21.

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Unschlüssig lief ich durch den Flur in die Küche: "Hannibal? Hast du ein paar Sachen für mich? Meine sind ja nun etwas nass..." Er drehte sich zu mir um und nickte: "Wenn du nach oben gehst, musst du den Flur hinunter zur letzten Tür links. Rechts ist das Musikzimmer." Mit einem Lächeln erinnerte ich mich daran, wie wir am Flügel saßen. Das mussten wir unbedingt wiederholen!
Hannibal fuhr fort: "In der linken Tür findest du mein Schlafzimmer. Dort hängen genug Sachen im Schrank. Nimm dir, was du brauchst." Damit drehte er sich wieder um, sagte aber noch über die Schulter: "Falls du noch etwas benötigst - Ich bin hier." Also ging ich die Treppe hinauf und den Flur entlang. Mein Blick wanderte zu jeder Tür und bei jeder fragte ich mich, was sich dahinter verbarg. Ich legte die Hand auf die Klinke und öffnete die letzte Tür auf der linken Seite. Mein Blick fiel als erstes auf das riesige Bett und danach auf den ebenfalls riesigen Schrank aus Ebenholz. Der Teppich war blutrot - genau wie meiner. An den Wänden befanden sich auch hier wieder Gemälde. Orte wie Florenz zierten das Zimmer und brachten mich zum Staunen. Hannibal hatte wirklich einen ausgeprägten Sinn für Ästhetik. Langsam trat ich ein und öffnete vorsichtig die riesige Schranktür. Ich angelte mir ein weißes Hemd, eine Boxershorts und eine schwarze Jeans. Es fiel alles etwas zu groß aus, daher band ich noch einen Gürtel um. Es erfüllte mich mit Stolz, dass ich Hannibals Kleidung tragen durfte. Es schien mir wie ein Privileg. Und als solches würde ich diese Geste auch immer anerkennen...
Ich verließ diesen Raum wieder und schloss die Tür. Mir kam ein Gedanke und ich schlich ins Musikzimmer. Da stand er, der weiße Flügel. Vorsichtig trat ich näher an ihn heran. Es stand immer noch das blaue Buch von Johann Sebastian Bach auf dem Notenständer. Das kann doch nicht so schwer sein, dachte ich und setzte mich. Mein Blick wanderte einige Male über die weißen und schwarzen Tasten. Hinter jeder davon verbarg sich ein wundervoller Ton. Und einige wussten einfach, welche dieser Tasten man nacheinander drücken musste, um die schönsten Melodien erklingen zu lassen. Zu meinem persönlichen Glück gehörte auch Hannibal zu dieser Gruppe. Ich erinnerte mich an die Melodie, die er mir beigebracht hatte. Zitternd wanderte meine Hand zu den entsprechenden Tasten, befühlte diese. Wäre Hannibal stolz, wenn ich übte? Könnte ich ihm damit eine Freude bereiten? Ich wünschte mir, dass es so wäre, dann begann ich zu spielen. Es lief ganz gut. Nach einer Weile probierte ich dasselbe mit zwei Händen. Das war schon schwieriger, doch nach einer Weile schaffte ich auch das. Stolz betrachtete ich meine wandernden Hände. Dann wurde ich mutig - Ich begann, auch die anderen Tasten in mein Spiel mit einzubinden. Zähneknirschend musste ich feststellen, dass einige überhaupt nicht dazu passten. Doch andere schon und es entwickelte sich mit der Zeit mein eigenes kleines Stück. Nach einer Weile endete ich und sah aus dem Fenster, da hörte ich hinter mir ein Klatschen: "Bravo! Das war wunderbar!" Ertappt drehte ich mich schnell um und sprang erschrocken auf: "Hannibal! Wie... wie lange stehst du denn... schon hier?" Er grinste: "Die ganze Zeit. Du warst scheinbar sehr konzentriert und vertieft. Aber ich war auch ganz leise, damit ich dich nicht störe. Das hast du wirklich ganz gut gemacht, ich wusste, du kannst das!" Ich wendete den Blick ab: "Da waren doch so viele falsche Töne drin..." Hannibal ging auf mich zu und umfasste mit seiner rechten Hand mein Kinn. Er hob es sanft am, sodass ich ihm in die Augen sehen musste: "Ich kann dir versichern - Jeder berühmte Musiker, den ich kenne, hat bestimmt genauso angefangen wie du. Und manche werden bestimmt noch länger dafür gebraucht haben, gleich eine solch harmonische Beziehung zwischen den Tönen herzustellen." Sein Lob erfüllte mich mit Wärme und ich war glücklich, bei ihm zu sein. Er beugte sich zu mir hinunter und küsste mich sanft. Doch dann läutete es an der Eingangstür. Ich fragte: "Hast du noch jemanden erwartet?" Er sah sich mit gerunzelter Stirn um: "Nein, habe ich nicht... Na schön, du bleibst besser erst einmal hier und ich sehe nach, wer das ist. Ich rufe dich, wenn keine Gefahr besteht. In Ordnung?" Ich nickte und drückte mich noch einmal an seinen warmen Körper. Dann ließ ich ihn gehen und nahm sein Lob tief in mir auf. Es war also gut, was ich gemacht hatte. Freude stieg in mir empor, erfüllte mich mit einem Gefühl der Leichtigkeit. Doch dann kam die Neugier - Wer war da an der Tür? Und warum? Ich konnte nicht umhin, zur Treppe zu schleichen und zu horchen. Ich hörte Hannibals Stimme: "Special Agent Graham, was kann ich für Sie tun?" Die Antwort verstand ich nicht, nur das darauf folgende: "Sicher, kommen Sie herein. Sagen Sie, stört es Sie, wenn wir Gesellschaft bekommen? Ich habe nämlich Besuch und den würde ich ungern warten lassen." Nun hörte ich eine junge Männerstimme: "Aber nein, ich hoffe viel eher, dass ich Sie nicht störe!" Doch, du störst, dachte ich. Dann rief Hannibal: "Irene, komm herunter. Es ist alles in Ordnung." Leichtfüßig ging ich die Treppe hinunter: "Wir sind im Wohnzimmer.", rief Hannibal mir zu. Wohnzimmer? Wenn es ein Special Agent war, dann müsste er doch eher "Arbeitszimmer" sagen, oder nicht? Vorsichtig betrat auch ich den riesigen Raum. Hannibal lächelte mich an und auch der mir Fremde setzte ein Lächeln auf. Sein Haar war strohblond und seine Augen blau wie Kobalt. Er sah eigentlich sehr gut aus: "Irene, darf ich vorstellen? Das ist Special Agent Will Graham vom FBI. Ich helfe ihm beim momentanen Fall..." "Der Chesapeake Ripper.", hauchte ich und wieder stieg die Panik in mir hoch. Ich nahm auf einem der beiden Ledersessel vor Hannibals Schreibtisch Platz und sah die beiden Männer erwartungsvoll an. Der blonde, der mir als Special Agent Will Graham vorgestellt wurde, ergriff zuerst das Wort: "Hören Sie, was wir hier besprechen, das bleibt auch hier. Haben Sie verstanden, was ich Ihnen damit sagen möchte?" Ich nickte verständnisvoll. Dann grinste er: "Wunderbar. Sie sind also Miss Pawlow? Dr. Lecter hat mir schon so ein bisschen was über Sie erzählt. Nur positives, versteht sich." Ich sah zu Hannibal: "Hat er das?" Hannibal schmunzelte: "Er hat gesehen, wie du nach der Mittagspause von meinem Haus wieder zur Universität gegangen bist. Und dann hat er gefragt, wer du bist und ich habe es ihm gesagt." Ich nickte. Dann wendete ich mich wieder dem Special Agent zu: "Also, Sie können mich auch gerne mit meinem Vornamen ansprechen. Ich heiße Irene." Er hielt mir die Hand hin: "Also gut, Irene. Mein Name ist Will Graham. Aber Sie können mich auch gerne Will nennen." Damit war das auch geklärt. Er hatte einen ziemlich festen Griff, nicht so schonend und sanft wie Hannibal. Aber es konnte halt nicht jeder so starke und dennoch sanfte Hände wie mein geliebter Hannibal haben! Deshalb arrangierte ich mich damit: "Also, Will... wie lief es mit den Ärzten?", fragte Hannibal. Er schien nicht sonderlich glücklich mit der jetzigen Situation, teilte dies aber nicht direkt mit. Wie höflich von ihm! Will neben mir seufzte und klang müde: "Nichts. Kein einziger." Ich sah verwirrt zu Hannibal, der erklärte mir kurz und knapp das Wesentliche, was zu diesem Fall bereits bekannt war. Dann reichte mir Will Graham die Akte. Bei den Bildern wurde mir leicht übel und das Bild von Hannibal aus meinem Alptraum kam mir wieder in den Sinn. Ich schüttelte mich, blieb aber ruhig. Will bemerkte: "Nebenbei - wir haben immer noch keine Spur von Raspail. Ich frage mich, wo der Ripper ihn wohl versteckt hat." "Sind Sie sich sicher, dass das auch der Ripper war?", fragte Hannibal. Will sah alles andere als sicher aus: "Wer soll es sonst gewesen sein?" Nun mischte ich mich auch mal ein: "War es vielleicht ein Nachahmungstäter? Einer, der von den Taten des Chesapeake Ripper so beeindruckt war, dass er sich selbst am Mord versucht hat?" Hannibal sah mich erstaunt an, ebenso Will Graham. Hatte ich etwas falsches gesagt? Ich fragte: "Warum sehen Sie mich so an, Will? War meine Überlegung falsch? Oder hatte ich nicht das Recht, mich einzumischen? Wenn nicht, dann tut mir das außerordentlich Leid..." "Oh nein, Liebes, das war sehr gut! Es wäre meine nächste Überlegung gewesen.", sagte Hannibal schnell und schenkte mir ein Lächeln. Will nickte: "Das hatte ich noch nicht in Betracht gezogen. Irene, was streben Sie eigentlich später als Beruf an? Hätten Sie vielleicht Interesse am FBI?" Ich lachte: "Oh nein, nichts für Ungut, Will, aber dafür bin ich wahrscheinlich nicht so gut geeignet. Viel eher strebe ich den Beruf Psychiaterin an." Dabei richtete ich meinen Blick auf Hannibal. Er war mein Vorbild! Will grinste: "Da haben Sie hier ein äußerst gutes Vorbild! Ich kenne keinen anderen Psychiater, der so gut ist wie Dr. Lecter." "Dessen bin ich mir voll bewusst, Will. Er ist nicht umsonst mein größtes Vorbild." Hannibal räusperte sich: "Also, ich muss schon sagen... das bringt mich jetzt arg in Verlegenheit." Will grinste immer noch, dann sah er auf die Uhr und erschrak: "Herrje, wo ist die Zeit geblieben?! Ich muss schleunigst weiter, Molly und Josh warten bestimmt schon auf mich." Er richtete sich auf: "Vielem Dank für Ihre Hilfe, Dr. Lecter. Oh, und auch Ihnen danke ich, Irene." Ich schüttelte seine Hand: "Es war mir eine Ehre, Sie kennenlernen zu dürfen, Will." Hannibal war als drittes aufgestanden: "Ich bringe Sie zur Tür, Will. Falls Sie wieder feststecken, kommen Sie gern erneut zu mir." Er nickte eilig, klemmte sich die Akte unter den Arm und rief mir beim weggehen zu: "Auf Wiedersehen, Irene." "Auf Wiedersehen, Will." Hannibal brachte ihn zur Tür und kam wieder. Er nahm meine Hände und zog mich an sich: "Gut gemacht, Irene. Du hast dem FBI geholfen." Ich drückte mich an ihn: "Das war doch nichts. Nur so eine Idee..." "Aber ein weiterer Anhaltspunkt. Kommst du in die Küche? Ich hätte dort gern etwas Gesellschaft." Das ließ ich mir nicht zweimal sagen: "Aber gerne, Hannibal." So schlenderte er voran und ich folgte ihm, so wie ich es ab jetzt wahrscheinlich immer tun würde...

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