Es war für mich innerlich immer wieder ein Kampf, Irene gehen zu lassen. In meiner Boxershorts machte sich erneut das drängende, beengende Gefühl breit. Hätte ich sie jetzt nicht gehen lassen, das wusste ich, dann wäre noch etwas passiert. Aber heute Abend wäre sie ja wieder bei mir. Dort könnte ich ihr meine Gefühle zeigen, ohne, dass sie Angst haben musste, wir könnten gesehen werden. Das war auch ein weiterer Punkt, den ich an ihr sehr schätzte. Sie machte sich Gedanken. Meine vorigen Beziehungen hatten Taktlosigkeiten und peinliche Situationen geradezu herausgefordert. Irene setzte alles daran, diese zu vermeiden. Sie reagierte auf taktlose Peinlichkeiten genauso allergisch wie ich. Zumindest verabscheute sie diese.
Ich packte gerade meine Tasche, als ich eine junge Männerstimme hinter der Tür hörte: "Pawlow, da bist du ja. Ich dachte schon, du kommst nicht mehr. Ich wollte noch mein Gespräch mit dir von eben beenden..." Ich wurde hellhörig. Es ging um Irene! Leise schlich ich zur Tür, hielt mich dabei an der Wand, um nicht gersehen zu werden. Ich erhaschte einen Blick auf die Situation: Irene stand scheu wie ein Schaf vor einem jungen Mann, der mir als Steven McLaren bekannt war. Sein Vater war der Dekan. Der Junge bekam alles, was er wollte. Dafür brauchte er nichts tun. Ich rümpfte die Nase. Studenten, die sich auf ihrem Namen ausruhten, konnte ich aus Prinzip nicht ausstehen! Vor allem dann nicht, wenn sie so aufgeblasen prahlten wie Steven es gerade tat: "Ich habe da einen schicken, neuen Wagen vor der Uni stehen. Was meinst du, soll ich dich nachher nach Hause bringen?" Diese Frage versetzte mir einen Stich. Doch obwohl ich Irene erst eine Woche kannte, so konnte ich mir ihre Antwort dennoch schon denken: "Ich lehne, wie immer, dankend ab, Steven." "Hör zu, ich habe eine Liste gemacht. Eine Liste, auf der steht, was, beziehungsweise wen ich erreichen will. Möchtest du wissen, wen ich ganz oben in rot eingetragen habe?" "Den Kaiser von China?", erwiderte Irene und ich musste ein Lachen unterdrücken. Irene konnte doch sehr schlagfertig sein! Plötzlich drückte Steven Irene gegen die gegenüberliegende Wand: "Nein. Ich will dich..." Nun schrillten bei mir sämtliche Alarmglocken. Irene versuchte, sich zu wehren: "Steven, lass das! Ich will das nicht!" "Doch, du willst... Ebenso wie ich! Und ich bekomme immer, was ich will!" Er beugte sich runter und war im Begriff, Irene zu küssen. Nun schaltete ich mich ein: "Mr. McLaren, ich denke, Miss Pawlow hat Ihnen deutlich genug gesagt, dass Sie sie in Ruhe lassen sollen. Verhalten Sie sich doch bitte auch dementsprechend." Er ließ Irene nicht los, drehte sich aber halb zu mir um und höhnte: "Sind Sie hier der Moralapostel? Es ist ebenso unhöflich, andere zu unterbrechen." "Ich sage es Ihnen nicht noch einmal - Lassen Sie endlich Miss Pawlow in Ruhe!" "Sonst was, huh?" Ich knurrte ganz leise: "Sonst werden wir ein sehr nettes Gespräch mit dem Dekan haben..." "Zufällig ist das mein Vater. Wem wird er wohl mehr glauben?" Ich schloss leicht genervt die Augen. Normalerweise diskutierte ich in solchen Fällen nicht, ich handelte strikt. Doch das war in dieser Situation nicht möglich, daher musste ich auf meine Argumentation bauen: "Nun ja... Wenn es um seinen guten Ruf geht, wird er es sich wohl zweimal überlegen, wem er glaubt. Und nun sollten Sie besser gehen. Sie habe bestimmt gleich die nächste Vorlesung, oder nicht?" Er murrte leise, Dan funkelte er Irene an und hauchte: "Das ist noch nicht vorbei, Pawlow! Sei froh, dass der Typ hier war! Aber er wird nicht immer da sein, um dich zu beschützen!" Damit ließ er sie los, versenkte die Hände in den Hosentaschen und stolzierte beleidigt davon. Doch, Steven, dachte ich und grinste. Ich werde Irene beschützen! Und ich werde dir auch noch einmal eine Privatstunde geben, wenn ich muss...
Ich bekam grob mit, dass Irene mich ansprach: "Hannibal? Hannibal, was ist mit dir? Du guckst so grimmig..." Ich schüttelte kurz den Kopf: "Ich verabscheue solche Menschen einfach nur!" Sie nahm meine Hand: "Ich weiß, was du meinst. Ich hasse ihn auch. Danke, dass du mir geholfen hast." Ich lächelte: "Das war selbstverständlich..." Nun senkte ich die Stimme und zog sie noch einmal an mich: "Ich sehe es nicht gern, wenn dich andere Männer auf solch taktlose Art und Weise bedrängen." Sie sagte nichts mehr, sah mich nur noch mit großen Augen an und schien auf etwas zu warten. Ich ließ sie stattdessen wieder los: "Und jetzt lauf ins Foyer. Mr. McLaren wird dich wohl erstmal in Ruhe lassen..." Irene nickte, gab mir noch einen letzten flüchtigen Kuss auf die Wange und hauchte: "Wir sehen uns heute Abend." Dann eilte sie davon.
Während ich durch die Universität schlenderte, überlegte ich mir eine angemessene Strafe für Steven McLaren. Niemand durfte so mit Irene umgehen! Nicht mit meinem Mädchen! ...
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University Lovestory
FanfictionIrene Pawlow studiert Medizin an einer Universität in Baltimore. Eines Tages trifft sie dort auf Dr. Hannibal Lecter als ihren Gastdozenten - mit fatalen Folgen.