Kapitel 1

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Harrys Pov.

1. Woche

Mein Handy klingelte noch bevor mein Wecker dazu die Chance hatte. Mit einem halb geöffneten Auge angelte ich danach und drückte auf den grünen Hörer.
„Hallo?", meldete ich mich verschlafen.
„Guten Morgen, Herr Anwalt ...", ich stöhnte, denn ich wusste, was jetzt kommen würde.
„Nein", sagte ich direkt, legte auf und knallte das Handy auf mein Bett. Keine zehn Sekunden später nervte es schon wieder.
„Was ist?", fragte ich.
„Harry, du musst zu Gericht. Eine Kautionsverhandlung. Der andere Kollege ist kurzfristig abgesprungen. Man hat uns um Hilfe gebeten."
„Ach, Tom, kannst du das nicht übernehmen?" Ich drehte mich auf den Rücken und zog mir die Decke bis hoch zum Kinn.
„Du weißt, dass ich dann den Termin mit den Leuten von SBC habe. Ich bin schon im Büro, während du noch im Bett herumlümmelst."
„Sehr witzig. Um was geht es denn?" Ich setzte mich auf und fuhr mir durch meine Haare.
„Fahrerflucht mit Todesfolge. Dein Pro Bono Fall für diesen Monat. Die hast du doch besonders gern", stichelte mein Partner.
„Ja, habe ich. Nicht jeder kann sich einen teuren Anwalt leisten und die Pflichtverteidiger sind restlos überlastet ..."
„Bitte, halt mir nicht wieder einen Vortrag über unser Rechtssystem. Ich habe auch Jura studiert, falls du dich erinnerst", unterbrach mich Tom.
„Außerdem hast du mal wieder die Chance, dich ins Strafrecht zu stürzen. Das fehlt dir doch so", sagte er und lachte.
„Wenn du so weiter machst, gehe ich nirgendwo hin", antwortete ich.
„Natürlich wirst du das."
Er kannte mich einfach zu gut.

„Der Termin ist um zehn Uhr und ich habe bereits zugesagt." Ich schaute auf die Uhr. Das würde etwas knapp werden.
„Hast du Einzelheiten für mich? Ich werde ungern erst im Gerichtssaal mit unschönen Details überrascht", wollte ich wissen und schwang mich aus dem Bett. Ich trottete ins Bad und stellte die Dusche an. Das Handy schaltete ich auf Lautsprecher um.

„Ich weiß nur, dass er von der Polizei vor zwei Wochen verhaftet wurde, nachdem sein Fahrzeug in einen Unfall verwickelt war. Es kam eine obdachlose Frau mittleren Alters ums Leben. Ein Anwohner hatte sich wohl einen Teil des Kennzeichens gemerkt. Die Beamten fanden ihn zu Hause und er hat sich nicht gewehrt und ist mitgegangen. Seitdem sitzt er in Haft", erklärte Tom, während mir das warme Wasser über die Schultern lief.

„Und hat er sich dazu geäußert, ob er es war?", fragte ich und trocknete mich auch schon ab.
„Steht hier nicht, aber ich werde es sofort in Erfahrung bringen."
„Großartig, ich liebe so eine Aktenführung", gab ich darauf zurück. „Schick mir bitte eine E-Mail mit allem, was du über den Fall noch findest. Ich fahre gleich zu Gericht", sagte ich und angelte mir ein weißes Hemd aus dem Schrank. Als ich angezogen war, kochte ich mir noch schnell einen Kaffee und gab ihn in meine Thermotasse. Danach verließ ich mein Appartement, welches in Williamsburg lag und ging zu meinem schwarzen Range Rover und startete ihn.

Seit drei Jahren hatten Tom und ich unsere eigene Kanzlei. Nach dem Studium lernten wir uns in einer großen Anwaltskanzlei kennen, aber wir wollten beide etwas Eigenes auf die Beine stellen und nicht für immer die Lakaien bleiben. In einem euphorischen Anfall von Wir-bekommen-alles-auf-die-Reihe, eröffneten wir unsere Kanzlei mitten in Manhattan. Zum Glück bekamen wir etwas Starthilfe von Toms Eltern. Der Anfang war nämlich alles andere als leicht, aber wir spezialisierten uns auf Wirtschafts-, Steuer- und Arbeitsrecht. Langweiliger ging es kaum, aber wir waren jung und brauchten das Geld, wie Tom immer zu sagen pflegte. Wir arbeiteten hart und vertraten ein paar gut gehende Firmen, welche mit unserer Arbeit mehr als zufrieden waren. So bauten wir uns einen soliden Mandantenstamm auf und konnten uns nicht beschweren. Wir beschäftigten mittlerweile noch zwei Anwälte, Ricky und Martin, die gerade ihr Studium beendet hatten und zwei Sekretärinnen, die uns den Rücken freihielten. Ohne sie, wären wir echt verloren.

High Walls - Larry Stylinson FFWo Geschichten leben. Entdecke jetzt