23 he's only human

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"Vertraust du mir?" "Nein."

Liam und ich standen nun schon seit 3 Minuten hier und starrten das Gebäude an. Das war also die angekündigte Überraschung. Hätte es denn kein Hündchen sein können? Oder eine Schlange? Von mir aus auch eine Prüfung beim verhassten Mr. Ward. Alles besser als das! Ich wollte da nicht hoch. Ich war - trotz fehlender Höhenangst - kein Freund von Höhenlagen. Dort oben auf dem Dach des Gebäudes ging bestimmt der Wind. Außerdem war es finster. Mein Gleichgewichtssinn glich dem eines alkoholisierten Elefantens, deshalb begann ich gerade damit, mich von meinem Leben zu verabschieden. Sei nicht so theatralisch, Eve! Beweg jetzt endlich deinen Hintern darauf und mach mal was!

Meine unfreundliche innere Stimme hatte wohl recht - so sehr es ihr auch an Feingefühl mangelte - und ich drückte Liams Hand kurz. "Wenn ich sterbe, will ich, dass du dich freiwillig verhaften lässt." Er nickte schelmisch und gab ein zustimmendes "unbedingt" von sich, das ihm einen Schulterboxen meinerseits einholte. Lachend zog er mich mit sich und wir liefen zum Gebäude. "Was machst du?", kam es überrascht von mir, als er eine Leiter herunterklappen ließ. "Wieso nehmen wir nicht den Aufzug und zum Schluss die Treppe?", fragte ich unsicher nach, was Liam auf mich zukommen ließ. Lächelnd legte er seine Hände um meine Hüften und gab mir einen Kuss auf die Stirn. Vollkommen erstarrt - wahrscheinlich bekam ich noch einen Herzinfarkt, so nervös machten mich das Gebäude und Liam - blickte ich zu ihm hoch und wartete seine Antwort ab.

"Weil wir die Feuerleiter nehmen werden. Den ganzen Weg nach oben." Er betonte jedes Wort seines letzten Satzes, was dem Ganzen mehr Nachdruck verleihte. "A-Aber dann kann ich doch die ganze Zeit sehen, wie tief ich fallen kann", stammelte ich nun geschockt, aber Liam strich mit einer Hand sanft ein paar Haarsträhnen aus meinem Gesicht. Ich wehrte mich nicht. Ich wollte mich nicht mehr wehren. Er hat eine Chance verdient, dir zu zeigen, wer er wirklich ist!

"Ich weiß", murmelte er rau und musterte mein Gesicht aufmerksam. "Ich will dir diese Angst nehmen. Du wirst dich gut fühlen, glaub mir. Wenn du dort oben bist-", er deutet kurz auf das Gebäude und sah mich dann wieder an. "Dann hast du Freiheit erlebt. Freiheit von deiner Höhenangst." Der Nachdruck in seiner Stimme gab mir Sicherheit, ließ mich mich ein wenig entspannen. Dennoch nahm er mir nicht meine Unsicherheit, die blieb. Was bist du nur für ein Weichei? Sogar zwölfjährige Nervensägen können da raufklettern!

Meine Schulter straffend nickte ich und wand mich sanft aus seinem Griff. "Ich kann es nicht fassen, dass du ein noch höheres Gebäude als letztes Mal gefunden hast. Ich hasse dich." Liam lachte leise und legte eine Hand beschützerisch auf meine Schulter, ehe er sich wieder der Leiter zuwandte und diese fixierte. "Ich dich doch auch", meinte er schelmisch - vermutlich um mich auf meine Lüge hinzuweisen, denn er hasste mich offensichtlich nicht. Und du ihn auch nicht. Vor allem seine Augen nicht. Ich hasse mein Unterbewusstsein! Tust du nicht! Urgs.

Die Leiter war nun fixiert und meine Hände klammerten sich an dem kalten Metall fest. Sie zitterten. Mein Blick wanderte kurz zurück zu Liam, der mir nur ermutigend zunickte und ich schloss kurz meine Augen, ehe ich in sein Nicken miteinstimmte. Meine Augen wandten sich dem Dach zu, ganz rauf sollte ich also gehen. "Schau einfach nicht nach unten", heiterte mich Liam auf und ich nickte. "Willst du nicht vor gehen?", hakte ich hastig nach und er schüttelte den Kopf. "Nein, ich bin direkt hinter dir. Dann kann dir gar nichts passieren." Wo er recht hat ..

"Ja. Alles klar. Gut." Meine Unsicherheit war mir anzumerken und ich hasste das. Schließlich stieg ich aber trotzdem die ersten Stufen nach oben und sah dabei so akrobatisch und elegant aus wie ein Affe auf einer Eislaufbahn. Ich hatte den ersten Stock geschafft und wollte mich gerade zu ihm umdrehen, als ein leises "Nicht" mich innenhalten ließ. "Schau nicht nach unten", beriet er mich und ich nickte erneut wie ein Wackeldackel. "Tut mir leid", murmelte ich hastig und stieg weiter nach oben. Liam lachte leise, doch das ignorierte ich in meiner ansteigenden Panik.

Je weiter ich nach oben stieg, desto nervöser wurde ich. Ich wollte mich umdrehen, aber das durfte ich nicht. Die Nacht war so dunkel, es fiel mir schwer die Höhe einzuschätzen, ohne nach unten zu sehen. Nach oben hin war alles schwarz. Gerade als ich mich fragte, wie weit es noch sei, merkte ich, dass ich am Ende der Leiter ankam. Erleichtert zog ich mich nach oben und bewegte mich dann in die Mitte des Daches. Um nicht nach unten sehen zu können. Liam erschien kurz nach mir und kam auf mich zu. "Das hast du toll gemacht", lobte er mich strahlend und nahm meine Hand. Ich war immer noch nervös und aufgeregt, meine Höhenangst noch immer im Hintergrund, doch nun konnte seine Präsenz mich beruhigen. Ich hatte festen Boden unter den Füßen.

Der Wind pfiff durch die Lüfte und machte aus meinen Haaren das reinste Krähennest. Liams Hände strichen meine Haare vorsichtig glatt und zogen mir meine Kapuze auf den Kopf, ehe er schelmisch grinste. "Was ist denn nun schon wieder?", wunderte ich mich aufgebracht. "Du siehst aus wie ein Mädchen, das hier auf dem Dach gleich Reklametafeln mit Graffiti bedecken wird", lachte er amüsiert und zog mich näher zu sich. Leise stimmte ich in das Lachen mit ein und nahm seine Hand.

Damit überrascht ich Liam. Fragend sah er mich an, wo ich ihn doch zuvor immer von mir weggestoßen habe. Ich blickte wieder von ihm weg, ignorierte seinen fragenden Blick. Denn ich hatte keine Antworten. Das hier war wie ein Rausch, ich fühlte mich benebelt und ermutigt gleichzeitig, ich hatte Spaß und Angst und mein Herz klopfte mir bis zum Hals. Da wollte ich mich nicht streiten, ich konnte es garnicht.

Mit Liam fühlte ich mich anders. Aber ich wusste noch nicht, ob ich mich besser oder schlechter veränderte an seiner Seite? Das Ergreifen meiner Hand riss mich aus meinen Gedanken, Liam zog mich an den Rand des Daches. Vorsichtig blieben wir hinter der kleinen Mauer stehen, die das Dach umgab und kniff meine Augen zusammen. "Was soll das?", hauchte ich. "Vertrau mir. Es ist alles gut. Mach deine Augen auf."

Zögerlich öffnete ich meine Augen und atmete erschrocken ein. Wir waren so hoch oben, dass es mir fast vor Angst den Boden unter den Füßen wegriss. Liam zog mich an sich und ich klammerte mich sprachlos an seine Arme. "I-Ich kann das nicht. Es ist so hoch hier, i-ich .. ich..."

"Shhh", unterbrach mich Liam leise und drückte mir einen Kuss auf's Haar. "Du kannst alles, Evelyn. Du bist hier alleine hochgeklettert." Ich nickte und blickte zu Liam hoch. Langsam ließ ich meinen Blick über die Stadt wandern, sie war so wunderschön. Liam schien meine Bewunderung zu bemerken und starrte mich weiterhin an.

"Du bist schöner", flüsterte er schließlich und ich kuschelte mich im kalten Wind enger an ihn.

What about you, Liam?Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt