Nach ein paar Minuten stieg ich aus dem Bett, zog mir etwas über und ging langsam die Treppe hinunter. Ich hoffte inständig, dass er nicht einfach wieder verschwunden war. Er stand vor der Kaffeemaschine und starrte zum Fenster hinaus.
„Lou? Habe ich etwas falsch gemacht? Ich dachte du ... wolltest auch ... also ...na ja ...?" Ich war schon mal besser darin eine Frage zu formulieren. Sicherheitshalber blieb ich ein paar Schritte von ihm entfernt stehen.
„Nein ... nein, hast du nicht." Ich ließ die Luft aus meiner Brust entweichen, die ich unbewusst angehalten hatte. Ich hatte tatsächlich etwas Angst vor seiner Antwort.
„Es tut mir leid. Ich wollte dich nicht so überrumpeln. Keine Ahnung, was mit mir los ist. Ich kann es nicht abstellen ... mein Verlangen ... nach dir und ich ... will dir ... einfach nur nah sein." Ich fuhr mir durch meine Haare und hoffte, er würde sich endlich umdrehen und mich ansehen. Es fiel mir nicht leicht diese Worte auszusprechen.
„Willst du auch einen Kaffee?", fragte er stattdessen, ohne auf das Gesagte von mir einzugehen. Ich sah nach unten auf den Boden und schüttelte den Kopf.
„Schon gut, ich brauchte nichts", antwortete ich und es zog verdächtig in meiner Brust. Es tat weh, dass er mich so abblitzen ließ. Ich drehte mich um und war schon im Begriff die Küche zu verlassen, da hörte ich meinen Namen.„Harry, warte." Ich wand mich ihm zu und mit einem Mal war er bei mir und schlang seine Arme um meine Taille und drückte sich fest an mich. Ich umschloss ihn ebenfalls, küsste seinen Kopf und vergrub dann mein Gesicht in seinen Haaren. Eine Wärme entstand in meinem Herzen und es fühlte sich an, als würde jemand in mir ein Feuer schüren.
„Ich will bei dir sein", sagte er ganz leise, aber ich hatte es gehört und ein Lächeln bildete sich auf meinen Lippen. Nun erwachte auch der Schwarm Schmetterlinge, die mittlerweile in meinem Bauch wohnten. Jetzt spürte ich wieder diese angenehme Ruhe in mir. Es war, als fehlte mir etwas, wenn ich ihn nicht um mich hatte. Ich konnte es nicht richtig greifen und erklären. Aber was auch immer es war, es nistete sich in meinem Herzen ein und breitete sich aus.
Irgendwann lösten wir uns voneinander, was eine gewisse Kälte in mir hinterließ und ich bekam eine Gänsehaut.
„Lou, soll ich deinen Fall abgeben? Ich meine, dass hier zwischen und könnte es schwierig machen", sagte ich, denn ich wollte seine Meinung dazu hören. Ich machte mir ständig darüber Gedanken, aber ihn hatte ich noch nicht direkt gefragt. Und es war besser es jetzt zu wissen und zu handeln als kurz vor dem Prozess.
„Denkst du, du verlierst deine Objektivität?", fragte er mit hochgezogenen Augenbrauen.
„Ich will eine ehrliche Antwort. Ich brauche ein paar Details aus deinem Leben, dem Abend des Unfalls und wenn du es mir nicht erzählen willst, weil wir ..., dann ..."
„Dann?"
„... besorgen wir dir einen neuen Anwalt."
„Nein, ich will dich." So wie er das sagte und mich dabei ansah, verwandelte sich mein Magen in ein Trampolin und mein Herz schlug darauf ein Salto nach dem anderen. Ich war mir nicht ganz sicher, ob sich seine Antwort nur auf die anwaltliche Ebene bezog. Ich hoffte nicht.
„O-O-Okay." Ich schluckte schwer und stotterte schon wieder.Ich zog ihn an einem Arm wieder zu mir und verband unsere Lippen miteinander. Meine Augen fielen automatisch zu und ich verlor mich in diesem Kuss. Er war zärtlich und sanft, beinhaltete so viel Gefühl, dass meine Knie butterweich wurden. Ich konnte mich nur schwer von ihm trennen, als er den Kuss langsam beendete.
„Gehen wir auf die Couch", meinte er nur und nahm seine Kaffeetasse und ich folgte ihm.
Er setzte sich und zog die Beine an die Brust und umarmte sie. Sein Kaffee stand dampfend auf dem Couchtisch. Ich nahm neben ihm Platz und strich über seinen Rücken.„Harry, ich ... es hatte nichts mit dir zu tun, dass ich ..." Er schnaubte und legte seine Stirn auf seine Knie.
„Ist schon okay, Lou. Ich war wohl etwas übereifrig", gestand ich mir ein und versuchte zu lächeln, was mir aber nicht recht gelang.
„Nein, ich fand es schön, sehr schön sogar." Er drehte den Kopf und sah mich an. Täuschte ich mich oder hatte er Tränen in den Augen? Warum weinte er?„Weißt du, es ist schon lange her, dass mich jemand auf diese Art berührt hat." Er schaute wieder geradeaus und ich verharrte in meiner Stellung und wartete. Vielleicht wollte er sich etwas von der Seele reden. Ich für meinen Teil hatte mindestens hundert Fragen.
„Das hier ...", er lächelte leicht „... zwischen uns ... ist total verrückt, aber es fühlt sich irgendwie richtig an. So als, wäre ich bei dir in Sicherheit und müsste keine Angst mehr haben." Wovon sprach er? Wovor hatte er Angst? Da lag ich mit meinen anfänglichen Vermutungen wohl nicht so daneben. Angst, war damals das erste Wort, dass mir in den Sinn kam, als er diesen Alptraum und sich auf dem Bett zusammengerollt hatte.
„Kennst du das Gefühl, wenn irgendetwas geschehen ist und du es einfach nicht wahrhaben willst? Das du denkst, das kann nicht dein Leben sein? So als würdest du einen echt schlechten Film sehen und auf den Abspann warten?" Er sah mich fragend an.
„Nein, nicht wirklich", antwortete ich wahrheitsgemäß. Er lächelte sanft.
„Gut für dich." Leider bekam ich nicht mehr von ihm.
„Willst du darüber reden?", fragte ich vorsichtig.
„Nein, eigentlich nicht." Er nahm seine Tasse und sah hinein. Der heiße Dampf stieg nach oben und er atmete tief ein. Dann wurde es still. Zu still. Er wirkte auf einmal sehr bedrückt. Vor ein paar Minuten war seine Stimmung noch vollkommen anders.„Ich brauche einen Moment für mich", sagte er plötzlich und stand auf. Er ging zur Tür, zog sich seine Schuhe an und verließ das Appartement.
Ich starrte auf die geschlossene Tür und wusste nicht, wie ich sein Verhalten einordnen sollte. Die letzten Tage waren so schön mit ihm. Er lachte und ich hatte das Gefühl ich kam langsam zu ihm durch, aber jetzt baute er wieder diese Mauer um sich auf.Da ich nicht wusste, was ich jetzt machen sollte, ging ich nach oben und suchte mein Handy. Als ich es unter der Decke hervorholte und es wieder anschaltete, hatte Tom noch dreimal versucht anzurufen. Gott, es war Samstag. Ich wählte seine Nummer und wartete darauf, dass er abnahm, während ich mich wieder auf mein Kissen legte.
„Hey, Harry, schön dass du zurückrufst", meinte er und klang etwas gehetzt.
„Sorry, war beschäftigt. Was ist denn los?"
„Ich wollte dir nur sagen, dass ich dich am Montagmorgen bei dir zu Hause abhole. Ich muss noch mit Felix zum Arzt. Er hat eine fiese Erkältung und Fieber und fühlt sich nicht gut. Danach bringe ich ihn zu meiner Mum. Es wird also etwas später. Ich denke so gegen 10 Uhr. Ist das okay für dich oder willst du vorher in die Kanzlei fahren?" Ich konnte länger schlafen, in Ruhe meinen Kaffee trinken und frühstücken?„Ach nein, das ist vollkommen in Ordnung", entgegnete ich grinsend.
„Alles klar, dann bis Montag."
„Richte Felix gute Besserung von mir aus."
„Mach ich." Er legte auf und ich stand wieder auf und warf einen Blick aus dem Fenster. Ich konnte die ganze Straße gut überblicken, aber von Louis fehlte jede Spur.Also tat ich das, was ich schon zweimal begonnen hatte, und ging ins Internet. Ich gab Louis Namen ein und sofort poppten mehrere Ergebnisse zu ihm auf. Ich ging auf den ersten Link und erfuhr so, dass er bis vor zwei Jahren eine eigene Werbeagentur besaß. Ich arbeitete mich weiter durch, aber da die Website logischerweise nicht mehr existierte, konnte ich mir kein Bild davon machen. Ich fand noch ein paar Einträge, welche die Arbeit seiner Agentur bewerteten und die waren alle durchweg positiv. Das brachte mich aber auch nicht weiter. Natürlich konnten Firmen Pleite gehen, dass erlebte ich Tag für Tag. Entweder wurden sie aufgekauft oder ein paar falsche finanzielle Entscheidungen führten schnell zum Untergang.
Aber das war nicht das, was bei mir für ein mulmiges Gefühl sorgte. Es war seine ganze Art, die merkwürdigen Narben auf seiner Brust, dass er blutüberströmt vor meiner Tür stand. Irgendetwas hatte dazu geführt, dass er abgerutscht war. Warum sollte er sonst an dieser Tankstelle gearbeitet und in dieser absolut furchtbaren Ecke in New York gelebt haben? Das passte alles nicht zusammen. Da musste definitiv mehr dahinterstecken. Aber sollte ich weiter Nachforschungen betreiben? Mit Sicherheit war es nicht schwer, mehr darüber herauszufinden, warum die Firma kaputt gegangen war. Nur hatte sich unsere Freundschaft auf ein anderes Level begeben und mir war nicht klar, wie er reagieren würde, wenn ich in seinem Leben herumschnüffelte. Vielleicht behielt er es lieber für sich? War es denn wirklich von Belang für diesen Fall?
Sich mit Klienten einzulassen, war eine saudumme Idee. Jetzt verstand ich den Gedanken dahinter, warum man es tunlichst vermeiden sollte. Aber darüber nachzudenken, war mühselig, denn der Zug war bereits abgefahren und ich war nicht bereit abzuspringen. War ich zu egoistisch? Sollte ich diese Gefühle nicht lieber wieder tief in mir vergraben? Das war echt eine verfahrene Situation, aber er wollte keinen anderen Anwalt. Oder hatte er es nur gesagt, weil er mir nicht auf die Füße treten wollte?
Im nächsten Augenblick hörte ich die Tür und schloss die Internetseite. Ich musste darüber nachdenken.
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High Walls - Larry Stylinson FF
FanfictionWenn du die Liebe gefunden hast, lass sie nie wieder gehen. Leider ist das Finden oder auch das Festhalten gar nicht so einfach ... Harry ist ein erfolgreicher Anwalt und leitet mit seinem besten Freund Tom eine Kanzlei in Manhattan. Er ist Single...