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"Guten Tag, mein lieber Steven. Ich darf dich doch duzen, oder? Oder soll ich doch eher beim "Sie" bleiben?"
Es war ein Wunder, dass Steven McLaren überhaupt in meiner Praxis stand. Ich hatte damit gerechnet, dass er sich strikt weigerte und sein Vater irgendwann entkräftet nachgegeben hätte. Aber ich revanchierte mich damit. Ich hatte schließlich schon vor Tagen alles vorbereitet und geplant, da kam der Junge mir gerade recht.
Er ließ sich in den einen der beiden Ledersessel fallen und sah mich genervt an: "Machen Sie, was Sie wollen - Ich sitze hier meine Zeit ab und gehe dann wieder." Mit seiner schwitzigen Hand hinterließ er unschöne Flecken auf dem schwarzen Leder. Ganz leicht köchelte bereits jetzt die Wut in mir, doch ich wusste: Momentan durfte ich nicht allzu streng werden, musste die Wut auf Sparflamme stellen und abwarten. So seufzte ich einmal kurz leise und kaum hörbar und setzte mich ihm gegenüber. Ich überschlug die Beine und setzte mein Lächeln auf: "Nun gut. Die Ereignisse vor einigen Tagen waren vermutlich ziemlich anstrengend für Sie, nicht wahr?" Er lachte kurz hysterisch auf und erwiderte mit ironischem Unterton: "Was denken Sie denn? Standen Sie schon einmal unter Drogen? Sind Sie schon einmal mit brennenden Unterarmen aufgewacht und hatten keine Ahnung, was in der letzten Nacht passiert ist, beziehungsweise wie diese fiesen Kratzer in ihre Haut kommen?" "Ich muss gestehen: Nein, ich habe keine Erfahrung mit derartigen Vorfällen." Zumindest nicht bei mir selbst, dachte ich und musste ein zynisches Grinsen unterdrücken. Steven verschränkte die Arme vor der Brust: "Also um Ihre Frage noch einmal zu beantworten - Ja, die Tage waren recht anstrengend." "Was sagte denn Ihr Vater zu all dem, Steven?"
"Der hat mir wie üblich eine Standpauke gehalten." "Wie üblich? Ist dies also schon öfter vorgekommen?" "Ich sage nicht Nein zum Alkohol. Mit anderen Drogen hatte ich nie etwas zu tun." Ich lächelte leicht: "Zumindest nicht bis vor kurzem." Steven knurrte: "Finden Sie das etwa witzig?" "Nein. Aber kommen wir bitte noch einmal kurz zum Alkoholkonsum zurück. Warum trinken Sie Alkohol, Steven?" Er schien verwirrt: "Wie meinen Sie das?" "Ich meine es, wie ich es gefragt habe. Warum trinken Sie Alkohol?" Er fuhr sich durch die Haare: "Ähm... Weil es mir Spaß macht?" "War das eine Frage, Steven?" "Möglicherweise. Ich verstehe nicht, warum Sie mir solche Fragen stellen, Dr. Lecter. Warum trinken Sie denn Alkohol? Oder trinken Sie gar nicht?" Seine Augen blitzten kurz feindselig auf. Ich antworte gleichgültig: "Ich trinke hin und wieder etwas Wein. Aber ich kenne ganz genau meine Grenzen, beziehungsweise lasse mich erst gar nicht dahin treiben. Steven, warum sind Sie mit gegenüber so feindselig? Ich versuche lediglich, Ihnen zu helfen." Er sprang auf: "Als ob!" Dann stapfte er zum Fenster, die Hände in den Hosentaschen vergraben. Ich seufzte leise. Nun würde ich vermutlich seinen wunden Punkt treffen. Ich hoffte es innerlich zumindest, denn er strapazierte meine Geduld doch mehr als gedacht: "Sie haben mir meine Frage immer noch nicht beantwortet, Steven. Darf ich es mir erlauben, zu spekulieren, was meinen Sie?" Er zuckte mit den Schultern: "Versuchen Sie es ruhig." Ich sah kurz auf den Boden vor meinen Füßen, dann grinste ich und fragte: "Wie geht es Ihrer Mutter, Steven?" Sofort drehte er sich um und starrte mich zornig an: "Halten Sie Ihr Maul, Lecter!", knurrte er tödlich leise. Ich erhob mich: "Ah, deswegen also der viele Alkohol..." "Sie haben keine Ahnung!" "Doch, die habe ich, mein Junge. Ihr Vater hat es kurz erwähnt..." Stevens Augen formten sich zu schmalen Schlitzen: "Dieser alte Drecksack! Er sollte doch seine Fresse halten!" Nun war ich derjenige, der knurrte: "Steven McLaren, ich muss Sie doch bitten! Wie reden Sie denn über Ihren Vater?" "Ich rede, wie ich es will! Sie haben mir gar nichts zu sagen, Sie elender Dreckskerl! Wie ist Irene denn so? Haben Sie Spaß?" Es wurde immer schwieriger für mich, die Kontrolle zu behalten. Ich senkte die Stimme: "Steven, Sie werden sehr unhöflich und ich hasse unhöfliche Menschen..." "Und was jetzt? Wollen Sie mir jetzt an den Kragen?" Doch dann hielt er inne, schien zu überlegen. Er betrachtete seine Unterarme, den Satz, den er dort in sein Fleisch geritzt hatte: "Ich bin ein Lügner... Das waren doch Sie! Geben Sie es zu, Dr. Lecter - Sie sind schuld daran! Sie haben mich unter Drogen gesetzt und dann dies in meine Arme geritzt, weil ich meinem Vater von Ihrer Beziehung zu Irene erzählt habe." Ich grinste zynisch: "Wow, Steven. Ich muss gestehen, ich bin überrascht. Soviel Scharfsinn hätte ich Ihnen gar nicht zugetraut. Leider hatten Sie nicht mit allem Recht. Ja, ich habe Sie unter Drogen gesetzt. Aber Sie haben sich Ihren Schaden selbst zugefügt." Ich beugte mich leicht vor: "Und wissen Sie was? Mit dieser Information können Sie rein gar nichts bezwecken und wissen Sie auch warum nicht? Es ist ganz simpel - Durch den stetigen Alkoholkonsum stehen Sie, was Rauschmittel angeht, in einem recht schlechten Licht. Niemand würde Ihnen glauben. Außerdem sprechen die Beweise für sich, mein Junge. Nur Ihre Fingerabdrücke wurden gefunden, nicht meine." Steven wurde blass: "Was ist denn plötzlich los, Steven? Sie werden ja ganz blass... Setzen Sie sich wieder..." Ich packte ihn an den Schultern und dirigierte ihn geschickt zum Sessel zurück. Steven versteifte sich, ließ mich allerdings gewähren. Er schien sich in einer Art Schockstarre zu befinden. Ich nahm süffisant grinsend in meinem Sessel ihm gegenüber wieder Platz und sagte ruhig: "So, mein Lieber. Nachdem wir dies geklärt haben, sollte Ihnen bewusst sein, wer bei diesem Spiel die Oberhand hat. Ich sage es Ihnen nochmal, diesmal im nüchternen Zustand, damit es hoffentlich auch einmal in Ihrem Kopf hängen bleibt - Irene Pawlow gehört mir! Ganz allein mir! Und Sie können versuchen, was Sie wollen - Nichts wird sie von mir wegtreiben können. Ich werde sie beschützen! Sollte ich es mitbekommen, dass Sie es noch einmal versuchen sollten, dann werde ich nicht mehr so gnädig sein. Haben Sie verstanden?" Kreidebleich versuchte Steven, seine Fassung zurückzugewinnen. Schließlich knurrte er: "Hier ist das letzte Wort noch nicht gesprochen, Lecter! Wenn ich etwas will, dann bekomme ich es auch!" Ich verschränkte die Hände auf dem Schreibtisch: "Das kann ich nur zurückgeben, Mr. McLaren. So, nun sollten Sie sich besser auf den Weg machen. Wir sehen uns in der nächsten Sitzung wieder." Er stand auf und wandte sich zum Gehen. Kurz bevor er vor der Tür stand, rief ich noch: "Denken Sie an meine Worte. Und grüßen Sie Ihre Mutter von mir." Damit verschwand er und knallte regelrecht die Tür zu. Ich schüttelte den Kopf: "So unhöflich.", murmelte ich und widmete mich noch dem Rest Unterlagen, den ich vorhin ordentlich in die Ecke meines Schreibtisches geschoben hatte. Nebenbei plante ich die weitere Vorangehensweise bei Steven McLaren. Phase eins war eingeleitet, nun musste ich nur noch darauf warten, dass er erneut einen Fehler machte. Und den würde er machen, das wusste ich ganz genau...

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