Kapitel 33 - Alte Erinnerungen

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Mein Bett senkt sich leicht, als ich mich darauf niederlasse und ein leises Quietschen ist zu hören. Ich befinde mich wieder in meinem vertrauten Zimmer der Psychiatrie und ich fühle mich ruhig und gelassen, wieder angekommen. Mein Blick schweift automatisch über die Wände hinweg zu meinem Fenster und hinaus in die Dunkelheit.

Schwach erinnere ich mich daran, wie ich vor Monaten aus demselben Fenster geschaut und gedacht habe, wie trostlos mein Leben sei. Wie schnell sich alles ändern kann... Nur einige Tage später habe ich Jack getroffen und mein ganzes Leben hat sich verändert, obwohl mir dies zu diesem Zeitpunkt noch nicht ganz klar war. Ich erinnere mich an mein Misstrauen und an die merkwürdige Situation, in der sich Jack einfach bei meiner Therapiestunde dazugesellt hat.

Doch mein Misstrauen erwies sich, wie ich nun weiß, als unbegründet. Niemals hätte ich gedacht, dass ich je an den Punkt kommen würde, an dem ich einem Menschen wieder so weit trauen würde, dass ich ihn berühren könnte. Nie hätte ich gedacht, dass ich es je wieder schaffe, zu sprechen ohne dass es sich anfühlt, als würden mich die Wörter ersticken wollen.
Doch es ist geschehen. Das Unvorstellbare ist zur Realität geworden.

Es ist so viel geschehen, dass mich das Erinnern beinahe schwindlig macht. Mein Anfall, das Krankenhaus, der Ausflug mit Jack, der Kuss... Und all die vielen Momente dazwischen, die mich immer wieder an mir selbst zweifeln ließen und mir Angst machten, denn ich verhielt mich nicht mehr so, wie ich sollte und meine Schutzschilde wurden schwächer und schwächer. Dann mein kurzzeitiges Verschwinden, unser Wiedertreffen und die Nähe, die ich zu Jack empfunden habe.

Mein kurzer Ausflug ist nun drei Tage her und seit mich Jack hierher zurückgebracht hat, habe ich ihn nicht mehr gesehen. Unsere eigentliche Rückkehr war ziemlich simpel, denn Dr. Thompsen schien nicht wirklich überrascht uns beide fröstelnd vor der Tür der Psychiatrie zu finden. Vielmehr wirkte sie sogar erleichtert. Ich wurde dann schnell auf mein Zimmer gebracht und Jack ist verschwunden und ließ sich nicht mehr blicken. Obwohl ich mir ziemlich sicher bin, dass er zurückkehren wird, versetzt mir sein Verschwinden einen Stich ins Herz und ein mulmiges Gefühl breitet sich in meinem Magen aus. Unwillig gehen mir alle schrecklichen Szenarien durch den Kopf, was passiert sein könnte und warum er nicht zurückkehrt, doch ich schüttle sie ab. Er wird zurückkommen.

***

Ein Klopfen lässt mich von meinem Buch aufschrecken und mein Kopf schnellt irritiert hoch, denn das Geräusch kam nicht von der Tür. Erschrocken blicke ich zum Fenster und sehe Jack auf dem Fenstersims, auf dem er in der Hocke sitzt und sich mit den Händen an den Gitterstäben festhält. Meine Hand schnellt zu meiner Brust und ich spüre mein schnell klopfendes Herz während ich mich vom Schock zu beruhigen versuche.

Jack grinst mich nur an und gestikuliert mit seinen Händen auf das Fenster, welches vor den Gitterstäben noch immer verschlossen ist. Nach kurzem Zögern winkt er mir dann mit einer Hand noch zu und bewegt die Lippen zu einem Hi. Langsam erhebe ich mich, der Schreck noch immer in meinen Gliedern, und trete näher zum Fenster, während ich Jack böse Blicke zu werfe. Diese quittiert er mit einem weiteren Grinsen. Für einen kurzen Moment bin ich froh, dass sich mein Fenster komplett öffnen lässt und nicht wie in anderen Zimmern nur kippen lässt oder gar nicht erst vorhanden ist.

Mit einem letzten finsteren Blick in Jacks Richtung öffne ich das Fenster und spüre wie die kühle Nachtluft mir entgegen kommt. „Hi", sagt Jack simpel und grinst mir weiter entgegen. Ich verschränke die Arme und blicke ihn fragend an. Mir ist noch immer nicht ganz klar, was er hier nach drei Tagen Funkstille macht. „Ich wollte dich eigentlich nur fragen, ob du Lust auf einen Spaziergang hast?", seine Augen leuchten bei seinem Vorschlag und er schaut mich erwartungsvoll an.

Ich deute mit meiner Hand vorbei an ihm in die Dunkelheit der Nacht. Nur das schwache Licht einer Straßenlaterne trägt zum Mondlicht bei und in der klaren, kühlen Nacht sind die leuchtenden Sterne sichtbar. Er folgt meiner Hand und blickt kurz verständnislos in die Nacht hinein, bevor er mich versteht. Seine Hand fährt durch seine Haare und mit einem verschmitzten Grinsen kratzt er sich im Nacken.

Mate - Schreie ohne VernunftWo Geschichten leben. Entdecke jetzt