Kapitel 38 - Bereit

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Zeit ist vergangen, Dinge sind geschehen. Dinge haben sich verändert, mich erschüttert und immer wieder aufgewühlt, doch mein Leben ergibt endlich einen Sinn. Es ist anstrengend und es schmerzt, doch ich kann endlich nach vorne sehen ohne Panik zu verspüren.

Noch immer lebe ich in der Psychiatrie, doch es geht stetig bergauf. Ich kann die Schmerzen durchstehen und durch die Angst hindurchsehen, weil ich weiß, dass es besser werden kann.
Ich gehe endlich auf Dr. Thompsen ein und unser Gespräch ist nicht mehr einseitig. Die Worte sind zu mir zurückgekehrt und obwohl sie mir noch immer schwer fallen, mich teilweise wieder ganz verlassen und bei fremden Personen nie zurückgekommen zu scheinen, so kann ich doch erzählen.

Ich habe verstanden, dass nicht alle Menschen mir Böses wollen, dass es solche gibt, die mir wirklich und aufrichtig helfen wollen – und Dr. Thompsen ist eine dieser Personen. Ich erzähle, beantworte ihre Fragen und wenn mir die Worte fehlen, dann wartet sie auf mich. Ich werde nicht gezwungen zu sprechen, doch erstmals will ich es selbst, denn die Dunkelheit in mir zieht sich mit den meine Lippen verlassenden Worten ebenfalls zurück. Die Geschichte meiner Vergangenheit verlässt erstmals meine Gedanken und es schmerzt unglaublich, die Momente noch einmal zu durchleben. Gleichzeitig fühlt es sich an, als könnte ich beginnen damit abzuschließen.

Es fließen viele Tränen. Von mir, von Dr. Thompsen aber auch von Jack. Er ist ein weiterer Grund, warum ich endlich die Worte finde, um zu beschreiben, was mit mir passiert ist, obwohl er es gleichzeitig auch schwerer macht. Er hält meine Hand und bestärkt mich in dem Wissen, dass ich nicht alleine bin und dass ich nicht mehr dort bin. Er versichert mich, dass es vorbei ist und die Zeit, von der ich erzähle, in der Vergangenheit liegt. Jack ist nicht der Grund, warum es mir langsam besser geht, doch er ist eine Motivation dafür.

Es ist ein merkwürdiges Gefühl, von meiner Vergangenheit zu erzählen. Es tut jedoch gut, davon zu erzählen, selbst wenn ich mich erneut an jedes Detail erinnern muss. Jede Berührung meines Vaters, jeder erstickte Schrei meiner Mutter und jeder schmerzerfüllte Klagelaut meiner Geschwister. Doch ich kann endlich abschließen und begreifen, dass es endgültig vorbei ist und mein Leben weitergehen kann.

Eine der ersten Veränderungen ist die allmähliche Verringerung der Albträume. Sie werden weniger und weniger und der Inhalt schmerzloser. Ich kann erstmals wieder Nächte durchschlafen, ohne schreiend aufzuwachen und am Morgen müder zu sein als am Abend.
In den ersten Nächten kam Larissa erneut nach mir schauen, um zu überprüfen, dass mir nichts geschehen ist, doch die folgenden Nächte hat sich auch dies gelegt.

Dr. Thompsen ist stolz über meine Fortschritte, doch ich merke auch ihre Überraschung über deren Schnelligkeit. Sie blickt mich und Jack in diesen Moment oftmals nachdenklich mit einem wissenden Blick an. Als ich Jack darauf ansprach, erklärte er mir mit einem leicht verschmitzten Grinsen, dass sie über sein Dasein als Werwolf Bescheid weiß.

Jack hat mir in den Tagen nachdem wir auf der Lichtung waren viel erklärt. Vieles davon habe ich verstanden und ohne Probleme akzeptiert. Die Informationen über Werwölfe habe ich praktisch aufgesaugt und auch wenn es teilweise schwer zu glauben war, so zweifelte ich doch nie an Jacks Worten. Doch obwohl ich nicht an seiner Wahrheit zweifelte, brauchte ich eine Weile, damit ich auch wirklich verstand, dass es die Realität ist. Das erste Mal, als er sich vor mir verwandelt hat, war kein einfacher Moment. So gerne ich sagen würde, dass ich ohne Angst auf ihn zugegangen bin, so ist es einfach nicht die Wahrheit. Ich hatte panische Angst und stolperte vor ihm zurück, auch wenn mir irgendwo klar war, dass ich Jack damit verletze. Doch in diesem Moment sah ich nur eine riesige Version von einem Tier vor mir, vor welchem ich normalerweise so schnell es geht, flüchten würde. Ich brauchte eine Weile, um das Bild von einem grinsenden Jack mit dem riesigen, schwarzen Wolf in Verbindung zu setzen. Langsam aber sicher konnte ich mich mit dieser neuen Realität abfinden, obwohl ich noch immer Tag habe, an denen es schwer ist zu akzeptieren, dass manche Legenden nicht nur Teil der Fantasie sind.

Mate - Schreie ohne VernunftWo Geschichten leben. Entdecke jetzt