28 move together

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Ich hoffe ihr habt die Feiertage alle gut überstanden. Und an all jene, die zu diesen Tagen immer eine schwere Zeit durchmachen - ganz viele Liebe und Kraft an euch. 

~

Evelyns POV;

Liam war noch bei mir geblieben, bis ich eingeschlafen war. Als ich am nächsten Morgen wach wurde, war er weg. Ein Teil von mir hatte Angst, er würde nicht wieder kommen. Wie konnte ich mich denn auch darauf verlassen? Würde ich ihm das einfach glauben müssen? Ich bin jetzt hier. Und ich werde nicht mehr weggehen.

Mein Kopf schwirrte noch immer, wenn ich auch nur kurz an die vergangenen Ereignisse zurückdachte. Niemals hätte ich es mir auch nur erträumen können, mal in so einem Chaos zu landen. Und meine Fantasie war wirklich sondergleichen. Doch Liam .. Liam hatte alle Erwartungen übertroffen. Auch im negativen Sinne. Ich hatte mich noch nie so unwohl gefühlt in meinem ganzen Leben wie in den letzten Tagen. So viel Angst verspürt. So viel Wut unterdrückt oder herausplatzen lassen. Aber ich hatte mich auch meiner Höhenangst gestellt. Auf jeden Fall damit begonnen. Ich hatte mein Herz jemandem anvertraut. Zumindest einen kleinen Teil davon. Und ich glaubte auch ein kleines Stück zurückbekommen zu haben. Tausendmal kleiner und zerbrechlicher als das meine, aber ich war mir sicher, dass ich es bekommen hatte.

Müde erhob ich mich vom Bett und meine Beine trugen mich direkt zu meinem Kleiderschrank. Mein Schrank war nicht wirklich groß und auch nicht sonderbar bunt gefüllt. Ich mochte dunkle Farben, schlichte Schnitte. Nichts zu ausgefallenes, nichts extravagantes. Schlichte Skinny Jeans und dazu ein Bandshirt oder etwas anderes. Ich würde mich diesbezüglich auch nie ändern. Das Kleid in der Mall letztens war schön, ja. Aber ich fühlte mich darin nicht wohl.

Sobald ich meine Zähne geputzt und meine Haare in einen lockeren Pferdeschwanz gebunden hatte, tappte ich die Treppe nach unten in die Küche. Die Monster hatten das Haus bereits verlassen, nur Adam saß noch im Wohnzimmer und blickte kurz zu mir auf, als er mich hereinkommen kam. "Hey, Schwesterherz", lächelte er mich an und kam auf mich zu um mir kurz durch die Haare zu wuscheln. Er lächelte. Er war mir nicht böse. Das ist gut. Ich brauche Adam.

"Hey, Blödmann", schmunzelte ich leise und griff an ihm vorbei nach der Müslipackung. Ich stellte zwei Schüsseln und die Milchpackung auf den Tisch und blickte Adam abwartend an. Er setzte sich an den Tisch und begann mit mir zu frühstücken. Oh wie ich das vermisst hatte. 

Das Frühstück war ruhig und alles schien wie immer zu sein, als Adam plötzlich sein Schweigen brach. "Chuck hat mir erzählt, was du getan hast, Evelyn." Er hielt kurz inne und sah mich nun direkt an. "Das war wirklich mutig von dir. Unfassbar blöd .. Aber unglaublich mutig." Ich boxte ihm neckisch gegen den Arm und schüttelte meinen Kopf. "Das hätte doch jeder getan", nuschelte ich mit vollem Mund, was mir einen angeekelten Blick von Adam einbrachte und ein leises Lachen noch dazu.

"Du musst wohl immer alle retten, hm?" Mein Blick fiel aus dem Fenster, die ersten Schneeflocken legten sich wie eine kuschelige Decke über den kalten und trockenen Boden. Die Welt wurde in diese schöne Stille gebettet, die ich immer so liebte. Adam schien meine Freude zu bemerken und schmunzelte nun auch leicht. "Ich dachte mir schon, dass dich das freuen würde. Weißt du noch, wie wir diesen riesigen Schneemann gebaut haben? Draußen im Garten? Die Nachbarskinder waren so neidisch."

Ich nickte. Wie konnte ich das nur vergessen. "Sie haben uns gehasst", lachte ich. "Ja und dann bist du bei einer Schneeballschlacht einfach dagegen gelaufen und hast das gesamte Ding umgerissen. Du hast Toby umgebracht, Evelyn." Toby. So hieß unser Schneemann. "Er hatte es Kommen sehen, glaub mir."

O

"Hast du denn auch warm genug?" Liam und ich hatten uns den ganzen Tag nicht gesehen. Stattdessen habe ich Claire einen Besuch abgestattet um sie mit den aktuellen Neuigkeiten zu füttern. Den Drohbrief ließ ich bewusst weg, ich wollte nicht, dass sie sich sorgen machte. Und auch den Vorfall mit Liam wurde von mir noch einmal in eine etwas andere Version übersetzt. Offiziell hatte er einfach aus Versehen einen betrunkenen Mann angerempelt, der dann sofort einen Streit vom Zaun gebrochen hatte. Claire hatte ihre Zweifel an meiner Story, hakte aber nicht weiter nach als ich sie auf einen Kaffee einlud. 

Doch nun saß ich hier mit Liam. Wir waren etwas abseits des Parks und beobachteten aus sicherer Entferung ein paar Familien und verliebte Pärchen beim Eislaufen. Nagut, eigentlich verbrachten wir die Zeit damit uns über die ganzen Leute lustig zu machen, die es dabei auf die Nase legte. "Ja, ich hab warm genug, Liam. Danke." Ich nutzte den Moment dennoch, mich näher an ihn anzuschmiegen, diese wohlige Wärme zu genießen, die von ihm ausging. Ich ertappte mich dabei, wie ich jeden Moment davon schon fast schmerzhaft aufsaugte, als wäre das alles hier nur einmalig. Als würden wir uns nie wieder sein.

Meine rasenden Gedanken machten Liam etwas unruhig und er zog mich noch ein wenig näher an sich heran, wenn das denn noch möglich war. "Hey, was ist los?" Seine raue heisere Stimme holte meine altbewährte Gänsehaut aus dem Winterschlaf während seine dunklen Augen unlesbar wie immer waren. Ich schüttelte nur zögerlich meinen Kopf. "Es ist nichts, tut mir leid. Das ist dumm." Unsicher kaute ich auf meiner Unterlippe herum, ehe ich mit einem kapitulierenden Seufzer das Wort doch wieder ergriff.

"Ich hab nur irgendwie dieses schlechte Gefühl, wenn ich mir unsere Zukunft vorstelle", hauchte ich leise  und wandte den Blick von Liam ab. "Ich denke du wirst wieder gehen. Ehrlich gesagt .. weiß ich nicht einmal, ob du das freiwillig tun wirst. Aber ich hab einfach das Gefühl, dass wir nicht funktionieren werden", brachte ich zögerlich hervor und Liam hob mein Kinn sanft an. "Denkst du, ich werde dir weh tun? Das habe ich nämlich nicht vor, Evelyn. Und ich möchte bleiben. Glaub mir, ich möchte bei dir bleiben." Sein Blick war nun ein wenig wehmütig, meine Worte hatten ihn verletzt. Das sah ich. 

"Ich möchte dir das glauben, wirklich. Ich bemühe mich auch, dir das zu glauben. Aber ich habe einfach dieses Gefühl .. Als ob wir am Anfang einer Tragödie stehen würden, Liam." Mein Atem stockte leicht bei meinen letzten Worten und ich schmiegte mich enger an ihn. Liam lehnte seinen Kopf sanft an meinen an und strich kleine Kreise über meinen Rücken. "Solche Dinge wie Schicksal und Bestimmung gibt es nicht, Eve. Ich lehne es ab daran zu glauben, dass unser Weg schon vorbestimmt ist." Seine Stimme war so stark und selbstbewusst. "Was ich jedoch glaube ist, dass wir die Dinge selbst in der Hand haben. Dass wir auch selbst entscheiden können, wie unsere Zukunft aussehen wird. Und ich sehe mich dort neben dir. Und ich werde nicht weggehen. Ich kann verstehen, dass es dir schwerfällt, mir das zu glauben."

Liam wich einen halben Schritt zurück und legte seine Hände sanft an meine Arme. "Deshalb werde ich die Zukunft wohl damit verbringen müssen, dir das Gegenteil zu beweisen", flüsterte er sanft und drückte mir einen Kuss auf die Lippen. Sein silbernes Piercing auf meinen Lippen fühlte sich eiskalt an. Und ich hoffte inständig, dass ich diese Kälte noch lange spüren würde. Denn das würde bedeuten, er wäre noch da.


Liams POV;

Evelyn war verunsichert. Wie konnte sie das auch nicht sein? Ich war nicht wirklich jemand, auf den man sich verlassen würde. Auf den man zählen konnte. Aber ich musste so jemand sein um sie beschützen zu können. Ich wollte so jemand sein um bei ihr sein zu können. Auch wenn ich es vor ihr nicht gerne zugeben würde, es war schön, gebraucht zu werden.

Zu wissen, dass jemand auf einen zählt. Sich freut, wenn man auftaucht. Einen nicht nur wegschickt oder vernachlässigt. Nicht nur anruft, wenn es zeitlich passt, sondern weil man die Stimme des anderen hören möchte. Sich versichern möchte, dass es dem anderen gut geht. Das alles war mittlerweile schon so fremd für mich. So fern. Doch mit Evelyn .. Mit Evelyn hatte ich das Gefühl eine zweite, nein eine achttausendste, Chance bekommen zu haben. Und ich wollte diese achttausendste Chance nutzen. Um besser zu werden. Um besser zu sein, für Evelyn. Und für mich. Für all die Dinge, die ich in meiner Abgestumpftheit zugelassen hatte. Die Menschen, die ich gehen ließ und die Familie, die mich nicht mehr sehen wollte. 

Ich hätte nicht mehr damit gerechnet, jemandem etwas zu bedeuten. Wirklich etwas zu bedeuten. Doch der Blick in ihren Augen, als sie mir das Leben gerettet hat in dieser Gasse .. dieser Blick ließ mich nicht los. Ihre Augen geweitet vor Schrecken, ihre Nasenflügel bebend, ich sah alles noch immer so klar vor mir. Evelyns Haare tanzten wie wild durch den regnerischen Wind und fielen herzlos gegen ihr Gesicht. Ihre Wangen waren gerötet von der Kälte, ihre Hände eiskalt. Sie zitterte. In ihren Augen stand das blanke Entsetzen. Und eine solche Sorge, ein solcher Schmerz. Als würde sie zerbersten. Nach allem, was passiert ist, war sie da. Und sie war es auch jetzt noch. Obwohl ich mich wie das Letzte ihr gegenüber benommen hatte.

Ich war einem Menschen etwas wert. Wirklich etwas wert. Und ich wollte das nicht ruinieren. 

Ich musste es zumindest versuchen. Für Evelyn. Für mich. Für meine Mutter. Ich hatte es ihr versprochen.

What about you, Liam?Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt