Kapitel 7 - Der Schwur

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Jack

Ich glaube, die drei vergangenen Stunden waren die schönsten meines Lebens. Und das, obwohl Jamie eigentlich gar nichts getan hat. Sie hat nichts gesagt, kaum reagiert, sie sass einfach da und hörte mir zu. Doch das reichte mir schon vollkommen um meinen Wolf, der in mir tobt, zu beruhigen. Das Tier in mir hat sich langsam beruhigt, als es die Anwesenheit seiner Mate gespürt hat und auch ich fühlte mich einfach vollkommen zufrieden. Selten habe ich mich so sorgenlos und unbeschwert gefühlt. Und das alles, während ich von mir und meinen peinlichen Kindheitsgeschichten erzählt habe.

Ich weiß nicht einmal mehr, wieso ich diese Geschichten erzählt habe. Normalerweise mag ich es nicht über solche Dinge zu reden, nicht einmal Mike erzähle ich solche peinlichen Kindheitserinnerungen. Doch bei Jamie ist es mir erstaunlich egal, eigentlich brauchte ich nur ein Thema über das ich erzählen kann, was weder traurig noch zu langweilig ist.

In der Therapiestunde habe ich sie aufmerksam beobachtet, denn die Stunde selbst ist nicht wirklich spannend für mich gewesen. Dieses Gefühl scheint Jamie zu teilen, denn ihr Blick wirkt nicht auf das Geschehen vor ihr fokussiert. Ich registriere und mustere jede ihrer Bewegungen, ohne dass sie wirklich was davon zu bemerken scheint. Ihr Blick geht ins Leere und sie wirkt sehr viel abwesender als vorhin, als sie mir zugehört hat. Ich bezweifle, dass sie Monika wirklich zuhört. Sie wirkt wie in ihrer eigenen Welt versunken und scheint alles und jeden um sich herum zu ignorieren. Ich frage mich, wieso mir zugehört hat, als ich von unwichtigen Nichtigkeiten erzählt habe, aber nun, wo Monika wichtige Sachen für sie erklärt, völlig abwesend scheint.

Dieses Mädchen wirft immer mehr Fragen auf und wird gleichzeitig immer interessanter für mich. Auch mein Wolf möchte sie besser kennenlernen und sehnt sich nach ihrer Nähe. Obwohl ich sie kaum kenne, fühlt sich alles in mir von Sekunde zu Sekunde mehr zu ihr hingezogen. „So Jamie, das wäre es dann wieder für heute, wir sehen uns dann morgen wieder." Die Stimme von Monika reißt mich aus meinen Überlegungen. „Jack, bringst du Jamie bitte wieder in ihr Zimmer?"

„Klar, kann ich machen", bringe ich ein wenig überrumpelt und stotternd heraus und fahre mir nervös durch die Haare. Ehrlich gesagt, habe ich keine Ahnung, worüber Monika in dieser letzten Stunde geredet hat. Jamie war nicht unbedingt die Einzige, die nicht zugehört hat, auch meine Gedanken sind nach den ersten Worten schnell abgedriftet.

Jamie

Ich seufze innerlich erleichtert auf, froh darüber eine weitere langweilige Therapiestunde hinter mich gebracht zu haben. Ausnahmsweise war es heute mal nicht nur für mich langweilig, sondern auch für Jack, der auf seinem Stuhl beinahe eingeschlafen ist. Als Dr. Thompsen die Stunde dann endlich beendet hat, wirkte er ein wenig desorientiert und ist aufgeschreckt, hat sich aber schneller wieder gefangen, als ich es gedacht hätte. Nun steht er auf und kommt auf mich zu, damit er mich in mein Zimmer bringen kann. Sobald er einen Schritt in meine Nähe macht, mache ich einen von ihm weg. Er seufzt nur leise auf.

Manchmal stellt sich in mir die Frage, ob alle Menschen die Welt anders sehen als ich. Ich meine, erwartet er wirklich von mir, dass ich ihm vertraue, nachdem wir uns gerade mal ein paar Tage kennen? Dabei ist er auch noch der Grund dafür, dass ich bei unserer ersten Begegnung zusammengeklappt bin. Ehrlich gesagt hat er nicht die allerbesten Voraussetzungen, um mein Vertrauen zu erlangen. Doch Menschen haben diese Voraussetzungen sowieso nicht. Vermutlich wären Tiere die einzigen, welche die Voraussetzungen erfüllen könnten, doch zu diesen habe ich keinen wirklichen Kontakt, wenn man von den Fliegen absieht, die manchmal gegen mein Fenster fliegen und dann jämmerlich verrecken.

„Bis später, Monika", meint Jack noch zu meiner Therapeutin und geht dann durch die Tür in den Flur hinaus. Ich folge ihm schnell, ohne Dr. Thompsen noch einmal anzublicken. Draußen im Gang geht Jack sogleich zügig den Weg entlang und ich habe Mühe, seinen großen Schritten zu folgen, weshalb ich es gar nicht erst versuche und deshalb schnell ein wenig hinter ihm zurückfalle. Ich bleibe noch kurz in meinem gemütlichen Tempo, als Jack sich plötzlich umblickt und überrascht bemerkt, dass ich ein Stück hinter ihm bin.

Mate - Schreie ohne VernunftWo Geschichten leben. Entdecke jetzt