Kapitel 34 - Rettungsring

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Ich schließe meine Augen und der Wind zieht an mir vorbei und pfeift in meinen Ohren. Leise schreie ich in meiner Angst auf und presse meine Augen noch stärker zusammen. Meine Gedanken rasen in Lichtgeschwindigkeit. Gleich werde ich auf den Boden aufkrachen und breche mir das Genick, darüber bin ich mir sicher. Knack, und vorbei ist mein Leben. So schnell...

Der Fall ist vorbei bevor er überhaupt wirklich begonnen hat. Ich pralle auf und lande, anders als erwartet, nicht auf dem Boden, sondern in warmen Armen. Vorsichtig drücken mich die Arme an den dazugehörigen Körper und stellen mich dann nach einem kurzen Moment schließlich auf meine eigenen Beine. Langsam öffne ich meine Augen und blicke in das belustigte Gesicht von Jack. Ich bin froh, dass er mich noch immer festhält, da meine eigenen Beine noch immer zittern und ich nicht sicher bin, ob ich ohne seine Hilfe aufrecht stehen bleiben würde.

„Ich habe dir doch gesagt, dass du mir vertrauen kannst. Siehst du? Du lebst noch." Er grinst mich an, während ich ihn nur empört anstarre und die Lippen zusammenpresse. Dann löse ich mich von ihm, mit der großen Hoffnung, dass meine Beine mich tragen, und verschränke meine Arme. Nachdem mich Jack weiterhin angrinst ohne ein Zeichen der Reue, drehe ich ihm schließlich den Rücken zu.

„Hey, so meinte ich das doch nicht." Ich kann die Belustigung noch immer in seiner Stimme hören, weswegen ich es nicht für nötig halte, mich schon wieder zu ihm umzudrehen.
„Aber so wie du gekreischt hast, hätte man meinen können, dass du eine Spinne gesehen hast." Empört schnaufe ich auf. Genug. Ich habe noch nie beim Anblick einer Spinne gekreischt. Ich blicke mich kurz um und stapfe dann mit entschlossenen Schritten in Richtung der Straße. Schritte ertönen hinter mir, als Jack mir folgt und zu mir aufholt, bis er schließlich neben mir hergeht. Weiterhin blicke ich stur nach vorne und beachte ihn nicht.

„Weißt du, ich würde mich liebend gerne einem weiteren Klischee bedienen und sagen, dass du in die falsche Richtung läufst, doch blöderweise hast du tatsächlich die richtige Richtung gewählt." Jacks Grinsen ist sogar in seiner Stimme klar hörbar. Wieso muss der heute auch so gut aufgelegt sein? Doch der Bann ist gebrochen und ich kann meine empörte Fassade nicht mehr länger aufrechterhalten. Seine unausgesprochene Entschuldigung ist bei mir angekommen. Ich blicke zu ihm auf und ein leichtes Lächeln schleicht sich wieder auf meine Lippen. In einem unerwarteten Anflug von Mut boxe ich ihm leicht gegen den Arm, worauf er sich diesen reibt und mich gespielt verletzt ansieht. Blödmann.

„Wir sollten jetzt ernst bleiben." Er atmet tief ein, als will er sich selbst beruhigen und für etwas Bevorstehendes wappnen. Dann, mit einer schnellen und doch zögerlichen Bewegung nimmt er meine Hand. Überrascht zucke ich zusammen, doch ich ziehe meine Hand nicht weg. Seine Hand ist warm und rau. Leichte Schwielen bedecken die Handflächen und die Fingerspitzen, als würde er oftmals mit ihnen arbeiten. Seine Finger sind lang und dünn, perfekt für feine Arbeit geeignet. Noch immer hängt meine eigene Hand locker in der seinen. Langsam drücke ich zu und halte seine Hand fest.

Ein warmes Gefühl erfüllt mich und glücklich blicke ich zu ihm auf. Sein Gesicht ist ebenfalls von Glück gezeichnet, doch auch Ehrfurcht und unbändige Freude sind dort zu sehen. Sein sonstiges breites Grinsen wirkt nun sanfter und weicher. Für einen kurzen Moment blicken wir uns in die Augen. „Komm, wir sollten langsam gehen. Ich will noch vor Mitternacht ankommen." Im nächsten Moment werde ich mitgezogen und stolpere Jack nach, der lachend vorausgeht.

Ich blicke um mich und versuche in der dunklen Nacht etwas zu erkennen. Nur schwach kann ich die kommenden Knospen an den Bäumen sehen, wenn ich nahe an einem Ast vorbeigehe. Die Nächte sind immer noch ziemlich kalt und ich bin froh darüber, dass ich einen dicken Pulli angezogen habe und nicht erneut in der Kälte frieren muss, wie vor wenigen Tagen. Ich kann nur wenig im Wald erkennen, doch immer wieder sind Geräusche zu hören. Ein Knirschen, das Kreischen einer Eule und sogar das leise Zirpen von Insekten. Normalerweise würde ich mich fürchten, doch Jacks warme Hand verleiht mir den benötigten Mut, um durch den Wald zu stapfen, ohne bei jedem Geräusch aus meiner Haut zu fahren.

Mate - Schreie ohne VernunftWo Geschichten leben. Entdecke jetzt