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"IRENE! Na? Wie war es?" Mit klopfendem Herzen kam ich vor Constanze zum Stehen, versuchte mich unter Kontrolle zu bringen. Am liebsten hätte ich herum geschrien, meine Freude verdeutlicht. Aber ich konnte es nicht. Wie auch? Ein gewisses Gefühl zügelte mich. Das Gefühl, welches mir verriet, dass es einfach nicht sein durfte. Und dieses Gefühl wurde geschaffen durch die Stimme meines Verstandes. Doch nun hatte ich erst einmal andere Probleme - ich musste mich der berühmten Inquisition von Constanze Lynette Martensen stellen. Das war eine echt schwierige Aufgabe, denn wenn Constanze etwas wissen wollte, dann würde sie es auch erfahren!
Sie sah mich erwartungsvoll an: "Ich höre?" "Constanze... Lass mich erstmal... Luft holen...", keuchte ich, versuchte dabei mein Adrenalin zu bändigen. Sie grinste: "Warum bist du denn so außer Atem?! Was hat er mit dir gemacht?" Ich runzelte die Stirn: "Ganz bestimmt nicht das, was du jetzt denkst! Ich... Ich hatte gerade nur einen ziemlich ungewöhnlichen Adrenalinstoß." Sie verschränkte die Arme vor der Brust: "Jetzt raus mit der Sprache! Sofort!" Ich verdrehte die Augen und schilderte ihr das Treffen. Je mehr ich erzählte, desto mehr beugte sie sich vor, schien auf etwas zu warten. Als ich endete, wirkte sie leicht enttäuscht: "Fehlt dir irgendwas oder warum guckst du so?", fragte ich. Sie seufzte: "Mir fehlt das leicht übertriebene Liebesgeständnis von ihm. Total Standard. Ein solches wie in deinen Büchern, denn so klingt das hier gerade. Die klassische Liebesgeschichte!" Sie grinste. Ich schüttelte den Kopf: "Oh Mann... Constanze Lynette Martensen, manchmal bist du echt..." "Ich weiß, Irene! So bin ich halt. Ist das schlimm?!" "Nein, denn genauso mag ich dich am liebsten! Es sei denn, du rufst wieder einmal viel zu früh am Morgen an..." Wir lachten, dann hakte ich mich bei ihr unter: "Oh, Conni... Er will mir tatsächlich noch Klavier spielen beibringen! Kannst du dir das vorstellen?" "Ja. Es würde gut zu dir passen!" "Ich weiß nicht..." "Sieh es mal positiv: Je mehr er sich vornimmt, dir beizubringen, desto mehr Zeit verbringst du mit ihm." Mir rutschte ein Satz über die Lippen, den ich eigentlich noch nicht mit der Öffentlichkeit teilen wollte: "Ich könnte jeden Tag mit ihm verbringen und hätte immer noch nicht genug!" Ich hielt mir die Hand vor den Mund, Constanze sah mich leicht irritiert an. Mir stieg die Röte in die Wangen: "Das wollte ich jetzt eigentlich nicht sagen..." Constanze prustete los und kurz danach stimmte ich mit ein: "So etwas groteskes! Genau wie in meinen Büchern!" "Sag ich doch die ganze Zeit, Irene! Aber jetzt komm - Eine Vorlesung haben wir noch vor uns und dann können wir nach Hause." Ich seufzte, dann folgte ich Constanze...

"Mal sehen... Welchem Fach widme ich mich denn heute?" Unschlüssig stand ich vor meinem Bücherregal. Ich hatte kaum etwas von der letzten Vorlesung mitbekommen. Ich konnte mir schon denken, dass diese Konzentrationslosigkeit noch eine lange Zeit andauern würde. Aber irgendwie kümmerte es mich nicht mehr. Meine Gedanken schweiften immer wieder zu Dr. Lecter, meinem Lieblingsdoktor, wie ihn Constanze mit einem Grinsen im Gesicht genannt hatte. Ich hatte bloß die Augen verdreht. Doch nur gestand ich mir ein, dass sie recht hatte. Er war mein Lieblingsdoktor - Vielleicht sogar noch mehr als das. Aber das musste sich erst noch entwickeln!
Ich beschloss, meine Bücher einmal stehen zu lassen. Das war zwar eigentlich nie meine Art gewesen, doch ich konnte mich einfach nicht konzentrieren, egal, wie sehr ich mich auch anstrengte. Es ging einfach nicht, ich war nicht aufnahmefähig.
Ich suchte in meinem Schrank mit den Schallplatten meines Vaters, die ich kurz vor seinem Tod von ihm bekommen hatte. Tatsächlich fand ich weiter hinten die "Goldberg Variations", gespielt auf dem Klavier von Glenn Gould. Ich konnte nicht umhin, die Platte aufzulegen. Aber erst trug ich den Plattenspieler ins Badezimmer. Ich wollte ein Bad nehmen! Bei der andauernden Hitze draußen war das zwar eine ziemliche Schnapsidee, aber ich brauchte das jetzt! So ließ ich mir Wasser in die Wanne laufen und lauschte bereits der Arie. Bei Dr. Lecter klang das schöner, dachte ich und lächelte beim Gedanken an sein Spiel vorhin. Ob er auch gerade den Goldberg Variations lauschte? Ob er überhaupt Musik hörte? Oder war er zu beschäftigt? Was hätte ich in diesem Moment bloß alles für eine Antwort auf diese Fragen getan!
Nach einigen Minuten ließ ich mich entkleidet in die Wanne gleiten und seufzte. Es war immer wieder ein schönes Gefühl, in die Wanne zu gleiten. Belebend. Mit dem Zeigefinger ließ ich einige Schaumblasen platzen und ließ einmal mehr meine bisherige Zeit mir Dr. Lecter Revue passieren. Constanze hatte recht! Es war wirklich wie in meinen Romanen! Ich war die unschuldige und unwissende kleine graue Maus und Dr. Lecter der charmante Mann, der mich in die Welt der Zweisamkeit führte und belehrte. Faszinierend!
Während ich so darüber nachdachte, bekam ich vage mit, dass das Telefon klingelte. Leise murrend stieg ich aus der Wanne, schlang mir ein Handtuch um den Körper und lief ins Wohnzimmer, wo ich abnahm: "Pawlow?" "Irene, Schatz, ich habe ewig nichts von die gehört!" Ich seufzte innerlich. Es war meine Mutter, die mich angerufen hatte. Also würde nun wahrscheinlich eine weitere Inquisition folgen: "Hallo Mama. Ich habe euch doch erst letztens angerufen!" "Das ist schon Wochen her!", klagte sie. Ich stöhnte: "Maximal zwei Wochen, Mama. Hör gefälligst auf, dir immer Sorgen um mich zu machen! Du weißt doch: Wenn ich mich nicht melde, dann geht es mir gut!" "Mag sein... Granny hat mich angerufen und von diesem Satz erzählt, von dem du geträumt hast." Ich wusste es! Granny konnte solche Dinge einfach nicht für sich behalten! Ganz toll... Darüber würde ich nur also die nächsten eineinhalb Stunden diskutieren müssen: "Mama, wie ich bereits Granny gesagt habe..." "Hat es mit einem Mann zu tun?!", unterbrach sie mich. Ich zuckte unhinderlich zusammen: "Wie kommst du denn darauf?" "Irene, ich bin nicht blöd! Wenn man eins und eins zusammenzählt, dann weiß man so etwas. Und ich als deine Mutter weiß so etwas auf natürliche Art und Weise." Ich verdrehte die Augen. Natürlich merkte sie auch das sofort: "Irene, verdrehe nicht die Augen! Sag mir lieber, was los ist!" Ich rieb mir das Nasenbein. Sollte ich es ihr erzählen? Oder sollte ich warten? Obwohl, aus uns würde eh nie etwas werden. So schilderte ich: "Also... Wir haben da jemand Neues an der Universität. Er ist total höflich und ehrlich und zuvorkommend..." "Und weiter?", fragte meine Mutter, nun einen Ton von deutlichem Interesse in ihrer Stimme. Ich fuhr fort: "Als mir Montag etwas schwindelig war, weil ich mal wieder zu wenig gegessen und getrunken hatte, da hat er sich ganz reizend um mich gekümmert... Und jetzt, glaube ich... kann es sein, dass ich... gewisse Gefühle entwickelt habe." Kurze Stille. Dann hob keine Mutter die Stimme, woraufhin ich zusammenzuckte: "ENDLICH! MEINE TOCHTER IST VERLIEBT!!! IN EINEN MANN DER REALITÄT!!! Gott, dass ich das noch einmal erlebe!" Ich seufzte: "Bleib ruhig, Mama." Warum mussten eigentlich alle so einen Aufstand machen?! Ich verstand es nicht: "Irene, du hast noch nie Gefühle für einen Mann zugelassen, wenn er nicht zu unserer Familie gehörte. Das ist regelrecht ein Weltwunder, dass dich mal jemand von sich überzeugen konnte!" "Mama, bitte... Können wir es hierbei belassen?" "Nein. Ich möchte den Namen und das Aussehen des Betreffenden." "Muss das sein?" Ihre Inquisition nervte mich tierisch: "Ja, das muss, Irene." Ich stöhnte innerlich auf: "Mama, ich stehe hier bloß mit Handtuch..." "Wieso denn das?" "Ist das nicht offensichtlich?!" Nun klang sie gänzlich verwirrt: "Ähm... hattest du gerade...?" "Ja, ich hatte vor, ein Bad zu nehmen, als du angerufen hast." Erleichterung in ihrer Stimme: "Ich dachte schon..." Empört hob ich die Stimme: "MAMA!!! Was denkst du denn von mir?!?" "Naja, du..." "Jetzt mal ganz ehrlich: Hast du ernsthaft geglaubt, ich wäre schön soweit?!" "Man kann nie wissen! Aber du weißt hoffentlich noch, was ich dir zu dem Thema gesagt habe?" Nun wurde es mir eindeutig zu viel! Dieses Thema verabscheute ich einfach zu sehr: "Hör mal, Mama, ich weiß, du machst dir Sorgen um mich. Doch das brauchst du nicht, es geht mir gut. Ich passe auf mich auf. Wenn du mich jetzt bitte entschuldigen würdest - Die Badewanne wartet auf mich." "Na gut. Aber halte mich bitte auf dem Laufenden." "Versprochen. Ich hab dich lieb, Mama." "Ich dich auch, mein Schatz. Bis bald mal." Dann legte sie auf. Ich legte den Hörer weg und seufzte schwer. Gerettet! Nun konnte ich erstmal wieder zu meinem Bad zurückkehren. Das Wasser war tatsächlich noch warm! Ich glitt hinein und schloss die Augen...

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