Sie waren mit Vorsicht zu genießen, das hatte Draco nun begriffen.
Potter und Weasley hatten offensichtlich keine Hemmungen, übergriffig zu werden.
Er hatte am Weihnachtsabend mit Theo noch eine halbe Ewigkeit gebraucht, um Greg und Vince zu finden. Mit einem Tarnzauber versehen waren sie durchs Schloss gestromert, denn es war bereits nach Sperrstunde.
Sie schafften es, Peeves aus dem Weg zu gehen und Filch an der Nase herumzuführen. Die Kontrollen waren auch nicht so verschärft wie zu normaler Schulzeit, Vertrauensschüler waren gar nicht unterwegs. So konnten sie es wagen, ab und an leise die Namen ihrer beiden Freunde zu rufen.
Irgendwann antwortete ihnen ein verzweifeltes Klopfen.
Vincent und Gregory waren in einer Besenkammer eingeschlossen worden.
Draco und Theo lauschten ungläubig der Geschichte, die sie erzählten.
Sie waren die Letzten in der Großen Halle gewesen, hatten Pudding gegessen und wollten schließlich vor Sperrstunde in den Gemeinschaftsraum gehen.
Als sie die Halle verließen, fanden sie im Vorraum auf dem Treppengeländer zwei mit Schokolade überzogene Muffins. Sie gingen davon aus, dass andere Schüler diese aus der Großen Halle mitgenommen hatten, um sie später zu essen, und sie dann dort vergessen hatten. Also aßen sie sie selbst.
Dann wurde ihre Erzählung wirr. So richtig konnten sie sich wohl selbst nicht mehr erinnern. Sie wussten nur noch, dass ihnen schummrig wurde und dann brachen die Erinnerungen ab. Sie wachten ohne Schuhe in der Besenkammer auf.
Für Draco war der Fall ziemlich schnell klar: Die Muffins waren mit Absicht dort drappiert worden und irgendetwas war hinein gemengt worden. Und offensichtlich steckten Potter und Weasley dahinter. Denn Draco hatte keine Zweifel, dass es die beiden gewesen waren, die er mit in ihren Gemeinschaftsraum genommen hatte.
Er kochte vor Wut.
Sie hatten ihn ganz offensichtlich aushorchen wollen, diese beiden Mistkerle.
Und er war sich sicher, dass Hermine Granger in der ganzen Sache mit drin steckte.
Es ergab plötzlich alles Sinn: Der Feuerwerkskörper in Snapes Unterricht. Die gestohlenen Zutaten. Grangers schlechtes Gewissen, schon seit einer geraumen Weile, was er ständig sehen konnte, wenn er ihr in die Augen sah.
Sie hatte gewusst, dass Potter und Weasley vorhatten, ihn auszuhorchen.
Theo konnte sich die Verwandlung der beiden Gryffindors nur mit Vielsafttrank erklären, was Draco sich kaum vorstellen konnte, schließlich dauerte es einen Monat, ihn herzustellen, außerdem war es ein sehr komplizierter Trank.
Aber dann dachte er wieder an Granger.
Er gab es nur ungern zu, aber sie war belesen wie Theo, und sie war clever. Sie wusste alles im Unterricht. Er würde es Potter und Weasley nicht zutrauen, dass sie den Vielsafttrank brauen konnten, ihr schon.
Er verstand nicht ganz, warum die Gryffindors ihn aushorchen wollten, allerdings schienen sie irgendwie davon auszugehen, dass er mehr über den Erben Slytherins wusste.
Als die Ferien vorbei waren, das neue Jahr begonnen hatte und Blaise zurückkehrte, gingen sie gemeinsam wieder und wieder das durch, was Draco versehentlich an Potter und Weasley verraten hatte. Dracos Vater hatte ihm alles im Vertrauen geschrieben und er plauderte es an diese dämlichen Gryffindors aus!
Die erste Zeit wartete er darauf, dass sie das Wissen zu irgendetwas nutzten, aber sie posaunten es nicht heraus, noch erzählten sie irgendwo herum, dass sie sich in den Slytherin-Gemeinschaftsraum geschlichen hatten.
Es war frustrierend, nicht zu wissen, was in den bescheuerten Köpfen von Potter und Anhang vor sich ging.
Ebenso frustrierend war das nächste Treffen mit Kanja.
Zwar hatte der Wasserjunge tatsächlich herausgefunden, dass Draco mit seiner Vermutung richtig gelegen hatte und die ursprünglichen Merrows hier von Salazar Slytherin angesiedelt worden waren, er konnte ihm aber keine Auskunft geben, ob ihre Vermutungen bezüglich Hufflepuff - der Wald - oder Ravenclaw - die Treppen - richtig waren. Allerdings war Draco sich da bereits sowieso ziemlich sicher, dass er richtig lag.
Eine kleine Idee hatte Kanja allerdings bezüglich Gryffindor.
„Wenn Hufflepuff den Wald und die magischen Kreaturen zum Schutz aufgebaut hat, passt das zu ihr", stellte er fest. „Und die ausgeklügelte Magie der sich bewegenden Treppen passt auch zu Ravenclaw, außerdem habt ihr dort auch das Symbol gefunden. Slytherins Sicherheitsmaßnahme hast du auch herausgefunden. Er hat sich auf euer Element, das Wasser, bezogen. Du musst nun also überlegen: Was macht einen Gryffindor aus? Dann wirst du sicher auch auf die Verteidigungsmaßnahme von Godric Gryffindor kommen."
Draco fielen keine Eigenschaften der Gryffindors ein außer Idiotie, Größenwahn und lebensgefährdender Übermut, aber er stimmte zu, einmal darüber nachzudenken.
Auch zur Kammer fragte er den jungen Merrow.
„Diese ist auch bei uns gerade Thema", seufzte Kanja. „Ich denke, ich kann da sicher mehr rausfinden, die Erwachsenen reden sowieso kaum über etwas anderes."
Dann kam aber die ernüchternde Erkenntnis, dass Draco sich bis zum Frühjahr gedulden musste.
Kanja erklärte, dass sein Volk und er sich grundsätzlich die ersten drei Monate eines jeden neuen Jahres weit in die tiefsten Regionen des Sees zurückzogen und er eigentlich nur gekommen war, um Draco mitzuteilen, dass sie sich erst im April wiedersehen würden. Der See war bereits fast vollständig zugefroren und es würde in den nächsten Wochen nicht besser werden.
Etwas anderes, was Draco ebenfalls beschäftigte, war die Tatsache, dass Hermine Granger mehrere Wochen nicht am Unterricht teilnahm.
Ziemlich schnell fand er heraus, dass sie im Krankenflügel war, und das bereits seit Weihnachten.
Draco fand es einen merkwürdigen Zufall, dass sie seitdem verschwunden war, seit Potter und Weasley sich als Vincent und Gregory getarnt in den Slytherin-Gemeinschaftsraum geschlichen hatten.
War es vielleicht eine Lüge? War sie gar nicht im Krankenflügel?
Zweimal versuchte Draco, sie angeblich zu besuchen, aber Madam Pomfrey passte auf wie ein Wachhund, dass niemand den Krankenflügel betrat.
War Granger wirklich im Krankenflügel oder war das eine Ausrede? Aber wo sollte sie sonst sein?
Und wenn sie tatsächlich krank war - dann, bei allen vier Gründern, wodurch? Was hatte sie? Was war so schlecht heilbar, dass man mehrere Wochen im Krankenflügel verbringen musste?
Ziemlich schnell ging das Gerücht herum, Hermine Granger sei versteinert worden.
Bei dem Gedanken krampfte jedes Mal Dracos Magen und er wusste selbst nicht, warum.
Nun war es Theo, der ihn unabsichtlich zu einem Besuch im Krankenflügel verhalf.
Es war an einem späteren Nachmittag nach Schulschluss.
Draco wollte im Trainingsraum ein wenig seine Muskulatur trainieren und wurde von Theo und Blaise begleitet. Greg und Vince konnten mit den Trainingseinheiten der anderen Jungs nichts anfangen und blieben im Gemeinschaftsraum.
Theo, dessen Stimme immer wieder verrückt spielte, obwohl er tatsächlich nicht heiser geworden war, verabschiedete sich dann etwas früher, da er noch in die Bibliothek wollte, ehe sie für den heutigen Tag schloss, also trainierten Blaise und Draco alleine weiter. Blaise war ein angenehmer Trainingspartner, er nahm den Sport sehr ernst und schien ganz erpicht darauf, Muskulatur aufzubauen. Wenn sie kurz pausierten, machte er Witze oder Draco fragte ihn über seine Freundin aus. Wobei diese als Person ihn eher weniger interessierte, sondern mehr die Tatsache, was Blaise so mit ihr trieb. Draco konnte kaum glauben, dass er wohl ziemlich viel mit ihr rumknutschte und das wohl auch noch toll zu finden schien. Draco wurde immer neugieriger und war gespannt darauf, wann er seine erste Freundin haben würde. Ihm fiel durchaus auf, wie die Mädchen ihn beim Quidditchtraining oder in der Bibliothek beobachteten. Blaise meinte, die würden nur darauf warten, dass Draco sie ansprach, aber so richtig traute er sich das nicht zu.
Schließlich duschten sie rasch. Mittlerweile hatte er schon ab und an mit Theo und Blaise zusammen in der Gemeinschaftsdusche geduscht und Draco war beruhigt zu sehen, dass seine Sorge unbegründet gewesen war. Er durfte sich tatsächlich nicht mit den älteren Jungen vergleichen. Blaise und Theo schienen sich ähnlich zu entwickeln wie er, er musste sich also keine Gedanken machen.
Als sie sich nun auf den Weg zur Bibliothek machten, um dort Theo abzuholen, erwartete sie eine Überraschung, und zwar keine schöne.
„Eine Prügelei in der Bibliothek, dass ich das erleben muss!"
Es war Madam Pince, die Theo am Kragen aus der Bibliothek zog.
Hinter den beiden gingen zwei Gryffindors, dieser McLaggen und ein anderer Junge, ebenfalls wie McLaggen aus der Dritten.
McLaggen hielt sich ein Tuch gegen die Nase, was sich rot verfärbte, und der andere Drittklässler hatte eine aufgeplatzte Lippe.
Aber das war nichts gegen Theo.
Dieser drückte seinen Ärmel gegen seine Nase, trotzdem tropfte Blut auf sein Oberteil. Auch an seinem Mund war Blut, und Draco war sich ziemlich sicher, dass es nicht nur von der Nase stammte. Außerdem war sein eines Auge eindeutig dabei, in überraschend schnellem Tempo zuzuschwellen.
„Theo!", rief Blaise entsetzt aus. „Du siehst total schlimm aus!"
„Kein Wunder", meinte Madam Pince spitz. „wenn man sich mit zwei anderen gleichzeitig prügelt."
„Ihr habt ihn zu zweit angegriffen?", fuhr Blaise die beiden Gryffindors an.
Ehe einer von den beiden reagieren konnte, gab die Bibliothekarin die Antwort: „Genau genommen hat er die beiden angegriffen!"
Draco sah Theo an, der aber wütend zu McLaggen und dessen Freund starrte.
Bis vor Kurzem hätte Draco es für Blödsinn gehalten, dass Theo irgendjemanden angriff, aber er erinnerte sich noch zu gut, wie er auf den Ravenclaw losgegangen war.
„Sie können gehen", sagte Pince unfreundlich zu den Gryffindors. „Ich werde Professor McGonagall über Ihr Verhalten unterrichten. Und Sie-"
Sie sah streng Theo an, ließ aber endlich dessen Kragen los.
„-gehen direkt in den Krankenflügel."
„Nicht nötig", brummte Theo gereizt und klang merkwürdig nasal dabei.
„Dies ist kein Ratschlag, sondern eine Anordung!", kam es von Pince. „Ihre Nase ist offensichtlich gebrochen und Sie sollten die Zähne kontrollieren lassen, da könnte der eine oder andere wackeln. Selbstverständlich werde ich auch Professor Snape über Ihr Verhalten unterrichten."
Kurz sah Draco einen Schreck in Theos Augen aufflackern. Draco wusste, er hatte Angst vor einem Schulverweis.
„Wir bringen ihn in den Krankenflügel", sagte er rasch.
Und das taten sie dann auch.
Weder Blaise noch Draco fragten auf dem Weg, warum Theo sich geprügelt hatte - sicherlich gab es hunderte Gründe, warum man sich mit diesem Mistkerl McLaggen prügeln konnte.
Im Krankenflügel erlaubte Madam Pomfrey ihnen, bei Theo zu bleiben, während sie Theo behandelte. Sie stoppte die Blutung, untersuchte und festigte die Zähne und richtete die Nase.
Als sie in den Nebenraum verschwand, um ein schmerzstillendes Mittel zu holen, sah Draco seine Chance gekommen.
Ihm waren durchaus die Betten aufgefallen, bei denen die Vorhänge komplett zugezogen waren. Dahinter mussten die versteinerten Muggelstämmigen liegen.
Bei einem Bett waren die Vorhänge aber nur halb zugezogen.
„Sagt ihr, ich bin schon gegangen", flüsterte er Blaise und Theo zu, die keine Zeit hatten, zu reagieren, denn Draco warf nur einen flüchtigen Blick auf die Tür zum Nebenraum - von der Heilerin war nichts zu sehen - ehe er zu besagtem Bett huschte.
Da lag sie und starrte ihn schockiert an.
Draco beeilte sich, die Vorhänge ganz zu schließen, ehe er rasch nah ans Bett trat.
„Was-"
Warnend legte er den Finger an seine Lippen und tatsächlich senkte sie die Stimme.
„Was machst du hier?", flüsterte sie. „Verschwinde!"
Süffisant grinsend ließ Draco sich auf den Besucherstuhl fallen.
Flüchtig unterzog er sie einer Musterung.
Hermine Granger wirkte nicht krank.
„Du bist schon verdammt lange hier", sagte er mit stark gesenkter Stimme.
„Als ob dich das interessiert", fauchte sie leise.
Er zog die Augenbrauen hoch.
„Nicht so unfreundlich, Miss Granger", grinste er. „Du wirst einem ehrlich besorgten Mitschüler, der dir einen Krankenbesuch abstattet, doch nicht so undankbar gegenübertreten, oder?"
„Als ob du-"
„Komm schon... Erzähl mir, wie es dir geht."
Sie wurde zornesrot.
„Hör auf, mich an der Nase herumzuführen, du arroganter-"
Draco schnalzte mit der Zunge.
„Tss", machte er. „Wirklich, wo hast du nur diese Unfreundlichkeit her? Naja, aber was soll man auch von einer Kriminellen erwarten?"
„Kriminellen?", entfuhr es Granger, zwar im Flüsteron, aber ihre Stimme rutschte vor Empörung einige Oktaven höher.
„Ich weiß von deinem kleinen Diebstahl, schon vergessen?"
Sie presste fest die Lippen zusammen.
„Ah, du leugnest es nicht mehr, sehr brav", grinste er.
Er wusste selber nicht, warum es ihm eine solche Freude bereitete, sie zu triezen, und warum er sich so wohl dabei fühlte, sie in der Hand zu haben.
„Also? Warum bist du hier im Krankenflügel?"
„Das geht dich nichts an. Und wenn du denkst, du kannst mich erpressen, weil du irgendwelche Dinge weißt, dann hast du deine Rechnung ohne mich gemacht. Ich lasse mich nämlich nicht erpressen, egal was du glaubst zu wissen."
Er betrachtete sie, wie sie trotzig ihr Kinn vorreckte.
Stolz und mutig waren sie, diese dummen Gryffindors, das musste man ihnen lassen.
Er beugte sich zu ihr.
„Jetzt hör genau zu", flüsterte er. „Ihr seid diejenigen, die hier andauernd gegen Regeln verstoßen und sich sogar strafbar machen. Ich weiß nicht, warum deine beiden bescheuerten Freunde mich ständig im Auge behalten, als sei ich der Schwerverbrecher, wo ihr es offensichtlich seid. Ihr überschreitet verdammt viele Grenzen, auch private Grenzen, und denkt dabei immer noch, dass ihr im Recht seid. Was denkt ihr, was ihr seid? Irgendwie sowas wie die Könige von Hogwarts? Ihr denkt, dass wir Slytherins etwas mit den Angriffen auf die Muggelstämmigen zu tun haben, stimmts? Merkt ihr eigentlich, wie erbärmlich ihr in eurer ganzen Denkweise seid? Es passiert etwas Schlimmes - oh, da müssen ja gleich die bösen, bösen Schlangen dran beteiligt sein, nicht wahr?"
Da war es wieder - dieses schlechte Gewissen in ihren großen, braunen Augen.
Sie hatte gewusst, was Potter und Weasley vorgehabt hatten, und sie hatte sie dabei unterstützt, aber sich scheinbar die ganze Zeit wegen Draco nicht wohl gefühlt dabei.
„Erzähl du mir nichts von Vorurteilen", sagte sie wütend.
„Warum nicht?", schoss er zurück. „Fasst euch doch mal selbst an eure überhebliche Nase!"
Er stand auf.
„Und apropos Nase", ergänzte er. „Richte Potter und Weasley aus, sie sollen ihre dämlichen Nasen aus meinen Angelegenheiten halten."
Er wusste, sie würde es nicht ausrichten, trotzdem beließ er es dabei und schlich sich unbemerkt aus dem Krankenflügel.
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A Death Eater's Tale
FanficJeder kennt sie - die Geschichte vom Jungen, der überlebte. Auch Draco Malfoy muss in seinem Leben immer wieder feststellen, dass die Geschichte dieses Jungen Einfluss auf seine eigene Geschichte hat. Auch wenn er es anfänglich nicht bemerkt und spä...