Evelyns POV:
Liam! Verdammt! Eilig fuhr ich mir durch die Haare und machte sie - leider - nur noch schlimmer. Es wäre zwecklos gewesen eine Fluchtmöglichkeit zu suchen, da es hier anscheinend nirgends rausging. Mein Blick fiel auf das Fenster. Natürlich, ein Fenster! Das war wohl die einzige Chance. Ich lief zum Vorhang, riss ihn schnell bei Seite und schob das Fenster auf, ehe ich nach unten blickte.
Sofort wurde mir flau im Magen und ich umklammerte mit den Händen das Fensterbrett. Es war zu hoch. Da lagen locker zehn Meter zwischen mir und dem Boden. Zitternd hörte ich auf, mich so zu verkrampfen, da meine Fingerknöchel bereits relativ weiß hervorstanden. Die Schritte kamen näher und langsam aber sicher verzweifelte ich wirklich. Ich würde noch wahnsinnig werden in diesem Zimmer!
Es war vielleicht nicht gerade die beste Idee, aber trotzdem schlüpfte ich schnell unter das relativ tiefe Bett und wartete ungeduldig darauf, dass das alles hier vorbeiging. Die Tür öffnete sich und ich zwang mich dazu, das Kieksen, das in meinem Hals lauerte zu unterdrücken, denn dann wäre meine Tarnung binnen einer Sekunde aufgeflogen. Mein Herz lief einen Marathon und ich sah zwei Füße durch den Raum laufen.
Anscheinend suchte er mich wirklich. Dort, wo ich das Fenster vermutete, blieb er kurz stehen und ich konnte mir zusammenreimen, dass er nach unten blicken würde. "Hälst du mich wirklich für so dumm, Evelyn?" Seine Stimme ließ mir das Blut in den Adern gefrieren und mein Herz setzte einen kurzen Schlag lang aus. Wie konnte man nur so kalt klingen?
Ich war gerade dabei mir eine gute Flucht zu arrangieren, als die Füße vor dem Bett Halt machten. Ich wusste genau, was jetzt kommen würde. Er hockte sich auf den Boden und lugte unter das Bett herein. "Komm da raus", zischte er kurz und sah mich ungeduldig an. "Lass mich einfach in Ruhe", konterte ich bemüht cool und es überraschte mich doch tatsächlich, dass meine Stimme so selbstsicher klang.
Aber anscheinend kümmerte ihn meine Aussage kein bisschen. Er stand langsam wieder auf und machte noch ein paar Schritte ums Bett herum. Gerade als ich erleichtert ausatmen wollte, spürte ich, dass irgendetwas ziemlich grob meine Knöchel umfasste und kurz darauf wurde es heller. Ich war nicht mehr unter dem dunklem Bett gefangen. Er hatte mich hier rausgezogen.
Liam zog mich grob auf die Beine und sah mich sauer an. "Warum versteckst du dich vor mir?" Sein Griff um mein Handgelenk war ziemlich fest, weshalb ich erst einmal aufjammerte, was ihn aber total kalt ließ. "Du tust mir weh", zerterte ich weiter, doch er bemerkte das in seiner Ungeduld nicht.
"Ich hab dich was gefragt." "Ich, ich .. Ich hab Angst vor dir. Lass mich einfach gehen! Was läuft denn bloß falsch bei dir?" Langsam wurde die Angst zu Zorn und Hass, denn meine Worte richteten genau null bei ihm aus. Er ließ mich nicht los, wenn ich es verlangte, ließ mich nicht in Ruhe, wenn ich ihn wegschickte und tat generell nie das, was man von ihm wollte! Ich versuchte ihm meinen Arm zu entreißen, aber er hielt seinem eisernen Griff stand.
Während er meine beiden Handgelenke mit der bloßen Kraft seiner Arme gegen die Wand gedrückt hielt, musterte er mich wütend. Falten überzogen seine gerunzelte Stirn und sein Blick schweifte über mein Gesicht. "Was willst du denn machen, hm? Schreien? Nur zu, schrei. Es hilft dir sowieso nicht hier raus." Wütend sah er auf mich herab. "Und nur damit du es weißt, es ist schon genug falsch gelaufen. Und ja: Das gibt mir prinzipiell das Recht mich dir gegenüber so zu verhalten. Vor allem hier in meinem Haus!"
Ich rechnete damit, dass er mich jeden Moment grob küssen würde oder mir weh tun würde. Seine Rede war auch noch nicht vorbei, das wusste ich. Aber anstatt mich zu belästigen, lockerte er den Griff um mein Handgelenk und spazierte mit einer flüssigen Bewegung Richtung Tür. Ehe er den Raum verließ, drehte er sich noch einmal kurz zu mir um und schüttelte seinen Kopf. "Du verhälst dich lächerlich. Es ist ja nicht so, als ob ich die gekidnappt habe. Hätte ich dich denn in dieser Gasse liegen lassen sollen?" Für einen kurzen Moment funkelten wir uns gegenseitig an - keiner verlor auch nur ein Wort. Einen Moment später war Liam verschwunden. Ich drückte meine Hände haltsuchend gegen die Wand hinter mir und verfluchte den Moment, an dem ich ihn das erste Mal in die Augen gesehen habe und sie noch wunderschön fand.
Zittrig und völlig aufgewühlt setzte ich mich auf und fasste an eines der beiden Handgelenke. Es schmerzte ziemlich und als ich leichten Druck darauf ausübte, musste ich bereits meine Zähne zusammenbeißen. Warum machte er sowas? Eine Träne des Unglücks und der Angst fand ihren Weg über meine Wange hinweg, bis zu meinem Handgelenk. Jetzt heul hier nicht rum wie ein kleines Kind und stell diesen Volldeppen zur Rede!
Es war wirklich schwer meinen inneren Schweinehund zu überwinden, aber mit Müh und Not schaffte ich es dann doch. Ich schloss die Schlafzimmertür hinter mir und ging auf das schwarze Ledersofa zu, während ich meine Arme vor meiner Brust verschränkte, da sie sonst viel zu auffällig zitterten. Den Schmerz, den diese Geste auf meine Handgelenk ausübte, schluckte ich hinunter und blieb vor Liam stehen.
Liams POV:
Sie hatte sich also doch dazu entschlossen, mir ein Stückchen entgegenzukommen. "Was ist?" Fragend blickte ich zu ihr hinauf und machte auf dem Sofa ein wenig Platz, doch sie machte keine Anstalten sich zu bewegen. "Das sollte ich dich fragen!", schleuderte sie mir regelrecht entgegen und leicht überrascht beobachtete ich sie dabei, wie sie drei Mal kurz ein- und dann wieder ausatmete, damit sie wieder auf den Boden kam.
"Setz dich erst einmal hin", murmelte ich kurz, doch sie blieb stehen. "Du sollst dich setzen, hab ich gesagt." Evelyn schüttelte nur ihren Kopf. "Ich fühl mich wohl im Stehen." Ungeduldig zog ich sie an einem Handgelenk auf das Sofa und sofort entriss sie es mir wieder, blieb aber sitzen. Sie fluchte leise vor sich hin und sah mich dann wieder sauer an. "Bist du eigentlich immer so grob?"
Mein Blick fiel auf ihr Handgelenk, um das sich ein leicht geröteter Rand zog. "Ist das von vorhin?" Sie nickte knapp und suchte den Blick zu meinen Augen. Sie dachte wohl sie könnte auf irgendeine Weise herausfinden, was mir fehlte, wenn sie mich ansah. Mädchen sind doch so naiv!
"Ich bin nicht grob", meinte ich einfach und kurz darauf rastete sie völlig aus. "Nicht grob, sagst du?! Nicht grob?! Siehst du das hier? Und das?!" Sie hielt mir ihre Hände vor's Gesicht. "Das nennst du also wirklich "nicht grob"?" "Jetzt mach mal halblang, ja?!" In meiner Wut griff ich nach ihren Händen und drückte zu. "Das ist grob. Das hier. Und nicht das von vorhin!" Ich wollte noch etwas sagen, als mich ein leiser Aufschrei und ein Wimmern ihrerseits erreichten.
"Hör auf, Liam. Du tust mir weh!" Sie war kurz davor zu weinen. Die Zeit lief an mir vorbei und ich erinnerte mich daran zurück, wie oft ich diesen Satz jetzt schon von allen möglichen Personen gehört habe. Immer wieder. Ein und der selbe Satz. Als wären alle so primitiv, dass sie einen gemeinsamen Satz verwendeten. Die selbe Wortfolge, die selben Betonungen, der selbe Schmerz in der Stimme.
Das Wimmern wurde immer deutlicher und schließlich riss mich etwas Nasses aus dem Gedanken. Sie weinte! Sofort ließ ich ihre Handgelenke los und sie zuckte zurück. "Evelyn, ich .." Ich wollte nach ihrer Hand greifen, aber sie rutschte immer weiter von mir ab. "Fass mich nicht an", zischte sie hasserfüllt und sprang auf. "Nie mehr. Fass mich nie wieder an." Eilig stoplerte sie noch ein paar Schritte zurück und kam dann an der Wand an.
Ich erhob mich langsam vom Sofa und ging auf sie zu. Ich wollte das nicht, wirklich.
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What about you, Liam?
RomanceEines Tages begegnet Evelyn Liam Anderson, der sie fast überfährt. Von da an nimmt ihr Leben eine dramatische Wendung. Zwei Welten, die unentschuldigt aufeinander einprassen. Was Evelyn da noch nicht wissen kann: Liam ist keineswegs so nett, wie er...