Kapitel 21 - Rätsel

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Jamie

Wieder derselbe Traum, dieselbe Panik. Es ist jedes Mal das Gleiche und nie wird es auch nur ein bisschen einfacher oder weniger schmerzhaft. Es ist dasselbe leere Bett, dasselbe Zimmer. Ich fühle mich paralysiert und versuche mich loszureißen und wegzurennen, doch ich komme keinen Zentimeter voran. Mein Körper ist festgefroren auf der Stelle und ich möchte schreien, um mich schlagen und aus dieser Hölle entkommen, doch es gibt keinen Ausweg und keine Flucht aus dieser Qual. Unterbewusst nehme ich wahr, dass ich in einem Traum gefangen bin und in die Realität zurückkehren will, doch mein Bewusstsein nimmt nichts anderes wahr, als die Panik und den Horror meines Traumes. Es gibt keinen Sieg.

Ich kann weder aufwachen noch in diesem Traum die Überhand gewinnen. Ich bleibe gefangen und werde gezwungen, mir dieselben Szenen immer wieder aufs Neue anzusehen und dieselbe Angst verspüren wie jedes andere Mal. Innerlich schreie und tobe ich, doch mein Traum-Ich bleibt starr und stumm und die Szenen laufen wie in einem Film vor mir ab, den ich weder beenden oder verändern kann.

Anders als sonst erwache ich nicht auf einen Schlag aus meinem Traum. Vielmehr wird alles langsamer und leiser. Der Traum beginnt in Zeitluppe abzulaufen – es wird immer heller und heller. Ich merke, wie ich ebenfalls ruhiger werde. Mein Drang, um mich zu schlagen und zu schreien reduziert sich und ich habe das Gefühl, als könnte ich wieder normal atmen, ohne dass sich meine ganze Brust vor Panik verengt.

Wie ein Blitz und ohne jegliche Vorwarnung drängt sich ein letztes Traumbild vor meine Augen und ich beginne zu schreien – ohne jegliche Vernunft oder Beherrschung. Ruckartig setze ich mich und werfe mich einer Person um den Hals. Ich klammere mich an sie, als wäre ich ein Ertrinkender, der sich an eine Rettungsboje festhält. Ich lege meinen Kopf an den warmen Körper, sucht nach der Wärme und ich lasse meinen Tränen freien Lauf. Der Kontrast meiner kalten Haut zur Wärme, welche die andere Person aussendet, schwächt mein Zittern, während Schluchzer mich weiterhin durchschütteln. Noch immer verspüre ich eine unglaubliche Angst und mein halbwaches Hirn ist nicht dazu fähig, die letzten Momente zu verarbeiten. Der Inhalt meines Traumes ist bereits aus meinen Erinnerungen gewichen, doch die Gefühle sind geblieben und ich kann die Furcht nicht aus meinem Gliedern schütteln. Nur ein einzelnes Bild kann ich nicht vergessen und immer wieder taucht es hinter meinen geschlossenen Augenliedern auf.

Und auf einmal wird alles still. Mein Schluchzen verstummt, meine Tränen versiegen und mein Körper wird stockstarr. Die Angst und die Panik meines Traumes weichen und obwohl noch immer das Bild vor meinen Augen habe, wird es auf einmal zweitrangig.

Ich realisiere den Fehler, den ich gemacht habe und ich spüre die drohende Gefahr. Es fühlt sich an wie ein brodelnder Sturm, der sich langsam vergrößert und kurz vor dem Ausbruch steht. Absolut tödlich und dazu fähig, alles mit sich nieder zu reissen. Ich spüre die lebendige Wärme unter meiner Haut und wie sie auf mich überströmt und ich rieche den angenehmen, vertrauten Duft nach feuchten Herbstblättern und warmen Sommertagen. Sogar ein Herzschlag kann ich spüren, der sich langsam verschnellert und langsam beginne ich die Person zu erkennen, obwohl es doch eigentlich schon lange klar war. Wieso sollte sich auch jemand anderes als Jack in meinem Zimmer aufhalten?

Trotz dieser Antwort habe ich keinerlei Ahnung, wie ich in diesem Moment reagieren soll. Ich spüre, wie sich eine erneute Panik breit machen will und bemühe mich, meine Ruhe zu bewahren und die Kontrolle nicht erneut zu verlieren. Wie so oft, stellt sich mir erneut die Frage: Herz oder Kopf? Meine Instinkte schreien mir zu, dass ich mich entfernen soll und alles in mir will zustimmen, denn genügend Erfahrungen zeigten, dass dies die beste Vorgehensweise in dieser Situation ist.

Die bisherigen Jahre sollten mir doch zu Genüge gezeigt haben, dass Berührungen nie gut enden werden. Meine Erfahrungen richteten mich auf die Fluchtstrategie ab, denn das Kämpfen stellte sich immer als die schmerzhaftere Strategie heraus. Doch obwohl alles in mir danach schreit, danach zerrt sofort aufzuspringen und zu flüchten, kann ich mich nicht bewegen. Ich bin völlig erstarrt. Doch meine Starre stammt nicht von Panik oder einer Überforderung.

Mate - Schreie ohne VernunftWo Geschichten leben. Entdecke jetzt