Mit schwacher Stimme fragte ich ihn in die Stille hinein: "Darf ich... hier Platz nehmen oder erwarten Sie... jemanden?" Er hob die Augenbrauen und sprang regelrecht auf: "Aber selbstverständlich dürfen Sie hier Platz nehmen, Miss Pawlow! Wie könnte ich Ihnen dies verweigern?" Er zog mir sogar den Stuhl zurück, was mich verwunderte. Er war halt durch und durch ein Gentleman.
Ich sah ihn dankbar an. Als wir beide saßen, wurde mein Blick ernst, doch meine Stimme zitterte immer noch: "Dr. Lecter... was hatten Sie... in meiner Wohnung zu suchen?" Er sah mich leicht verwundert an: "Miss Pawlow, wissen Sie denn gar nicht mehr, was heute Nacht geschehen ist?!" Ich grub in meiner Erinnerung, doch vorerst mir fiel nichts ein. Ich sah nur ein schwarzes Bild, wenn ich daran dachte. Ich schüttelte den Kopf. Er lehnte sich zurück, brachte seinen Körper in eine gemütliche Haltung, dann begann er vorsichtig: "Können Sie sich an einen nächtlichen Spaziergang erinnern?" Ja, das konnte ich. Deshalb nickte ich. Er fragte weiter: "Können Sie sich an eine Gruppe Jungs in Ihrem Alter erinnern?" Dafür brauchte ich schon etwas länger. Aber nach und nach verschärfte sich das Bild vor meinem inneren Auge. Zuletzt fragte Lecter: "Und können Sie sich explizit an einen Mr. Dwight Johnson erinnern?" Blitzschnell flammte das Bild vor meinen Augen auf. Sein schäbiges Grinsen. Und auf dieses Bild folgten weitere, bis zu dem Moment, wo mein Kopf gegen die Wand geschlagen wurde. Ab da sah ich nur noch schwarz. Mein Kopf begann zu pochen, ich rieb mir erneut die Schläfen: "Doktor... das tut weh...", klagte ich leise. "Was haben Sie mit mir gemacht?!" "Ich habe gar nichts mit Ihnen gemacht, Miss Pawlow. Ich habe Sie nach Hause gebracht und Ihre Wunde versorgt." "Ja, ich weiß... habe ich gelesen..." Dann sah ich ihn wieder an: "Aber wofür waren die Blumen?" Er wirkte äußerst ernst: "Ich hatte im gewissen Maße gehofft, Sie würden sich an heute Nacht erinnern, damit ich eine Gehirnerschütterung ausschließen kann. Und weil es keine sonderlich schöne Erinnerung ist, so dachte ich mir, würden Sie sich über diese freuen, da es ja Ihre Lieblingsblumen sind, wie Sie mir gesagt haben." Ich war still. Aus irgendeinem mir unbekannten Grund reichte mir diese Erklärung aus. Ich starrte ihn an und in mir stieg etwas hoch. Doch es war keine Wut. Nein, ein warmes Gefühl kam nach oben, etwas stieß direkt in mein Herz und in diesem Moment spürte ich - Es war Liebe. Eine solch rührende Geste, selbst wenn ich nicht wusste, ob er dabei Hintergedanken hatte oder nicht... In diesem Moment änderte sich meine Sichtweise - sein Alter war mir nun komplett egal. Ich liebte ihn. Ich liebte ihn bedingungslos und unwiderruflich...
Er neigte den Kopf und holte mich zu sich zurück: "Ich hoffe, Sie verzeihen mir?", fragte er. Ich lächelte - mehr konnte ich im Moment nicht. So ein einfühlsamer Mann! Womit hatte ich das verdient?! Ich musste fragen: "Womit... habe ich... das verdient, Doktor?" "Was denn?" "Die Art, wie Sie sich um mich kümmern. Sie haben schon so viel für mich getan - ich muss mich mal bei Ihnen revanchieren..." Er unterbrach mich mit erhobener Hand: "Nein, Miss Pawlow. Sie brauchen sich für nichts zu revanchieren! Ich habe das gern getan. Ich habe aus freien Stücken gehandelt." "Dennoch..." "Miss Pawlow, Ich denke, Sie sollten sich schonen. Ich würde es gutheißen, wenn Sie am Samstag wieder etwas genesen sind." Am liebsten wäre ich ihm um den Hals gefallen. Er war so sanft! Dennoch musste ich ihm widersprechen: "Tut mir Leid, Doktor, aber ich muss zu den Vorlesungen..." "Nein, müssen Sie nicht. Ich habe Sie bereits entschuldigt. Gehen Sie bitte nach Hause." Verwundert sah ich ihn an. Darum hatte er sich auch bereits gekümmert?! Was kam als nächstes? Ich erwiderte: "Ich muss wenigstens Constanze darüber informieren..." Erneut hob er die Hand: "Das kann ich übernehmen." Ich seufzte: "Dr. Lecter, Sie haben doch bestimmt wichtigeres zu tun als sich um mich zu kümmern." "Vielleicht. Dennoch, so denke ich, ist es mir wichtig, dass Sie sich ausruhen." "Ich war jetzt schon so oft Zuhause, so viele Vorlesungen habe ich verpasst..." "Und das ist meine Schuld, es tut mir unendlich Leid, Miss Pawlow! Das war nimmer meine Absicht, ich schwöre es!" Ich betrachtete ihn: "Das glaube ich Ihnen, Doktor." "Wir werden das Samstag nachholen! Ich habe bereits sämtliche Termine aus meinem Terminkalender herausgeworfen, also werden wir viel Zeit haben." Leise bemerkte ich: "Wir haben noch gar nicht festgelegt, wann ich zu Ihnen kommen soll..." Er lächelte: "Wann es Ihnen am besten passt, Miss Pawlow. Ich bin die ganze Zeit Zuhause und werde Sie freudigst erwarten." Mit liefen heiß-kalte Schauer über den Rücken. Würde ich überhaupt lernen können? Ich konnte mich in der Nähe von Dr. Lecter nicht konzentrieren, de facto könnte das ein Problem werden - Ich war mir sogar relativ sicher, dass es ein Problem werden würde. Constanze musste mir dringend noch ein paar Tipps geben! Alleine würde ich das nicht schaffen!
zwei Hände auf meinen Schultern holten mich in die Gegenwart zurück. Ich hatte nicht bemerkt, dass der Doktor aufgestanden war und nun hinter mir stand: "Ich denke, wir haben nun alles wesentliche geklärt, Miss Pawlow. Es sei denn, Sie haben noch Fragen zu gestern?" Seine Hände ruhten immer noch auf meinen Schultern. Ein Gefühl der Hitze breitete sich an den betroffenen Stellen aus, brannte sich regelrecht durch den dünnen Stoff meines Oberteils. Ich schmolz dahin - und wünschte mir innig, er würde die Hände nie mehr von meinen Schultern nehmen. Doch leider tat er das in genau diesem Moment. Ich drehte den Kopf, sah ihn an und schüttelte zur Antwort auf seine Frage den Kopf. Ich hatte die Informationen, die ich wollte. An mehr wollte ich mich nicht erinnern.
Sanft zog er den Stuhl zurück, während ich mich erhob. Ich lächelte ihn an: "Danke, Doktor.", murmelte ich leise. Er lächelte warm zurück: "Nichts zu danken, Miss Pawlow. Das ist das mindeste, was ich für Sie tun kann, wo ich Ihnen nun schon so viele Unannehmlichkeiten bereitet habe." Unbewusst packte ich ihn beim Arm und sagte ernst: "Tun Sie mir einen Gefallen und hören Sie bitte auf, sich andauernd zu entschuldigen. Es besteht keinerlei Grund hierzu. Außerdem, wenn Sie mir Unannehmlichkeiten bereitet hätten, dann wäre ich jetzt nicht hier, oder? Dann würde ich Ihnen aus dem Weg gehen, denken Sie nicht?" Mit diesem Satz ließ ich ihn stehen und ging zur Tür. Es war ein Wunder, dass ich in Lecters Gegenwart so ruhig sprechen konnte!
Bei der Tür drehte ich mich noch einmal zu ihm um: "Es geht mir schon viel besser, Doktor. Danke nochmal." Er neigte leicht den Kopf: "Ich hoffe für Sie, dass Sie jetzt nach Hause gehen. Das war schließlich eine Anweisung des Doktors." Ich seufzte leise und gab mich geschlagen: "Na gut. Wenn Sie darauf bestehen..." "Ja, das tue ich!", beharrte er und grinste. Kopfschüttelnd verließ ich die Universität. Nun wusste ich einen Weg, wie ich mich revanchieren könnte, zumindest einen kleinen Weg: Einfach einmal parieren anstatt zu diskutieren. Scheinbar, so wirkte er zumindest, lag ihm wirklich etwas daran. Dann war ich ihm gern gefällig!
Morgen würde es soweit sein! Der große Tag! Bis dahin würde ich noch viel zu tun haben, auch wenn ich mich eigentlich schonen sollte. Aber dabei brauchte ich professionelle Hilfe. Und die würde ich mir nachher holen...

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University Lovestory
FanfictionIrene Pawlow studiert Medizin an einer Universität in Baltimore. Eines Tages trifft sie dort auf Dr. Hannibal Lecter als ihren Gastdozenten - mit fatalen Folgen.