16.

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"Mensch, Irene... Zieh es doch einfach mal an!" "Findest du nicht, das kommt übertrieben?" "Nein. Und jetzt mach!"
Constanze stand mit mir in meinem Schlafzimmer und reichte mir eines ihrer Kleider. Wir suchten nach einem passenden Outfit für mein morgiges Treffen mit Lecter.
Kopfschüttelnd nahm ich es entgegen: "Du weißt doch, dass ich so etwas nicht gerne trage.", klagte ich. Doch sie blieb resolut: "Also Irene, ich bitte dich: Du wirst doch einmal eine Ausnahme machen können! Vergiss nicht, mit wem du dich da morgen triffst!" Ich seufzte: "Wäre es nicht praktischer, wenn ich, wie gewohnt, in Jeans und T-Shirt komme? Ich meine, sonst fällt es doch bestimmt zu sehr auf, wenn ich mich extra noch herausputze." Sie ließ sich gespielt auf das Bett fallen und sah mich gequält an: "Werde ich dich überhaupt mal in was anderem sehen als T-Shirt und Hose mit Sneakers?" "Immerhin trage ich im Winter Pullover!", protestierte ich. Sie musste grinsen und warf mit meinem Kopfkissen nach mir: "Du weißt genau, was ich meine, du alte Ziege!" Ich musste lachen: "Na warte, du..." Ich nahm das Kissen, sprang zu Constanze und drückte es ihr ins Gesicht. Sie griff sich das zweite Kissen und wir lieferten uns eine Kissenschlacht...
Kurze Zeit später lagen wir beide keuchend auf meinem Bett. Ich wurde nachdenklich: "Constanze?" "Ja, Irene?" "Warum ist Dr. Lecter so zuvorkommend zu mir? Was macht mich so besonders? Oder ist er gar nicht nur zu mir so?" Constanze drehte sich auf die Seite: "Doch, ist er. Ich habe erst vorhin mitbekommen, wie er zu irgendeinem anderen Studenten total arrogant war." "Was?", fragte ich verwirrt. Lecter und arrogant? Gut, ich muss gestehen - als ich ihm auf der Straße zum ersten Mal begegnet bin, hatte ich auch das Gefühl, er wäre eine recht kalte Persönlichkeit. Doch nun wirkte er überhaupt nicht mehr so. Zumindest nicht in meiner Gegenwart. Scheinbar hatte ich mich getäuscht: "Was hat er denn gesagt oder getan?" Constanze überlegte: "Naja, ich habe nicht viel mitbekommen... Aber der Student meinte irgendwas von wegen "er wäre Lecters größter Fan" und wollte ein Autogramm von ihm. Reichlich übertrieben, wenn du mich fragst." "Und Dr. Lecter? Was hat er gesagt?", fragte ich erneut. "Er hat den Typen ziemlich kalt angesehen. Mir lief es kalt den Rücken runter. Er sah aus, als..." Ich würde hellhörig: "Als was, Constanze?" "Ich weiß auch nicht. Er sah aus, als würde er... den Kerl am liebsten... auffressen. Er hatte diesen kalten Blick wie in den Filmen..." Nun drehte auch ich mich auf die Seite: "Constanze, ich bitte dich!" Sie zuckte mit den Schultern: "Was denn?" Ich sah sie ernst an: "Dr. Lecter ist doch kein Kannibale! Er ist anständig! Sehr anständig!" "Ja, zu dir..." "Was soll das denn jetzt heißen?" Sie seufzte: "Irene, bekommst du eigentlich... mit, was er aus dir macht?" Ich runzelte die Stirn: "Inwiefern?" "Du setzt dich richtig für ihn ein, nimmst ihn in Schutz...", zählte sie auf. Ich erhob mich vom Bett und trat zum Fenster: "Und wenn..." Dann sah ich Constanze lange und intensiv an: "Constanze, er ist der erste Mann, dem ich mein Leben anvertrauen würde, mal von meinem Vater abgesehen. Das weißt du. Ich bitte dich nur dieses eine Mal: Sag nicht so etwas über ihn. Ich bitte dich. Constanze, ich glaube, ich liebe ihn!" Constanze sah zur Decke: "Das glaube ich dir. Aber ich weiß nicht... Ich habe dieses ungute Gefühl." Sie stand nun ebenfalls auf und nahm meine Hände in ihre: "Ich bitte dich auch um etwas: Verstell dich nicht allzu sehr für ihn. Egal, wer er ist und was du für ihn empfindest. Bleibe immer du selbst." Ich nickte. Dann grinste ich: "Angefangen mit meinem Kleidungsstil." Wir lachten. Der ernste Moment war vorbei, hinterließ kaum etwas als das gegenseitige Versprechen, das Constanze und iCh uns gegeben hatten. Und das war gut so! Ernste Gedanken konnte ich nun weniger gebrauchen. Viel eher brauchte ich gute Laune. Immerhin war morgen ein wirklich wichtiger Tag und langsam bekam ich das Gefühl, dass dieser Tag das, was sich zwischen Dr. Lecter und mir befand, noch verstärken würde. Oder zumindest etwas klärend, was meinen Verstand anging. Ich konnte mich nämlich immer noch nicht wirklich festlegen, was sich da zwischen uns befand. Ich wusste nur - Es ging langsam definitiv über das normale Verhältnis zwischen Student und Dozent hinaus.
Constanze holte mich in die Gegenwart zurück: "Hallo? Erde an Irene? Wo bist du gerade?" Mir huschte ein Lächeln über das Gesicht und auch Constanze musste grinsen: "Warte mal, Irene... steht da Dr. Lecter hinter dir?" Blitzschnell drehte ich mich um. Doch Constanze hatte mich nur hereingelegt. Nun krümmte sie sich vor lachen, während ich ihr einen vernichtenden Blick zuwarf: "Wirklich witzig." "Du hättest mal dein Gesicht sehen müssen! Ich hätte schwören können es bestünde aus Kalkstein. Du wurdest richtig bleich!" Ich schüttelte den Kopf und seufzte resigniert: "Wirst du jemals erwachsen?" Endlich beruhigte sie sich: "Vielleicht irgendwann einmal..." Ich schmunzelte. Das war meine Constanze! Sie war nicht wie alle anderen. Sie war einzigartig! Und deswegen mochte ich sie so sehr! Außerdem war sie immer für mich da und das wusste ich sehr zu schätzen!
Ich setzte mich wieder zu ihr auf das Bett: "Hast du noch ein paar Tipps für mich für morgen?" Constanze sah mich an: "Naja... versuch, dich nicht von ihm einlullen zu lassen. Bleib stark." "Das könnte schwer werden." "Keine Sorge. Ich glaube, du wirst das schon schaffen. Ihr werdet lernen, also konzentrierst du dich einfach auf den Stoff. Das wird schon werden!" Sie klopfte mir aufmunternd auf die Schulter. Spontan fiel ich ihr in die Arme: "Was wäre ich nur ohne dich, Constanze Lynette Martensen?" Sie grinste: "Naja... Ich würde sagen - Du wärst ziemlich arm dran." Sie lachte wieder: "Naja, du hast ja recht." "Irene Pawlow! Wo ist dein Selbstbewusstsein hin?" Ich seufzte: "Es verschwand an Montag... An dem Montag, an dem ich Dr. Lecter angerempelt habe." Constanze schüttelte den Kopf: "Oh mann Irene... Bleib stark!" Ich nickte nur noch. Zu mehr war ich nicht fähig, als mir Dr. Lecter wieder vor dem inneren Auge aufflammte...

Mit klopfendem Herzen lag ich in meinem Bett. Doch an Schlaf war überhaupt nicht zu denken! Unruhig wälzte ich mich hin und her, schaltete andauernd das Licht wieder an, um zu kontrollieren, dass dort immer noch mein T-Shirt und die Hose auf dem Stuhl lagen, die ich morgen anziehen wollte. Denn Constanze hatte beschlossen, dass mich die Kleidung, in der ich mich wohlfühlte, selbstbewusster machte. Doch nichts veränderte sich. Nur die Ziffern auf meinem Wecker veränderten sich, Stunden vergingen. Stunden, in denen ich mir den morgigen Tag auf verschiedensten Arten und Weisen ausmalte. Ich beschloss, morgen mein bestes Benehmen an den Tag zu legen. Auch wenn wir lernen wollten - Es reichte mir irgendwie nicht. Ich wollte ihn beeindrucken. Vor allem nach dieser peinlichen Woche...
Ich verschränkte die Arme hinter dem Kopf: "Immer schön höflich, Irene.", ermahnte ich mich leise. "Das beste Benehmen - du willst ihm gefallen..." Mit diesem Satz übermannte mich endlich der Schlaf. Und den hatte ich dringend nötig...

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