nicht das Bett verlassen und in die Kanzlei, während er noch neben mir schlief. Er hatte sich wie ein kleines Kätzchen zusammengerollt und lag auf der Decke. Die erste Eingebung war, dass es niedlich aussah, aber dann erinnerte ich mich an die Nacht, in der er schreiend auf dem Bett lag, genau so. Es sah aus, als würde er seinen Körper vor irgendetwas beschützen wollen. Sich klein machen, sodass ihn keiner sah. Das Wort Angst schoss mir wieder durch den Kopf. Mir wurde kalt und ich bekam eine Gänsehaut. Ich strich sanft durch seine Haare und schlich mich aus dem Zimmer. Ich sollte vielleicht meine Gedanken etwas zügeln. Er schlief vielleicht einfach gern so. Ich versuchte diese idiotischen Hirngespinste wieder aus meinem Kopf zu bekommen. Jetzt musste ich mich auf andere Sachen konzentrieren. Arbeit.
In der Subway schweiften meine Gedanken wieder ab. Der gestrige Tag mit Louis war unglaublich schön, außer unserer kleine Auseinandersetzung am frühen Morgen. So gut hatte ich mich lange nicht mehr gefühlt. Vor allem, als er einfach so meine Hand hielt. Als der erste Schock verflogen war, dass ich auf einmal Schmetterlinge im Bauch hatte, wollte ich seine Hand nicht mehr loslassen. Immer verstand ich noch nicht, was eigentlich mit mir geschah. War ich urplötzlich auf das andere Ufer gewechselt? Nein ... oder doch? Hätte ich es nicht merken müssen? Irgendwie? Na ja, es würde wohl kaum ein Leuchtschild in meinem Kopf aufblinken, dass mir mitteilte: 'Ab jetzt stehst du auf Männer. Viel Vergnügen.' Aber es wäre um so vieles leichter, als sich mit den vielen Fragen auseinanderzusetzen, die ständig mein Hirn in Beschlag nahmen.
Aber vielleicht war es auch nur Louis? Und selbst wenn, sollte ich mich darüber definieren, welchen Menschen ich liebte? Sicher gab es in unserer Gesellschaft immer noch einen großen Teil, der gleichgeschlechtliche Partnerschaften ablehnte. Warum auch immer? Jeder durfte seine Zeit auf Erden so gestalten wie er mochte. Und wenn man jemanden gefunden hatte, mit dem man sein Leben verbringen wollte und geliebt wurde, musste man sich dann gesellschaftlichen Regeln unterwerfen, die absolut schwachsinnig waren? In so eine Ecke würde ich mich nicht drängen lassen. Dazu hatte niemand ein Recht.
Heute fuhr ich mit Tom und einer jungen Frau, der ich schon des Öfteren im Fahrstuhl begegnet war, in die 20. Etage. Zeit für ein kleines Experiment, dachte ich mir. Ich musste irgendwie herausfinden, was in meinem Kopf vorging. Verstohlen warf ich einen Blick auf die Beine der jungen Frau, die sehr schlank waren. Sie steckte in einem schwarzen engen Rock und trug eine rote Bluse. Ihr Haar war schokobraun und fiel in langen Wellen über ihre Schultern. Sie war sehr attraktiv. Sie lächelte mich an, da sie meine wandernden Augen auf sich bemerkt hatte. Okay, das war jetzt etwas unangenehm, aber ich wollte nur wissen, ob ich Frauen noch anziehend fand. Und ja, ich wäre wohl nicht abgeneigt mit ihr auszugehen.
Dann sah ich hinüber zu Tom. Er war durchaus ein gutaussehender Kerl. Seine braunen Augen, die fast schwarzen kurz geschnittenen Haare, seine immer akkurat sitzenden Anzüge. Auch trainierte er viel und hatte einen muskulösen Körper. Aber würde ich ihn ...
Ping. Die Türen des Fahrstuhls öffneten sich und erlösten mich von meinem dämlichen Experiment, dass mich ehrlich gesagt auch nicht weiterbrachte. Außer dass ich meinen Freund und Kanzleipartner angeglotzt und die Frau als Versuchsobjekt benutzt hatte. Herrje.
Ich ging in mein Büro und stellte meine Tasche ab. Einmal atmete ich tief durch, da flog meine Tür auf und Tom trat ein.
„Harry, was ist los mit dir?", fragte er.
„Warum, was meinst du?" Tatsächlich hatte ich keine Ahnung, was er von mir wollte. Manchmal nahm ich an, er dachte, ich konnte seine Gedanken lesen.
„Was sollte das im Fahrstuhl?"
„Ähm ...ich ..."
„Du hast mich abgecheckt. Erst die junge Frau und dann ..."„Psst. Rede doch nicht so laut." Ich drängte mich an ihm vorbei und schloss die Tür. Scheiße, wie sollte ich ihm das jetzt erklären? Vielleicht mit ein paar Batmanmetaphern? Nein, das würde mich am Ende mehr durcheinanderbringen als ihn.
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High Walls - Larry Stylinson FF
FanficWenn du die Liebe gefunden hast, lass sie nie wieder gehen. Leider ist das Finden oder auch das Festhalten gar nicht so einfach ... Harry ist ein erfolgreicher Anwalt und leitet mit seinem besten Freund Tom eine Kanzlei in Manhattan. Er ist Single...