Kapitel 8 - Nachricht

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Mittlerweile habe selbst ich begriffen, dass mein eigener Schwur nicht wirklich funktioniert hat. Obschon ich mir noch einige Male vorgenommen habe und es mir eingeredet habe, dass ich Jack nicht trauen sollte, dass er mich sogleich verletzten würde, habe ich es nicht so ganz geschafft. Er hat eine solche besondere Ausstrahlung, dass es mir nicht möglich ist, sich dieser zu entziehen. Diese Ausstrahlung lässt ihn besonders wirken und für mich ist er etwas Besonderes. Er ist die erste Person, mit der ich seit langer Zeit wirklich Kontakt habe. Ich habe nie viel Kontakt zu Gleichaltrigen gehabt, eigentlich gar keinen, schon gar nicht hier in der Psychiatrie. Jack hingegen ist ein gesunder Mensch, der etwas mein Alter hat. Eine Sensation.

„Jamie? Die Sitzung ist beendet, du darfst nun wieder in dein Zimmer gehen", ertönt die Stimme von Dr. Thompsen und ich blicke auf. Schon wieder ist eine Stunde um, eine Therapiestunde, von der ich kaum etwas mitbekommen habe. Ich stehe auf und blicke zu Jack, welcher offensichtlich verwirrt und leicht verschlafen um sich blickt. Anscheinend ist er auch beinahe eingeschlafen, was ich ihm nicht verübeln kann, da ich mit meinen Gedanken ebenfalls an anderen Orten war. Im Gegensatz zu mir zeigt er jedoch nicht offen, dass er abwesend war, sondern springt nun ruckartig von seinem Stuhl auf: „Ach, die Stunde ist schon fertig? Ich war ein wenig in Gedanken versunken." Er grinst verschmitzt zu uns.

Ein leichtes Zucken geht durch meinen Mund und lässt Dr. Thompsen mit offenem Mund zu mir starren. Obwohl ich nicht einmal richtig schmunzele und es nur eine Mikroexpression war, kann sie es kaum fassen. Verständlich, schließlich versucht sie seit drei Jahren eine Reaktion von mir zu erlangen und nun, bei einem solch schwachen Witz von Jack zeige ich plötzlich eine Reaktion, selbst wenn sie noch so klein und unscheinbar ist.

Dr. Thompsen hätte mich wahrscheinlich noch eine Weile mit offenem Mund angestarrt, doch glücklicherweise rettet mich Jack aus dieser unangenehmen Situation. „So, wir gehen dann mal, wir sehen uns dann später nochmal, Monika." Jack wirkt so, als hätte er diese Situation und die bedrückende Atmosphäre im Zimmer gar nicht bemerkt. Gewohnt lässig geht er zur Tür hinaus und ich folge ihm sogleich so schnell es geht, um den Blick von Monika nicht noch mehr auf mich zu ziehen.

Im Flur wartet Jack schon an der Wand gelehnt, obwohl er gerade mal einige Sekunden vor mir aus dem Zimmer gegangen ist. „Du findest mich also witzig? Wenn das so ist, sollte ich vielleicht des Öfteren in den Sitzungen fast einschlafen, dann würde ich dein hübsches Lächeln öfter sehen." Unangenehm berührt blicke ich zu Boden. Ich kann Komplimente nicht ausstehen. Meist sind die sie gelogen oder einfach dazu da, um Eindruck zu schinden oder Pluspunkte bei einer Person zu sammeln.

Natürlich kann es sein, dass Jack die Wahrheit sagt und es auch so meint, ich bin mir sogar relativ sicher, doch auf seine Meinung kann ich nicht sehr viel geben. Er wirkt auf mich nicht ganz gesund im Kopf, allerdings nicht im Sinn wie die Leute hier in der Psychiatrie, sondern eher im Sinn, dass er lediglich ein komischer Kauz ist. Zudem ist es mir unangenehm, dass beide Personen bemerkt haben, wie ich die Kontrolle verloren habe, obwohl ich doch mein Bestes gebe, um mich beieinander zu behalten. Je mehr ich die Kontrolle loslasse, desto mehr werde ich mich verlieren.

Gedankenverloren gehen wir den Flur weiter hinuter, bis Jack aufeinmal unerwartet stehen bleibt, dass ich beinahe in ihn hineinlaufe, mich im letzten Moment aber noch fangen kann. Er blickt mich unsicher an. „Ich muss dir etwas sagen...", er holt tief Luft, fährt sich unruhig durch die Haare und streicht dabei die Haare, die ihm ins Gesicht hängen zur Seite. „Ich, weiß nicht genau wie ich beginnen soll. Es ist ein wenig kompliziert", stottert er herum. Ich blicke ihn nur verständnislos an und verstehe in keinem Wort, was er mir nun genau sagen will. „Ich werde nur noch eine Woche hier sein. Mein Praktikum ist fertig und ich muss wieder in die Schule."

Er geht wieder. Ich wusste es, es war mir von Anfang an klar. Es sind immer alle gegangen und er wird ihnen allen folgen. Er ist genauso wie sie. Jack reißt mich aus meinen Gedanken.
„Es tut mir wirklich leid, aber die Schule und die Psychiatrie verbieten es mir. Aber ich werde dich so oft besuchen kommen, wie es geht, das verspreche ich dir!" Erleichtert atme ich auf. Er kommt wieder und geht nicht für immer. Es ist unglaublich, wie schnell ich begonnen habe, Jack als wichtiger Mensch anzusehen. Er ist für mich mittlerweile eine Konstante in meinem Leben, obwohl wir uns gerade mal einige Wochen kennen. Ich möchte nicht schon wieder Abschied nehmen, obwohl es vermutlich das Beste wäre, was ich tun könnte.

In Gedanken und ein wenig neben mir stehend, strecke ich meine Hand aus und streiche Jack vorsichtig über die dunklen Haare, wobei ich mich ein wenig strecken muss, da er ein gutes Stück größer ist als ich. Jack blickt mich erstaunt an, was ich gut verstehen kann, denn auch ich blicke ein wenig verwundert auf meine Hand, die ich mittlerweile schon wieder zurückgezogen habe. Innerlich bereite ich mich bereits auf den Sturm vor, der in mir folgen und mich zerreissen wird, denn die Schmerzen, die Angst und die Panik bauen sich bereits auf.

Nur schwer verstehe ich sein leises „Danke", als er mich anblickt und zunickt.

Jack

Ein wenig muss ich mich anstrengen, damit mir meine Kinnlade nicht runterklappt. Sie hat mich berührt. Wahrscheinlich nicht mal mit voller Absicht, denn sie wirkte abgelenkt und starrte danach verwundert ihre Hand an. Doch was für mich in diesem Moment zählt, ist, dass ich ihr nicht komplett egal bin.

Vor zwei Wochen ist sie bei einem Körperkontakt von uns in Ohnmacht gefallen und beinahe gestorben und nun berührt sie mich beinahe freiwillig. Ich spüre wie mein Wolf in mir beinahe ausrastet. Am liebsten würde er sich verwandeln und dann wie ein junger Welpe herumtollen und voller Freude mit der Rute wedeln. Vor einigen Minuten war ich noch unsicher und voller Angst, wie Jamie auf meine Nachricht reagieren würde. Sie reagierte genau, wie ich es erwartet habe, voller Angst und Panik. Ich konnte die leichte Freude darüber in mir nicht unterdrücken, da dies bedeutet, dass ich ihr nicht vollkommen egal bin.

Als ich erfahren habe, dass ich mein Praktikum hier beenden muss, wäre ich beinahe verzweifelt. Laut der Schule wäre ich zu schlecht um noch mehr zu verpassen und laut der Psychiatrie wäre ich sowieso keine allzu große Hilfe. Dieser Gedanke kam allerdings nicht von Monika, sondern von den Leuten von weiter oben. Monika hat sich noch kurz für mich eingesetzt, aber dann auch kapiert, dass es nicht wirklich was bringt. Der Grund der Psychiatrie brachte mich in Rage, denn schließlich unterstellten sie mir, keine Hilfe zu sein, obschon ich versuche das Leben meiner Seelengefährtin zu retten.

Das Schlimmste daran ist, dass ich Jamie weniger sehen werde. Schon jetzt ist es für mich schwer, sie zurückzulassen, wenn ich am Abend nachhause gehe. Manchmal ist es so schwer, dass ich hierbleibe oder in der Nacht zurückkomme und sie in meiner Wolfsgestalt beobachte und beschütze. Auch wenn es jedes Mal wieder schmerzt, zu sehen, wie sie von Albträumen geplagt wird. Doch auch wenn ich nun wieder in die Schule muss, wird mich das nicht davon abhalten, Jamie so oft es geht zu besuchen.

Mate - Schreie ohne VernunftWo Geschichten leben. Entdecke jetzt