Kapitel 23 - Angst

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Es fühlt sich an, als würde mich Dr. Thompsens Blick erstechen wollen. Starr und unnachgiebig bohrt sich ihr Blick in meinen und ich fühle mich bloss gestellt in diesem Krankenhauszimmer. Ich wünsche mir, durch den Boden verschwinden können und dieser Auseinandersetzung entgehen zu können. Doch ich sehe keinen Ausweg, nirgends gibt es eine Möglichkeit zu fliehen.

Ich senke meine Augen und blicke auf meine Hände, die mittlerweile meine Knie umschlungen haben, und betrachte meine Nägel. Das Nagelbett ist unschön, die Haut darum aufgerissen und auch jetzt muss ich mich zurückhalten, um nicht an meiner Haut zu kratzen und die kleinen Häutchen, die sich von meiner Haut ablösen, komplett abzureisen. Meine Finger zucken leicht und ich merke, wie mein Fuß beginnt, sich unruhig zu bewegen und dadurch meine Knie in ein leichtes Wippen bringt.

Meine Hände beginnen zu zittern und ich fühle mich erneut, als würde ich die Kontrolle verlieren. Schnell balle ich meine Hände zu Fäusten, um dieses elende Zittern zu unterdrücken und den Drang zurückzuhalten, an meinen Fingern herum zu zupfen. Ich spüre, wie meine Hände in den Fäusten schwitzig werden und ich das Zittern nur schlecht unterdrücke. Die Panik lässt sich nicht von mir beherrschen. Sie beherrscht mich.

„Also, Jamie?", fragt Dr. Thompsen mit sanfter Stimme. Gänsehaut auf meinem Körper. „Möchtest du uns nicht etwas erzählen?" Panik, die sich wie eine Welle über mich legt und mich zu ersticken droht. Ich kann nicht sprechen. Die Barriere steht und die Brücke ist weg. Ich finde die Wörter nicht mehr, sie sind verschwunden, als wären sie nie da gewesen. „Wir wollen dir doch nur helfen." Ein Schauer, der sich über meinen ganzen Rücken zieht. Mir kann nicht geholfen werden und ich kann nicht helfen, denn die Wörter sind weg.

Ich spüre, wie die ganze Farbe aus meinem Gesicht gewichen ist und ich immer mehr der Farbe meines Lakens ähnle. Die Panik scheint mich zu ertränken und die Angst kontrolliert meinen Körper. Mein Hals ist zugeschnürt und meine Augen festgefroren auf meine noch immer leicht zitternden Fäuste. „Monika, ich denke, es wäre besser, wenn du jetzt gehst." Jacks Stimme klingt eindringlich und trotzdem ruhiger als zuvor. Er scheint sich mittlerweile ein wenig gefangen zu haben. Die Panikwelle geht ein wenig zurück und noch immer steht mir das Wasser bis zum Hals, doch ich spüre, wie ich aufatmen kann.
„Wieso das denn?", zischt sie ihn an. „Siehst du nicht, dass du ihr Angst machst?" Jacks Stimme ist noch immer ruhig, doch die Ruhe wirkt nun bereits gezwungener und ich höre den Nachdruck und das leichte Unverständnis in seinem Ton. „Wir könnten endlich erfahren, wieso sie so ist!" Aus den Augenwinkeln nehme ich wahr, dass Dr. Thompsen bei dem Wort so eine Bewegung mit ihrer Hand in meine Richtung macht. Ich zucke zusammen. Sie gibt mir mit diesen Worten zu verstehen, dass ich für sie nichts mehr bin als eine Krankheit, die sie zu heilen hat. Keine Person, kein fühlender Mensch, sondern lediglich ein Problem, das es zu lösen gilt. Sie spricht die Worte aus, als sei ich eine ansteckende, ekelerregende Krankheit, die zu behandeln ist.

„Sie ist nicht so weit, kannst du das nicht sehen? Ihr geht es nicht gut!"

„Ihr ging es schon vorher nicht gut und es wird ihr auch weiterhin nicht gut gehen, vor allem wenn sie nicht redet!" Dr. Thompsens Stimme ist nicht mehr ruhig und ich zucke zusammen, als sie immer lauter wird. Sie wirkt aufgebrachter und fassungsloser als ich sie bisher erlebt habe und ich merke, dass sie mir, zum ersten Mal seit ich sie kenne, Angst macht. Ich fühle mich erstmals in ihrer Gegenwart wirklich unwohl und möchte von ihr flüchten.

„Du gehst wirklich zu weit Monika. Wenn du nicht sofort das Zimmer verlässt, rufe ich das Sicherheitspersonal." Jack kann seine Stimme mittlerweile nicht mehr unter Kontrolle behalten und die Ruhe ist aus seinem Ton verschwunden. Noch immer sitzt er vor mir und erstmals löse ich meinen Blick von meinen Fäusten, um ihn anzublicken. Sein Blick ist auf Dr. Thompsen gerichtet und seine ganze Haltung wirkt angespannt, als wäre er bereit, jeden Augenblick aufzuspringen. Aus seinem Gesicht sind die Freude und die Ruhe ebenfalls verschwunden und die Wut ist in seinen Zügen erkennbar mit den funkelnden Augen und den zusammengezogenen, dunklen Augenbrauen.

Mate - Schreie ohne VernunftWo Geschichten leben. Entdecke jetzt