7 mean street

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Liams POV:

"Liam. Bitte." Ich hatte ihr gerade gesagt, sie solle mir vertrauen. Ihre Hände ruhten auf meiner Brust und sie drückte mich sanft von sich. Sie wollte mich nicht küssen. Die Erkenntnis durchfuhr mich wie ein eiskalter Blitz und ich verkrampfte mich kurz, so sehr schmerzte das. Langsam aber sicher stellte ich mich wieder aufrecht hin und fuhr mir kurz durch meine Haare. Klar, ich wollte sie küssen. Aber warum wollte sie mich denn nicht küssen? Diese Frage machte mich sauer und ich war wieder einmal kurz davor einen Fehler zu begehen, aber ihre nächsten Worte versetzen mir nur noch mehr Schmerzen und ein ziemlich lähmendes Gefühl.

"Liam, du .." Sie atmete wieder genau dreimal tief durch und sah zu mir auf, während sie nach meinen Händen griff. Vermutlich hatte sie nur wieder Angst, dass ich etwas unberechenbares machen könnte. Warum auch nicht? "Ich, was?" Sie sah mich forschend an, sichtlich darum bemüht, mich nicht geschockt anzustarren oder für ein Monster zu halten. "Du hast das verdient, was du dir wünscht. Gewiss, jeder verdient Liebe. Und du wirst sie auch sicher eines Tages bekommen. Aber nicht von mir. Nicht von mir." Sie wiederholte den letzten Satz, während sie ziemlich depressiv ins Nichts starrte. "Du kannst dir Zuneigung nicht einfach so erzwingen, Liam", wies sie mich sanft zurecht.

Nachdenklich blickte sie schließlich zu meiner Hand und ließ sie widerstrebend los. Sie wandte sich zum Gehen, aber ich hielt sie sanft zurück. "Beantworte mir eine Frage", meinte ich kühl und trat keinen Schritt weg von der Stelle, an der ich stand. "Ja?" Ihre Stimme schwang unsicher und leicht durch die Luft, tänzelte zwischen den Sonnenstrahlen hindurch, direkt bis zu meinem Ohr, wo mich der warme und besorgte Klang schließlich wabbernd erreichte.

"Warum versuchst du krampfhaft mich zu hassen?" Augenblicklich erstarrte Evelyn und wandte den Blick bedrückt zu Boden. "Ich hasse dich nicht." "Ich weiß. Aber warum tust du dann so?" Sie drehte sich immer noch nicht um. Von Antworten konnte auch nicht gerade die Rede sein. "Dreh dich zu mir um. Und sieh mich an!" Sie gehorchte und blickte zu mir auf.

"Du weißt, dass ich mich nur einmal mies verhalten habe.." Die Antwort kam sofort und schnitt kühl durch meine Haut. "Zweimal!" "Von mir aus", grummelte ich kurz und wiederholte, was sie gesagt hatte. "Zweimal. Aber - und jetzt hör mir gut zu - ich hab mich entschuldigt. Ich hab dir nicht absichtlich weh getan, das weißt du. Ich wollte dir nur helfen. Also warum willst du so unbedingt weg von hier?"

Ihre Augen begannen wie wild zu funkeln und ihr Blick huschte zwischen meinen Augen hin und her. Sie sah so aus, als würde sie jeden Moment in Tränen ausbrechen und laut losflennen. "Evelyn, ich-" Aber weiter kam ich nicht. Der Knoten, der in ihrem Hals gehaust hatte, hatte sich nun endgültig gelöst und sie machte einen Schritt auf mich zu, während sie in ihrer Verzweiflung wie wild mit ihren Fingern vor meinem Gesicht herumfuchtelte und nebenbei sprach - oder doch eher schrie.

"Das geht dich gar nichts an! Ich hab auch noch ein Leben, ich .. Ich hab Angst. Meine Eltern wurden bestimmt schon von der Schule verständigt! Du läufst mir hinterher wie ein Hund seit wir uns kennengelernt haben! Die ganze Zeit ändert sich deine Laune! Mal bist du super süß und man will dein Sixpack anstarren, mal bist du der größte Volldepp der Welt!" Volldepp? Hatte sie mich Volldepp genannt?

Es schien wohl so zu sein, dass Evelyn sich nicht sehr gut auf Schimpfwörter verstand. Aber was mich nur noch mehr zum Grinsen brachte, war ihre Aussage bezüglich meines Oberkörpers. Und genau das schien es jetzt zu sein, was ihr die Röte in die Wangen trieb. "Ich hab das jetzt anders gemeint", hauchte sie kurz. "Wann hast du bitte meinen Bauch gesehen?" "Als du ehm, naja als du eben .. dein Hemd ausgezogen hast. Vorhin, in der Sackgasse." Aja. Ich nickte nur grinsend und sie sah beschämt zu Boden und scharrte mit ihren Schuhen im Dreck herum.

"Kann ich jetzt bitte gehen?" Ihre liebliche Stimme war nicht mehr als ein kleines Hauchen und verlor sich ständig in der Luft. Mit jeder Silbe wurde sie dünner und leiser. "Nein." Mein Entschluss stand fest und ich tippte kurz an ihr Kinn, das ich dann sanft mit meinem Zeigefinger anhob. Ihre rastlosen Augen wanderte in meinem Gesicht hin und her, darauf bedacht, meinem Blick auszuweichen.

"Warum?", wisperte sie leise und fixierte meine Stirn. "Warum nicht?" Weiter zur Wange. "Weil ich jetzt etwas tun werde. Und schubs mich ja nicht weg. Lass dich einfach drauf ein. Ich denke, es wird dir gefallen." "Ich bezweifle das." Ihre Stimme war kalt und rau. Die ganze Wärme schien wie weggeblasen zu sein. Als hätte ich sie dazu gezwungen, drehte sie ihren Kopf leicht zur Seite und starrte verstört in die Leere vor ihr, während meine Lippen ihre samtene Haut auf der Wange aufsuchten und liebkosten. Sie wanderten weiter zu den ihren und zugegeben ein wenig grob schloss ich die Lücke zwischen unseren Lippen schließen, aber sie zuckte zurück.

"Es tut mir leid", hauchte ich an ihre Lippen und merkte, dass sie erzitterte. "Ich sagte doch, ich bin nicht feinfühlig", wisperte ich noch, ehe ich mich ihr wieder sanft näherte und nun vorsichtig ihre Lippen berührte. Sie murmelte noch ein kurzes "Liam", ehe sie aufgab und meine Geste sanft und nicht wirklich fordernd erwiderte. Ihr Kuss war schwach, aber er war schön. Er war angenehm und befreiend. Es fühlte sich richtig an. Ich löste mich sanft von ihr und strich zuvor noch einmal mit meinem Daumen über ihre Wange.

"Siehst du? War doch gar nicht so schlimm." Reglos stand sie da, wie eine Marmorstatue. Den Blick starr auf meine Lippen gerichtet. Nach einer geschlagenen Minute wanderten ihre Augen dann aber zu meinen und sie schüttelte ihren Kopf. Ihr Lachen klang nicht so bezaubernd wie immer. Sie klang hysterisch, verzweifelt. Sie war sichtlich am Ende ihrer Nerven und es dauerte nur noch zwei weitere Sekunden, ehe sie weglief und immer schneller wurde. "Evelyn, warte!"

Mit der ganzen Kondition, die ich aufbringen konnte, hielt ich mit ihr Schritt und holte sie schließlich ein. Doch sie sah mich nicht an, wieder einmal. "Hör auf damit. Schau mich an." Sie schüttelte ihren Kopf mit gesenktem Blick. Grob drehte ich ihr Gesicht zu mir, da ich keine Geduld für diese Kindereien hatte und erstarrte leicht. Ich hätte nicht gedacht, dass sie mich noch hasserfüllter ansehen konnte, als vorhin im Wohnzimmer, aber anscheinend konnte sie es. An ihren Augen ronnen Sturzbäche hinab und nahmen auch die letzten versteckten MakeUp-Reste mit.

Evelyns POV:

Was war nur los mit mir? Warum weinte ich? Wieso nahm er mich nicht in den Arm? Hör auf! Er soll dich nie wieder anfassen! Ich schluckte leicht und wimmerte leise vor mich hin, ehe ich auf die Knie sank und mein Gesicht in meinen Händen verbarg. Warum machte er mich so fertig? Dauernd berührte er mich, küsste mich, machte mich einfach wahnsinnig. Warum? Er verarschte mich ja sowieso nur, oder? Ich meine, sieh mich einer an. Ich war ein Niemand. Langweilig und ziemlich armselig.

Ach, nein? Hallo? Ich heulte hier wegen einem Kuss herum! Wegen einem mickrigen, bedeutungslosen Kuss. Irgendetwas in mir schrie danach der Welt zu beweisen, dass ich kein Jammerlappen war und ich ignorierte Liams Standpauke, die er mir hier gerade hielt von wegen "Kuss & Gefühle". Gott, warum tat er sich das überhaupt an? Ich war doch sowieso ein richtiges Stück Arbeit.

In meinem kleinen Adrenalin- und Hormonschub, den die Heulerei ausgelöst hatte, zog ich ihn zu mir herab und drückte meine Lippen wütend auf seine, die so honigweich und zart warten. Das Piercing kitzelte meine Lippen und ich musste leicht kichern. Die brennend heißen Tränen trockneten gerade und ich vergrub meine Hände in seinen Haaren. Liam beugte sich zu mir herab, schlang seinen starken Arm um meinen Rücken und küsste mich mit einer Intensität, die mir einfach die Luft aus der Lunge raubte.

Atemlos wich ich zurück und lehnte meine Stirn an seine, während er mich besorgt ansah. "Was hast du?", flüsterte er still und rau. "Ich verliere den Verstand, das ist alles", nuschelte ich an seine Schulter, ehe ich mich erneut dem Rausch eines Kusses hingab, den wieder ich auslöste. Seine perfekten Lippen schmiegten sich an meine und seine Handflächen wurden feucht, während er mir wortwörtlich alle Wünsche von den Lippen las.

What about you, Liam?Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt