Kapitel 18 - Sternenzauber

14.5K 975 33
                                    

Jack

Bei meinen Eintreten dreht sich Jamie schnell um und wendet ihren Blick vom Fenster ab. Ihre brau-grünen Augen beginnen zu funkeln, als sie mich erblicken und ihre angespannte Haltung löst sich ein wenig. Diese Erkenntnis sorgt für ein warmes Gefühl in meiner Brust und ich kann mir ein leichtes Lächeln nicht verkneifen, denn es ist ein weiterer Schritt. Ich bin froh, sie zu sehen, vor allem nachdem mich der bisherige Nachmittag so unglaublich erschöpft und ausgelaugt hat, dass ich mich energielos und müde fühle. Der ganze Tag war bisher eine einzige Misere und ich hoffe darauf, dass Jamie dies ändern kann. Schon so oft konnte sie in der Vergangenheit meine Stimmung heben und mich auf andere Gedanken bringen. Auch nun hoffe ich darauf, dass sie mich die Auseinandersetzung mit Jennifer vergessen lassen kann.

Jamie hat ihren Blick noch immer auf mich gerichtet und obwohl ihr Gesicht völlig ausdruckslos ist, habe ich doch das Gefühl, dass sie nicht die gleiche Leere ausstrahlt wie bei unseren ersten Treffen. Langsam bewege ich mich in ihre Richtung und beobachte, wie sie jeden meiner Schritte mit ihren Augen verfolgt. Ich bewege mich neben sie ans Fenster und blicke hinaus in den Innenhof. Ohne zu ihr aufzusehen, weiß ich, dass Jamie noch einen kurzen Moment den Blick auf mein Gesicht gerrichtet hat und sich dann abwendet. Die Sonne scheint warm auf unsere Gesichter und es befindet sich keine einzige Wolke am blauen Himmel.

Im Innenhof befindet sich ein kleiner Park mit Bäumen, Blumen und einigen Bänken, doch die trübe Atmosphäre des Krankenhauses zerstört das kleine Grün. Der Park wirkt grau und trostlos und zugleich sehne ich mich nach den weiten Wäldern neben in der Nähe meines Hauses, in denen man praktisch Stunden in eine Richtung rennen kann ohne je ein Ende zu erreichen. In denen Büsche und Bäume blühen und die Tiere jagen, fressen und gefressen werden. Wälder, in denen Leben herrscht.

In diesem Park gibt es kaum Leben, das Krankenhaus mit seinem Tod und seiner Zerstörung entzieht jeglichen Funken. Das Tier in mir jault auf und sehnt sich nach der Natur. Wir fühlen uns hier gefangen, in diesem weißen Raum ohne jegliche Pflanzen oder den Funken der Natur. Der Wolf in mir streitet mit dem Menschen in mir und will die Zivilisation meiden. Weg von Menschenmengen, weg von dem Beton und der von Abgasen verdreckten Umwelt, wo das Leben schnell verschwindet. Zurück in die Wildnis und zu der schier endlosen Freiheit, welche bei den Menschen einfach nicht existieren kann.

Unser Rudelhaus steht nicht ohne Grund in einer kleinen Stadt und ist in der Nähe des Waldes gebaut. Genauso wie auch die Pflanzen, werden auch wir von den giftigen Abgasen und dem fortschreitenden Verschwinden der Natur zerstört. Genauso wie alle anderen Tiere kann es auch uns töten.

Wir bleiben minutenlang am Fenster stehen und beobachten stillschweigend die Personen im Park, die herumspazieren, sich unterhalten und das kleine bisschen Natur zu genießen versuchen. Die Stille ist nicht unangenehm oder merkwürdig aufgeladen, sondern, wie sie es mit Jamie so oft ist, entspannend und angenehm. Ein Strom von Gedanken durchzieht mein Bewusstsein, doch gleichzeitig denke ich an gar nichts und alles ist ruhig. Es ist unglaublich friedlich.

Jamie weckt mich aus meinen wandernden Gedanken, indem sie sich neben mir leicht bewegt und den Blick in den Himmel richtet. Ich folge ihren Blick. Mittlerweile ist es dabei, dunkel zu werden am klaren Himmel sind die ersten funkelnden Sterne zu erkennen. „Magst du Sterne?", durchbreche ich die lange Stille zwischen uns. Jamie wendet ihren Blick langsam von den Sternen ab, sie scheint nicht durch meine plötzliche Stimme aufgeschreckt zu sein, und richtet ihren Blick stattdessen auf mich und fängt den meinen ein. Dann nickt sie langsam. Meine Augen weiten sich leicht vor Überraschung, da ich kein wirkliches Zeichen von ihr erwartet hatte. Sie wendet ihren Blick wieder ab, um zu den Sternen sehen zu können.

„Mein Vater hat mir früher, als ich noch ziemlich klein war, immer die Sternbilder erklärt", beginne ich zu erzählen, während auch ich wieder meinen Blick in den Himmel richte. „Ich habe immer ganz lange gebettelt, dass ich doch noch ein bisschen länger wachbleiben darf, um die Sterne zu sehen. Wir wohnen ganz nah am Wald, wo es nur wenig Licht von der Stadt gibt und der Himmel noch ganz dunkel ist." Ich spüre, wie sie mich wieder anblickt, doch ich wende meine Augen nicht vom Himmel ab und starre weiterhin zu den Sternen hinauf.

Mate - Schreie ohne VernunftWo Geschichten leben. Entdecke jetzt