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"Hannibal, seien wir bitte ehrlich: Mein Sohn ist gestört!" "Das würde ich so nicht behaupten, Dekan McLaren. Er hat sich wohl nur etwas übernommen..." Ich befand mich wieder einmal im Büro des Dekans. Heute morgen wurde sein Sohn Steven bewusstlos in einem Gebüsch beim naheliegenden Spielplatz gefunden. Ich musste innerlich lachen, als ich an die vergangene Nacht dachte. Der junge Steven war in meine Falle getappt und hatte sich unter Drogen setzen lassen. Da ich Handschuhe getragen hatte, waren nur seine Fingerabdrücke an dem Beweismaterial. Sein Vater war allerdings außer sich vor Zorn: "Was denken Sie, was hat den Jungen dazu getrieben? Immerhin bekommt er doch von mir alles!" Ich saß in dem Sessel vor seinem Schreibtisch und tat so, als wäre nichts gewesen: "In Vino veritas, Mr. McLaren... Im Wein liegt die Wahrheit... Vielleicht hat der Junge Ihnen etwas wesentliches verschwiegen, das mithilfe der... Rauschmittel an die Oberfläche gelangt ist." Der Dekan seufzte: "Was habe ich bitte falsch gemacht?" "Sie haben nichts falsch gemacht. Der Junge ist sechsundzwanzig Jahre alt, er sollte wissen, was er tut. Ebenso sollte er wissen, dass Rauschmittel in MAßEN eingenommen werden sollten und nicht, wie es die meisten tun, in MASSEN.", erwiderte ich. Der verzweifelte Vater sah aus dem Fenster: "Vielleicht hat er einfach immer noch nicht den Tod seiner Mutter verarbeitet..." Ich neigte leicht den Kopf und bekam im nächsten Moment eine geniale Idee: "Dekan McLaren, was halten Sie davon, wenn ich mir Ihren Sohn mal nehme und in einem Einzelgespräch frage, was ihn dazu getrieben hat." Er richtete seinen trüben Blick auf mich: "Vielleicht sollten Sie das tun... Sie als Psychiater haben vielleicht mehr Glück als ich..." Ich nickte: "Gut. Der Junge soll mal in meine Praxis kommen, dann kümmere ich mich mal um ein paar Antworten. Rufen Sie mich einfach an, wenn es Ihnen passt." Der Dekan schüttelte mir die Hand: "Ich danke Ihnen, Dr. Lecter! Und das mit gestern... mit den Anschuldigungen, das..." "Kein Problem, Mr. McLaren.", beendete ich seinen Satz. "Steven ist es anscheinend gewöhnt, zu bekommen, was er möchte. Nur hat er anscheinend da die Rechnung ohne Miss Pawlow gemacht... Wenn Sie mich jetzt entschuldigen würden, ich muss vielleicht kurz nach den Studenten sehen. Kümmern Sie sich um die Presse..." "Ja, Dr. Lecter." Mit einem letzten Nicken verließ ich das Büro und lief ins Foyer. Dort hatte sich gerade eine mir unbekannte Studentin vor Irene aufgebaut und beschuldigte diese: "Gib' doch zu, dass du Steven das angetan hast! Du konntest ihn doch nie wirklich ausstehen!" Irene wirkte gereizt: "Ich habe damit rein gar nichts zu tun!" Das stimmte allerdings! Und so redete auch niemand mit meiner Irene!
Ich stellte mich direkt neben ihr hin. Ruhig, Hannibal, dachte ich dabei und holte tief Luft. Du kannst sie nicht alle umbringen! Vor allem nicht jetzt... Ich hob etwas meine Stimme und sprach in ruhigem Ton: "Es gibt keinerlei Beweise gegen Miss Pawlow. Die Beweise sprechen deutlich für eine Eigenverschuldung von Mr. McLaren." Für einen Moment waren alle still, dann meldete sich ein Student mitten in der Menge zu Wort: "Es gibt Gerüchte über Sie und Miss Pawlow, Dr. Lecter! Könnten Sie etwas dazu sagen?" Also wirklich! Wie unhöflich war das denn?! Doch ich musste um jeden Preis ruhig bleiben und antwortete: "Das hat jetzt rein gar nichts mit dem Thema zu tun! Und Sie haben jetzt bestimmt Vorlesungen! Also würde ich vorschlagen, Sie beruhigen sich jetzt alle schleunigst wieder und konzentrieren sich auf Ihr Studium..." Damit drangen die Gruppen auseinander. Irene streifte kaum merklich meinen Arm und formte mit den Lippen: "Komm mit..." Das, was gerade passiert war, durfte nicht noch einmal passieren! Ich murmelte: "Warte im Wald. Ich komme da gleich hin, ich muss erst noch etwas mit dem Dekan besprechen..." Sie nickte und lief zu ihrer Freundin Miss Martensen. Ich drehte mich um und kehrte schweren Herzens zum Dekan zurück, der sich gerade mit zwei Reportern vom National Tattler abmühte. Diese Philister waren auch wirklich an jeder Ecke! Ich schüttelte den Kopf und wollte gerade einschreiten, doch der Dekan war schneller: "Nein, ich weiß noch nichts genaueres, meine Herren! Doch ich werde der Sache nachgehen und es wird Konsequenzen geben!" Einer der beiden Reporter war Freddy Lounds. Ich verabscheute ihn total! Er drehte sich zu mir um und grinste schmierig: "Ah, Dr. Hannibal Lecter! Könnten Sie uns eine Auskunft zu den neuesten Ereignissen geben?" Neutral antwortete ich: "Nein, das kann ich logischerweise nicht. Guten Tag, die Herren." Ich warf ihm einen strengen Blick zu, er schnappte sich seinen Kollegen und gemeinsam trabten sie davon. Der Dekan seufzte: "Lästig wie Fliegen... Kann ich noch etwas für Sie tun, Dr. Lecter?" Eigentlich wollte ich das folgende nicht aussprechen, doch ich musste an Irene denken! Sie musste schließlich all diese Studenten der ganzen Tag ertragen: "Ja, das können Sie, Dekan McLaren - Ich möchte meine Kündigung einreichen. Professor Rudolphus kann ab jetzt wieder übernehmen, denn ich denke, es wäre besser, wenn ich mich ab jetzt von alldem hier fernhalte. Vor allem bezüglich Steven." "Ich verstehe. Nun, es ist schade, denn Ihre weitreichende Kompetenz hätte die Studentinnen und Studenten wirklich weit gebracht... Aber wenn Sie es so möchten, dann gehen Sie halt. Viel Glück noch." Er reichte mir die Hand: "Ich verspreche, dass ich mich um Steven kümmern werde.", erwiderte ich und er nickte dankbar. "Ich werde gleich noch meine Sachen holen. Ich muss nur noch eben etwas klären." Der Dekan nickte erneut und schlich wieder in sein Büro. Ich drehte mich um und schritt langsam nach draußen. Dabei dachte ich die ganze Zeit an Irene. Es würde sie vermutlich sehr kränken, doch ich wollte sie beschützen! Und zum Teil auch mich selbst...

Irene lehnte an "unserem" Baum. Genau an der Stelle, wo wir schon einmal verharrt hatten. Sie kam mir entgegen und warf sich in meine Arme: "Hey, wie geht es dir?" Mir fielen die Studenten wieder ein und ich wurde wieder etwas wütend: "Diese ständige Gerüchteküche! Das ist doch schrecklich!" Sie nahm mein Gesicht in ihre Hände: "Wir können nichts daran ändern. Wir müssen es einfach ignorieren..." Nun musste ich es ihr einfach sagen! Das, was ich eigentlich nicht wollte. Ich küsste sie und widersprach: "Nein, wir können etwas daran ändern... Ich habe gerade mit Dekan McLaren gesprochen - und meine Kündigung eingereicht." Sie starrte mich fassungslos an. Nach einer gefühlten Ewigkeit fand sie die Stimme wieder: "Was? Du meinst... Du lässt mich hier alleine? Jetzt, wo alle gegen uns sind?" "Ich denke, das ist besser. Zum einen ebben dann vielleicht die Gerüchte ab und zum anderen..." Ich verharrte kurz. Den anderen Grund konnte ich ihr nicht nennen! Ich wollte sie nicht komplett verlieren! So schüttelte ich den Kopf und murmelte: "... und zum anderen werde ich dann nicht immer so schwach, wenn ich dir begegne." Das heiterte sie überhaupt nicht auf: "Aber... Hannibal..." Ich zog sie an mich: "Irene, ich möchte dich vor den beißenden Gerüchten der anderen Studenten wahren. Und das geht nun einmal nicht anders." Ihre Augen wurden klamm, füllten sich mit Tränen. Sie fragte: "Sehe... ich dich dann... überhaupt nochmal?" Ich neigte den Kopf zur Seite: "Natürlich! Ich bin vielleicht nicht mehr hier, aber ich bin dennoch in Baltimore. Ich gehe nicht weg..." Sie schien es falsch aufgefasst zu haben, denn sie drückte sich an mich und brach in Tränen aus: "Ich will nicht, dass du gehst! Ich will, dass du bei mir bleibst! Ich liebe dich doch!" "Ich dich doch auch, Irene! Das wird sich niemals ändern! Egal, ob ich nun hier bin oder in meiner Praxis. Weißt du, meine Kündigung hat auch noch einen anderen Grund..." Sie sah mich verwirrt an und ich erklärte: "Ich muss mich um Steven kümmern. Sein Vater bat mich darum, denn er weiß nicht mehr weiter..." Sie starrte mich an: "Aber... du kannst Steven doch nicht leiden..." "Nein, du hast recht, das kann ich in der Tat nicht. Aber ich bin durchaus bereit, immer etwas neues auszuprobieren..." Sie schniefte kurz: "... Bleibst du dann ... Zur heutigen Vorlesung noch hier, oder... gehst du sofort?" Ich überlegte kurz: "Heute werde ich... noch einmal eine Vorlesung halten, denke ich. Es wäre unhöflich, einfach zu gehen, ohne sich ordentlich zu verabschieden..." Sie zog mich noch einmal an sich: "Ich liebe dich, Hannibal." Ich strich ihr über die Wange: "Ich dich auch, Irene." Dann hörte ich hinter mir eine Stimme: "Oh, das ist ja niedlich! Da wird sich der Dekan bestimmt auch drüber freuen, wenn er sieht, was hier gerade passiert..." Jäh fuhr ich herum...

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