Slytherins Schulsprecher

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Die Schulwoche plätscherte dahin.
Es war immer noch warm, aber eine andere Wärme als die während der Ferienzeit. Man konnte spüren, dass der Herbst sich näherte.
Für Draco war es das perfekte Wetter. Es war warm, aber nicht heiß, denn er hasste Hitze, insbesondere während der Schulzeit, wenn man gezwungen war Schuluniformen zu tragen und sich darin totschwitzte. Er hasste aber auch die Kälte des Winters, zumindest in Hogwarts. Vor seiner Einschulung war ihm die Kälte egal gewesen, denn das Manor war Tag und Nacht erwärmt durch Kamine und Wärmezauber. Hier im Schloss war es im Winter in den Klassenräumen und auf den Gängen häufig schrecklich kalt.
Aber der beginnende, zart anklingende Herbst war perfekt, zumindest solange es nicht regnete. Draco fühlte sich bei den derzeitigen Temperaturen wohl, außerdem war es genau das richtige Wetter, um zu trainieren. Das Fliegen auf dem Besen mit der Mannschaft machte Spaß, aber auch das Laufen am See und die Übungen im Trainingsraum.
Sein Treffen mit dem Wasserjungen rückte auch immer näher, und Draco fieberte dem Termin entgegen. Auch Blaise war aufgeregt und wollte wieder dabei sein. Und Theo konnte es kaum abwarten, Kanja das erste mal zu sehen.
Draco hatte im Beisein der beiden ein paarmal den Kopfblasenzauber geübt und es hatte nach ein paar Anlaufschwierigkeiten auch gut funktioniert.
Im Unterricht passierte nichts Ungewöhnliches. Allerdings begann Veteidigung gegen die Dunklen Künste sich langsam zu Dracos Hassfach zu entwickeln. Schlimmer war eigentlich nur Geschichte der Zauberei, bei Professor Binns, einem Geist, der im Schreibtisch schwebend langweilige Monologe hielt. Aber auch Verteidigung gegen die Dunklen Künste war schrecklich, bei Lockhart sogar noch schlimmer als bei Quirrell im letzten Schuljahr. Draco hatte bei dem ganzen Schwachsinn, den Lockhart jede Stunde erzählte, mittlerweile die Lust verloren, sich gegen irgendwelche Dunklen Künste zu verteidigen. Vielleicht sollte er lieber welche lernen und damit dann Lockhart verhexen. Und wie die Mädchen alle diesen Typen anhimmelten! Draco bekam Brechreiz davon. Er konnte es kaum ertragen, wenn sie zusammen mit den Gryffindors im Klassenzimmer von Lockhart saßen. Pansy und Millicent wirkten nicht sehr interessiert, aber Daphne und Tracey kicherten ständig dümmlich über Lockharts Witze. Die Gryffindor-Mädchen waren noch schlimmer. Hingen an Lockharts Lippen als wäre er ein Heiliger. Und Potters tolle Freundin Hermine Granger wurde jedes Mal rot, wenn der Professor sie aufrief.
Was fanden die Mädchen an ihm? Der Typ war alt, bestimmt schon dreißig oder so. Unglaublich.
Draco war also froh um jede Minute Freizeit, die er hatte. So wie auch jetzt gerade.
Er saß im Gemeinschaftsraum, mit Greg und Vincent, und spielte Zauberschnippschnapp. Eigentlich müssten sie an einem Aufsatz arbeiten, Bücher dafür lagen auf dem Tisch neben ihnen verstreut, aber die Pause tat ihnen allen gut.
Theo hatte sich etwas abseits in einen Sessel gelümmelt und sich in einen Roman vertieft. Blaise war vorhin verschwunden, ganz unauffällig, und Draco hatte keine Ahnung, wohin.
Ein paar andere Slytherins waren ebenfalls anwesend, in kleinen Grüppchen saßen sie zusammen und redeten.
Mitten in einer Runde Zauberschnippschnapp senkte sich das Sofa neben Draco plötzlich ab.
„Hey, kann ich mir das mal ausleihen?“
Es war Terence Higgs, der nach einem ihrer Bücher griff und es nun leicht schwenkte.
Das schlechte Gewissen kroch Draco heiß den Hals hinauf.
Bisher hatte er Terence nicht darauf angesprochen, dass er ihm einfach so seinen Posten in der Mannschaft weggenommen hatte.
„Äh...“, machte er daher nur.
Terence wartete, während Gregory und Vincent einfach alleine weiterspielten.
Als er nach ein paar Sekunden immer noch nichts sagte, fragte Terence: „Alles ok? Wenn du das Buch gerade brauchst, dann sag es einfach, ist doch kein Ding.“
„Nein, nein, nimm es“, murmelte Draco und wich Terence' Blick aus.
„Ok“, sagte dieser und erhob sich.
„Warte mal!“
Draco erschrak über sich selbst.
Warum hielt er Terence zurück?
Dieser sank wieder auf das schwarze Ledersofa.
„Ja?“
Dracos Herz schlug schmerzhaft in seiner Brust.
„Terence, deine Position in der Mannschaft... Wollte es schon eher ansprechen... Ist richtig blöd gelaufen, ich meine...“
Er brach ab.
Terence' Blick ruhte ruhig und nachdenklich auf ihm.
„Hast du deshalb dieses Schuljahr bisher nicht mit mir geredet?“
Draco sah auf und sah direkt in Terence' hellblaue, durchdringende Augen.
„Vielleicht?“, gab er zögernd zu.
Terence seufzte und lehnte sich zurück.
„Ich gebe zu, als Marcus auf mich zukam, war es erst nicht leicht für mich“, sagte Terence. „Ich liebe Quidditch, ich liebe unser Team.“
Draco senkte den Blick. Wut und Scham kämpften auf seltsame Weise in seiner Brust.
„Ich habe sehr gerne in der Mannschaft gespielt. Auf der anderen Seite... Die Besen sind eine ganz tolle Chance für uns. Und du fliegst gut, hat Marcus gesagt. Wir müssen alle Vorteile nutzen, die wir haben. Außerdem bleibe ich ja in der Mannschaft, als Ersatzspieler.“
Draco sah auf.
„Tatsächlich?“
Terence nickte.
„Ja. Bevorzugt soll ich natürlich für dich einspringen, solltest du krank werden, aber Marcus meinte, ich würde sicherlich auch einen guten Jäger abgeben, so dass ich notfalls auch da einspringen könnte. Kann ja immer mal was sein. Und, Draco, um dir ein wenig das schlechte Gewissen zu nehmen – ich hatte sowieso vorgehabt, nur noch dieses Jahr fest in der Mannschaft zu spielen und dann nur noch Auswechselspieler zu sein. Marcus wusste das.“
„Aber wieso?“, fragte Draco schockiert. „Du spielst großartig!“
„Danke“, grinste Terence und fuhr fort: „Ava und Lucian sind nächstes Jahr nicht mehr da. Ich wünsche mir seit der Ersten, irgendwann Vertrauensschüler zu werden. Ich meine, die Lehrkräfte entscheiden, wer es wird, daher kann ich nur hoffen, dass sie mich auswählen. Ich finde das Amt großartig. Aber Quidditch und Vertrauensschüler... Puh... Lucian macht das, aber ich sehe, was für ein Spagat das für ihn ist. Er hat neben dem ganzen Schulkram überhaupt keine Freizeit. So wäre ich nicht. Wenn ich Vertrauensschüler werde nächstes Jahr, käme Quidditch für mich nicht mehr in Frage, also nur auf der Reservebank. Lucian ist häufig wirklich am Ende seiner Kräfte.“
Draco sah Terence erstaunt an.
Lucian war wie Marcus sein großes Vorbild, und der trainierte, starke und stets ruhige und faire Vertrauensschüler war ihm nie überarbeitet vorgekommen. Aber vielleicht zeigte er es auch einfach nach außen hin nicht.
Draco schätzte nun noch mehr, dass Lucian immer ein offenes Ohr für sie hatte und plötzlich kamen ihm die Dinge, mit denen sie ihn manchmal genervt hatten, unwichtig und albern vor.
Ja, Lucian leistete viel, und so richtig bedankt hatte Draco sich noch nie.
„Am liebsten wäre ich irgendwann Schulsprecher“, fuhr Terence fort. „Glaube, Ava und Lucian hätten das Amt auch gerne, aber sie sind da genauso realistisch wie ich. Slytherins werden keine Schulsprecher. Das würden die Lehrkräfte nie zulassen. Da würde es viel zu viel Unmut unter den anderen Häusern geben.“
Irgendwie traf Terence' Aussage ihn.
Wenn das tatsächlich stimmte, war das eine riesengroße Ungerechtigkeit, fand er.
„Also ist es wichtig“, sagte Terence. „dass wir Slytherins zusammen halten. Wenn die anderen Häuser uns alle schon wegbeißen und das Lehrpersonal sich einen Scheiß um uns kümmert, müssen wir um so mehr eine Einheit sein. Ich möchte mich also nicht wegen Quidditch mit dir überwerfen.“
Draco zögerte.
„Terence, warum?“, fragte er. „Warum hassen uns die anderen?“
Terence seufzte.
„Die sind glaube ich auch viel neidisch“, sagte er dann. „Schau mal, was die meisten von uns alles haben. Wir kommen fast alle aus Familien, die viel Geld haben, aus welchen Gründen auch immer. Wir können uns also kaufen, was andere nicht können. Wir genießen meistens schon vor Hogwarts eine andere Schulbildung und können daher häufig mehr. Wir wissen, welche Vorteile wir haben und verstecken das auch nicht. Unbewusst wollen die anderen das doch auch.“
Das leuchtete Draco ein. Aber dennoch...
„Das ist nicht alles, oder?“
„Vermutlich nicht“, gestand Terence. „Slytherin hat einen schlechten Ruf. Weil wir eben nicht wollen, dass das Talent der Zauberergemeinschaft herabgesetzt wird, indem wir uns mit Muggeln mischen. Sie hören es nicht gerne, aber magisches Blut wirkt auch mehr Magie. Unreines Blut mindert die Magie. Das weißt du sicher.“
„Natürlich“, sagte Draco sofort. Das hatten ihm seine Eltern schon erklärt, kurz nachdem er einigermaßen sprechen gelernt hatte.
„Naja, und es gab eben Vertreter im Haus Slytherin, die mit Gewalt durchsetzen wollten, dass Muggel und Schlammblüter aus unserer Gesellschaft verschwinden. Also denken die anderen Häuser, dass wir das alle tun würden. Jederzeit zu Gewalt greifen, meine ich.“
„Du weißt schon wer war so jemand, richtig?“
Terence nickte.
„Ja.“
Draco dachte kurz über Terence' Worte nach.
„Verstehe. Danke, Terence. Du hast mir gerade mit mehreren Dingen sehr weiter geholfen. Und ich bin froh, dass du nicht sauer auf mich bist.“
„Hey, kein Ding. Eigentlich hast du mir einen Gefallen getan. Ich hatte schon etwas Stress und Diskussionen, weil im Raum stand, dass ich dieses Jahr viel Zeit mit Quidditch verbringen werde.“
„Diskussionen?“, hakte Draco nach. „Mit wem?“
Der Viertklässler grinste plötzlich von einem Ohr zum anderen.
„Ich hab seit Kurzem eine Freundin“, erklärte er. „Du hast so sozusagen die erste Beziehungskrise verhindert. Hab so jetzt mehr Zeit für sie.“
Draco lachte, als Terence sich schmunzelnd erhob und sie wieder alleine ließ.

A Death Eater's Tale Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt