Epilog

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Jack

Ich kann es nicht fassen. Nicht fassen, nicht kapieren, nicht begreifen, nicht akzeptieren und nicht glauben. Denn es kann nicht sein. Es darf nicht sein.Es war doch alles perfekt. Alles Schlechte schien vorbei zu sein, verschwunden ohne Rückkehr. Doch das war vermutlich das Problem. Es schien vorbei zu sein, doch in Wahrheit war es dies nie. Der Krieg hat niemals aufgehört, der Kampf wurde nie beendet.

Immer hat sie gekämpft. Immer gegen sich selbst. Es fühlt sich an, als würde ich innerlich zerrissen werden. In tausend einzelne Stücke, welche über das ganze Land, den gesamten Kontinent, über das ganze Universum verteilt werden, so dass es unmöglich wird, mich je wieder zusammenzusetzen. Dass es unmöglich ist, dass ich je wieder in Ordnung sein kann.
Es tut so unglaublich weh. Mehr als all die Katastrophen, die ich in den letzten Jahren durchgangen bin, zusammen.

Es ist unmöglich, diese Schmerzen zu beschreiben, die Hoffnungslosigkeit in mir drin und wie leblos ich mich gleichzeitig fühle. Ich fühle mich, als wäre ein Teil in mir gestorben und der Rest meines Körpers spürt diesen Verlust mit jedem einzelnen Nerv.

Es hat alles seinen Sinn verloren. Wieso ich atme, wieso ich lebe, wieso ich existiere. Alles ist so unglaublich belanglos und unwichtig. Nichts hat mehr irgendeinen Sinn. Alles ist leer. Und ich weiß nicht, was ich hier noch mache. Ich weiß nichts. Ich weiß nichts mehr, außer dass alles so unglaublich schmerzt. Ich werde zerrissen, zerstückelt, überfahren, ertränkt und verbrannt und all dies gleichzeitig könnte noch nicht annährend an die Schmerzen herankommen, die mich innerlich verwüsten.

Ich schluchze, ich weine und ich schreie. Jeder Schmerz soll von mir weichen, doch er verstärkt sich nur mit jeder weiteren Sekunde. Ich schlage, trete um mich. Ohne Ziel. Ohne Absicht. Einfach, weil alles weh tut und nicht aufhört. Es ist zu End, vorbei. Denn sie ist weg. Tot. Für immer verschwunden. Und sie wird niemals zurückkehren. Niemals wieder werde ich ihr Lächeln sehen, niemals wieder ihre Stimme hören, nie wieder ihre sanfte Umarmung spüren.Nie wieder werde ich mit dem Wissen aufwachen, dass sie hier ist und mich glücklich macht. Sie ist weg. Obwohl sie doch versprochen hat zu bleiben. Sie hat es versprochen, geschworen!

„Wieso? Wieso bist du gegangen?" Ich schreie, weil nicht mehr weiter weiß. „Du hast es versprochen! VERSPROCHEN, HÖRST DU? Und Versprechen bricht man nicht..." Mein letzter Satz geht in Schluchzern unter. Langsam sinke ich auf die Knie und lege mich auf den Boden. Ich ziehe die Knie an meinen Körper und weine. Ich kann nichts mehr anderes tun. Die Kraft ist aus mir verschwunden. Vollständig und für immer. Sie hat versprochen zu bleiben. Ich habe ihr geglaubt. Ich habe gedacht, dass es ihr gut gehen würde. Ich dachte, sie wäre glücklich. Mit mir und mit dem Leben.

Doch sie war es nicht. Und ich musste es auf die schmerzhafteste Art erfahren. Sie antwortete mir nicht, als ich Nachhause kam. Es verwunderte mich nicht weiter, schließlich hätte sie unter der Dusche sein oder schlafen können. Es kamen keine Geräusche aus dem Badezimmer, weshalb ich dachte, dass sie schläft. Als ich die Zimmertür öffnete, wurde mir klar, dass etwas ganz und gar nicht stimmt.

Das Bett war leer. Mein Herz krampfte sich zusammen und ich wurde von Angst durchströmt. Mit langsamen Schritten bewegte ich mich auf das Bett zu und sah, was darauf lag. Ein einziger Zettel war ihr Abschied. Ein Zettel, auf dem sie mir dankte, für die Zeit, die wir gemeinsam hatten, auf dem sie sich entschuldigte. Ein Zettel, der mir klar machte, dass sie auf dem Weg war, sich von einer Brücke zu stürzen, der mir klar machte, dass sie nicht mehr konnte. Ein Zettel, der mich wissen ließ, dass es zu spät war. Und trotzdem rannte ich.

Ich rannte schneller als je zuvor, verwandelte mich in einen Wolf, ignorierte die Menschen, die mich sehen. Ick kam zu spät. Der Schmerz, den ich verspürte, als das Leben aus ihr wich, war unvergleichlich. Er durchschlug mich wie ein Blitz und mir war augenblicklich klar, dass sie weg war. Dass sie tot war.

Und jetzt liege ich zusammengekrümmt neben ihr. Neben der Leiche meiner Mate, meiner Seelenverwandten, neben Jamie. Neben dem Sinn meines Lebens, der für immer verschwunden ist. Weil ich es nicht geschafft habe, sie zu retten. Weil ich zu schwach bin. Zu schwach, um sie zu retten, zu schwach, um mich zu retten, zu schwach, um uns zu retten.

Ich liege im Regen, im Dunklen neben einer Leiche, und weine. Ich weine wegen dem Schmerz von unserer Verbindung, der Trauer ihres Verlustes und vor Erleichterung, dass es bald vorbei ist. Ich habe Monika nicht angelogen, als ich von der Tiefe unserer Verbindung gesprochen habe. Unsere Verbindung ist zu stark, um den Tod zu ignorieren. Egal wo sie hingeht, ich muss ihr folgen. Ich habe keine Wahl und in diesem Moment kämpfe ich auch nicht für eine. Diesen Schmerz will ich nicht mehr spüren, ich will zu ihr zurück. Ich brauche sie... Ich spüre weder die Kälte, noch höre ich die Sirenen des Krankenwagens aus der Ferne näher kommen. Die Welt um mich herum wird dunkler, leiser. Alles vergeht, die Kraft verlässt meinen Körper, die Schmerzen verschwinden.

Meine Augen schließen sich und ich falle. Es ist vorbei. Für immer.

„Jack?" Eine engelsgleiche Stimme ertönt ganz aus der Nähe. Schmale Hände rütteln an meiner Schulter und lassen die Trägheit aus meinen Gedanken verschwinden. „Was ist denn los?" Meine Stimme klingt ungewohnt rau und schmerzt leicht. Ich schlage die Augen langsam auf und blicke in braune Augen, die meinen Blick mit Tränen erwidern. Sofort bin ich hellwach, setze mich auf und nehme die Person vor mir in die Arme.

„Du hattest einen Albtraum, vermute ich jedenfalls. Du hast geschrien, geweint und um dich geschlagen und ich konnte dich einfach nicht aufwecken." Jamie schluchzt leise und schmiegt sich in meine Arme. Meine Erinnerungen an den Traum kehren nur schwammig und ungenau zu mir zurück. Trotzdem erschauere ich und drücke Jamie noch ein wenig näher an mich. „Es ist alles gut, es war nur ein Traum." Behutsam streiche ich durch ihre weichen Haare. Ihr Körper bebt noch immer leicht und ich spüre, wie sich einige Tränen ihren Weg über meine Wangen bahnen.

„Du bist hier. Ich bin so froh, dass ich dich habe und dass dieser Traum nicht Wirklichkeit war", nuschle ich in ihre Haare, mehr für mich selbst als für sie. Dann drücke ich sie ein wenig von mir weg und blicke in ihr leicht verweintes, aber noch immer wunderschönes Gesicht. Ich beuge mich zu ihr herunter und küsse sie leicht auf die Lippen. Mein Leben ist kein Traum, auf keinen Fall. Kein Leben ist wie ein Traum und wenn, dann ist es auf Lügen aufgebaut. Doch mein Leben ist auch kein Albtraum.

Ich habe in den letzten Jahren viel Leid erfahren müssen und ich bin mir sicher, dass auch noch viel Leid auf uns zukommen wird. Denn das Leben ist ein einziges Auf und Ab mit zahlreichen Hügeln und Tälern. Manchmal geht es bergauf, manchmal bergab.

Und jedes Mal, wenn man denkt, dass man den höchsten Punkt erreicht hat und endlich den Abstieg geniessen kann, folgt auch schon der nächste Anstieg und das nächste Leiden. Doch jeder Hügel lässt sich bewältigen, jeder Berg lässt sich besteigen und jedes Mal kommt auch wieder das Gute. Manchmal ist nicht einmal klar, ob der Anstieg oder der Abstieg einfacher sind. Doch das gehört zum Leben.

Ich befinde mich gerade auf dem höchsten Stand des Berges, ich bin glücklich, uns geht es gut. Doch trotzdem weiß ich, dass der nächste Fall und der nächste Anstieg kommen wird. Das lässt sich nicht vermeiden, sondern nur herauszögern. Aber ich habe keine Angst vor dem nächsten Fall, denn ich habe Jamie an meiner Seite.

Ich bin bereit für den nächsten Fall. Für immer.

Mate - Schreie ohne VernunftWo Geschichten leben. Entdecke jetzt