32.

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Es war doch noch relativ kühl geworden. Aber mich störte das nicht, im Gegenteil - Es störte mich viel eher, wenn mir durch die Hitze der Schweiß über die Stirn lief und meine Sicht trübte.
Heute morgen hatte ich Irene gesagt, ich hätte einen wichtigen Termin. Nun befand ich mich auf dem Weg zu eben diesem. Dennoch fehlte mir Irenes Gesellschaft. Ihre Freude und ihr Charme an meiner Seite, die ständige Röte, die sie auf den Wangen trug, wenn ich sie dabei ertappte, wie sie mein Profil musterte. Es war mir immer wieder eine Freude. Zum ersten Mal konnte ich behaupten, jemanden gefunden zu haben, für den sich jene Mühe lohnte! Daher scheute ich nichts, machte mir zur Not auch einmal mehr die Hände schmutzig als geplant. Es war ja - wie auch sonst immer - für einen guten Zweck.
Während ich nun also durch die in spärlichem Licht getunkten Straßen Baltimores schlenderte, hielt ich die Augen offen, suchte eine Person und ging in Gedanken noch einmal alles genau durch. Da hatte sich der feine Mr. McLaren Junior wieder etwas geleistet! Diesmal würde ich ihn aber nicht damit davon kommen lassen, alleine schon wegen meiner geliebten Irene! Ich feilte noch an einer gemessenen Ausrede für sein Verschwinden - Falls man überhaupt jemals darauf kam, dass ich etwas damit zu tun hatte. Doch darum konnte ich mich eigentlich auch hinterher kümmern!
Ich kam an einer Bar vorbei. Durch die geöffneten Fenster hörte ich zu irgendwelcher Musik das vom Alkohol getrübte Grölen einiger Studenten, erkannte auch einige dieser Gesichter wieder. Vor allem einer stach mir ins Auge. Er stand mitten in der Menge und ließ sich mal wieder von allen anderen bewundern. Steven McLaren - Der Junge, der versuchte, mir meine Irene wegzunehmen! Eifersucht kochte in mir hoch. Ich knurrte, bis ich bemerkte, dass ich mich wie ein kindischer Schuljunge benahm, dem sein Spielzeug weggenommen wurde. Ich schüttelte kurz den Kopf. Meine Hand glitt in meine Manteltasche - Gut, sie waren noch da! Ich zog den Hut tief ins Gesicht. Eigentlich verabscheute ich solche Orte zutiefst, weil sie einfach nicht meinem Sinn für Ästhetik entsprachen. Aber dieses eine Mal musste es sein! Für meine Irene!
So schritt ich hinein und geriet gleich in eine Menge betrunkener, halbstarker Studentinnen und Studenten. Einige boten mir irgendwelche Drinks an, die ich dankend ablehnte. Ich bahnte mir einen Weg zur Mitte, zu Steven. Als dieser mich erkannte, spuckte er vor mir auf den Boden: "Was sind Sie eigentlich für einer, der sich an Studentinnen vergreift?", lallte er, wahrscheinlich schon wieder recht betrunken. Ich seufzte. Genau dasselbe hätte ich ihn auch fragen können. Aber ich wollte sein Vertrauen, daher musste ich meine Worte geschickt wählen - So, wie ich es immer tat: "Steven, ich möchte etwas dringendes mit dir besprechen... Würdest du mal kurz mit hinaus kommen?" Plötzlich erschien ein blonder Junge an seiner Seite, der mir in jener Nacht aufgefallen war, als er versucht hatte, Irene zu vergewaltigen. Soweit ich mich erinnern konnte, lautete sein Name Dwight Johnson. Steven hob die Hand: "Dwight, lass gut sein! Mit dem alten komme ich auch schon allein klar..." Dwight richtete seinen Blick auf mich und wurde plötzlich total bleich. Auch er schien sich an jene Nacht zu erinnern: "Steve - Lass es! Der Typ ist nicht ganz sauber!" Ich setzte meinen unschuldigen Blick auf und sah Steven fragend an. Der wiederum murmelte: "Ich weiß selber, dass er nicht ganz sauber ist! Immerhin will er sich mein Mädchen unter den Nagel reißen!" Dwight packte ihn an der Schulter, doch Steven drückte ihm ein paar Dollar in die Hand und sagte: "Geh dir noch was zu trinken holen. Ich gebe einen aus. Ich komme gleich wieder..." Ich drehte mich um und verließ die Bar, dicht gefolgt von dem torkelnden Steven. Ich schlenderte durch eine dunkle Gasse und landete auf einem Spielplatz für Kinder. Dort blieb ich stehen. Steven fragte: "Was wollen Sie denn jetzt von mir?" Ich musterte ihn: "Du scheinst Gefallen an dem Genuss von Rauschmitteln gefunden zu haben... Ich habe da was für dich, als kleine Wiedergutmachung für die heutige Geschichte mit deinem Vater." Ich angelte aus meiner Manteltasche eine kleine Flasche mit Amylnitrit und hielt sie ihm hin. Dieses war allgemein bekannt als "Poppers" - Ursprünglich eingesetzt als Arzneimittel gegen Angina pectoris. Doch dank der berauschenden Wirkung wurde dies mittlerweile auch als Droge verwendet. Das war gerade ziemlich nützlich für mich.
Steven starrte die Flasche an: "Was bringt das jetzt?" Ich lächelte: "Probiere es einmal aus und du wirst es sehen..." Noch bevor er etwas erwidern konnte, öffnete ich die Flasche und hielt sie ihm unter die Nase. Das Gas strömte heraus und natürlich atmete er es sofort ein. Die Wirkung ließ nicht lange auf sich warten. Er begann, wie ein Honigkuchenpferd zu grinsen und leise zu lachen. Ich versuchte es auf die einfache Tour. Es war, als würde ich das Vertrauen eines Kindes gewinnen: "Hey, Steven - Zeige mir doch mal bitte, wie du lächelst." Erst starrte er mich verwirrt an, dann zog er die Mundwinkel hoch. Ich nickte: "Ah, jetzt verstehe ich, wie du das machst..." Ich zog ein kleines Messer aus der anderen Manteltasche: "Wie wäre es mal hiermit - Du nimmst dieses Messer und ritzt dir damit in den Unterarm: 'ich bin ein Lügner'." Steven nahm das Messer und starrte mich an: "Tut das nicht weh?" Ich lächelte, behandelte ihn wie ein Kind: "Nein. Der liebe Doktor tut dir doch nicht weh... Das ist ganz lustig, du wirst sehen!" Steven grinste und begann tatsächlich, sich diesen Satz in die Unterarme zu ritzen. Stolz betrachtete er sein Werk: "Das hast du sehr gut gemacht.", lobte ich ihn und grinste zynisch. Dann schlenderte ich zu einem Gebüsch und nahm einige Flaschen Bier, die ich dort vorher bewusst platziert hatte. Ich reichte sie, eine nach der anderen, Steven: "Hier, mein Junge. Trink. Trink, so viel du willst..." Er öffnete die erste Flasche und ich zündete mir genüsslich lächelnd eine Zigarre an. Steven unter Drogen war doch ein recht amüsanter Anblick, musste ich mir eingestehen.
Nach der fünften Flasche starrte er mich mit gläsernen Augen an: "Ich bin müde...", murmelte er. Ich grinste: "Dann leg' dich hin, mein Kleiner. Ruh' dich gut aus. Morgen wirst du alles vergessen haben, bei all dem Alkohol. Aber dein neues "Tattoo" wird dir hoffentlich eine Lehre sein. Niemand - und ich meine wirklich niemand - stellt sich zwischen mich und mein Mädchen!" Steven nickte langsam und kippte ins Gebüsch. Ich warf ihm einen letzten, verachtenden Blick zu, drehte mich dann um und verließ den Spielplatz. Eigentlich war ich noch viel zu sanft zu ihm gewesen! Aber ich durfte nicht übertreiben, denn sonst wäre ich aufgeflogen. Aber eines stand fest: Das war das letzte Mal, dass ich hatte Schonfrist walten lassen! Wenn er noch ein einziges Mal versuchen würde, mich von Irene zu trennen, dann würde er das mit seinem Leben bezahlen, so viel war sicher! ...

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