Kapitel 15 - Trauer

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Jamie

Ich kann meinen Augen kaum trauen. Er steht im Türrahmen. Endlich. Endlich ist Jack da, um mich aus diesem verdammten Gefängnis zu befreien. Das trostlose Gefängnis, das sich mein Kopf von ganz alleine erbaut hat. Ein Gefängnis, das so stark gesichert ist wie das von Alcatraz, aus welchem so gut wie niemand entfliehen kann. Ich habe es noch nicht einmal aus meiner Zelle geschafft und versuche es schon seit Langem nicht mehr.

Doch ein Gefühl sagt mir, dass Jack über die Mauern und sich durch die vielen Hindernisse bis zu meiner Gefängniszelle vorankämpfen kann. Er wird Wege finden, um zu überwinden, was andere noch nicht einmal gewagt haben und er wird zu mir vordringen können, doch die Frage ist vielmehr, ob ich mit ihm mitgehen werde. Gleichzeitig weiß ich aber auch, dass er sich gerade mal auf dem Weg zur Insel ist und noch einen unglaublich schweren Weg vor sich hat, weshalb ich noch das kleinere Problem bin. Er steht noch vor den tosenden Wellen und dem kalten Wasser, welches die Insel umgibt und sucht immer noch einen Weg, um die Gewässer zu überqueren. Jack hat das Festland noch nicht wirklich verlassen, doch er sucht voller Überzeugung ein Boot und wenn er keines findet, dann kämpft er sich eigenhändig durch die kalten Wellen.

Ich blicke Jack an und mustere ihn. Sein ebenmäßiges Gesicht ist bleich und leicht eingefallen und die Ringe unter seinen Augen sprechen von unruhigen und schlaflosen Nächten. Die Haut, welche seine Augen umgibt, wirkt violett und seine Augen sind durch geplatzte Äderchen gerötet und gereizt. Allgemein wirkt er erschöpft, als würde die gesamte Last der Welt auf seinen Schultern liegen. Es scheint so, als würde ihm langsam die Kraft ausgehen um diese Last noch viel länger zu tragen. Seine Schultern lässt er müde hängen und durch die zusammengesackte Haltung wirkt er weitaus kleiner und weniger imposant als er wirklich ist. Seine Hände sind zu Fäusten geballt, wobei er die Muskeln in den Armen und Händen immer wieder unruhig an- und wieder entspannt. Er ist nervös, unruhig und unausgeglichen.

Es ist ungewohnt und erschütternd, ihn so zu sehen und es versetzt mir einen Stich im Herzen. Doch das Schlimmste ist die Abwesenheit des sonst üblichen Grinsens. Jedes Mal, wenn ich ihn gesehen habe, trug er ein breites Grinsen im Gesicht, strahlte mich an und lachte über seine eigenen Witze und Geschichten. Dieser Anblick nun wirkt beinahe grotesk und es macht keinen rechten Sinn in meinen Kopf. Der Jack, den ich kennengelernt habe ist ein fröhlicher, lustiger Mensch und ich kann ihn nicht mit der Person vor mir identifizieren.

Seine schwarzen Haare liegen platt auf seinem Kopf, zerzaust und unordentlich, als hätten selbst sie keine Kraft mehr, irgendetwas zu tun und sei es auch nur, ordentlich auszusehen. Der Haaransatz wirkt leicht fettig, ungewaschen und ungepflegt. Auch dieser Fakt erschreckt mich, denn Jack achtete immer auf ein ordentliches Aussehen, wenn wir uns trafen. Das ganze Bild, welches er in diesem Moment abbildet, schmerzt und es verwirrt mich und wüsste ich es nicht besser, dann würde ich Jack in diesem Moment nicht erkennen. Doch seine Augen beweisen mir seine Identität, denn als Einzige senden sie andere Signale als der Rest seines Körpers. Seine Augen leuchten, das blaue Grau strahlt in dem Licht der Krankenhausbeleuchtung schon beinahe silbern und gibt einen fast schon unnatürlichen Glanz voller Erleichterung und Glück ab. Ich kann nicht wirklich erkennen, welche Gefühle sie ausstrahlen, doch ich erkenne die Lebendigkeit darin.

Bei dem Blick in seine Augen fühlt es sich an, als wäre die Last von meinen Schultern auf seine sonst schon überladenen Schultern übertragen worden. Sein Gesicht verzieht sich leicht und er presst seine Lippen zusammen. Ich erkenne den Schmerz, doch gleichzeitig blitzt etwas anderes in seinen glitzernden Augen auf. Doch es verschwindet bevor ich es genauer analysieren kann. Ich sollte mich schlecht fühlen, dass ich ihm noch mehr Last, auf seine Lasten auferlege, doch in diesem kurzen Moment kann und will ich mich nicht beklagen, denn ich kann das Gewicht schon lange nicht mehr selbst tragen.

Mate - Schreie ohne VernunftWo Geschichten leben. Entdecke jetzt