4. Kapitel

144 14 8
                                    

Mara blinzelte ins blendende Licht der Sonne. Wie spät war es? Heute war Sonntag und sie hatte Montag ihre mündliche Abiturprüfung in Englisch. Sie wollte unbedingt nochmal das Sprechen üben, denn sie kannte sich und wusste, dass sie zum nervlichen Wrack mutierte, wenn es darauf ankam.
"Guten Morgen." Maurice hatte eine großartige Nacht verbracht. Die Begegnung mit Mara gestern hatte seine eh schon gute Stimmung nur noch weiter gehoben. Er hatte sie eine ganze Weile angeschaut, während sie schlief. Sie war umwerfend.
War es möglich, dass er dabei war sich in Mara zu verlieben? Seine letzte Beziehung war ewig her und er hatte kaum Erinnerungen daran, was man mit einer Person unternahm, wenn man zusammen war. Kitschige Dinge wie Picknicks in der Natur, Sonnenuntergänge gemeinsam ansehen ... Mit Letzterem konnte er sich sogar anfreunden, stellte er erschrocken fest.
Mara rekelte sich unter der Decke. "Ich suche mal die nächste Zahnbürste", erzählte sie und ließ Maurice allein.

Er blieb liegen, schloss die Augen und genoss die Wärme, die die die Sonne auf seine blanke Brust projizierte ...
Die Minuten vergingen, aber Mara kam nicht wieder. Maurice beschloss nach ihr zu sehen und raffte sich auf.
Sie teilte die Küche mit Carol, die ihr einen Kaffee angeboten hatte und beiläufig einen Wodka als Vertreter allen Alkohols verfluchte.
"Nur wegen dieser Scheiße habe ich mit meinem Mitbewohner geschlafen", knurrte sie. "Verdammter Mist."
Maras Augenbrauen schossen in die Höhe. "Was ist so falsch an Kurt? Abgesehen davon, dass er dein Mitbewohner ist, scheint er ein netter Kerl zu sein."
"Er hat kein Glück mit Frauen. Er will eine feste Freundin, wird aber in die Friendzone abgeschoben und jetzt bin auch noch ich diejenige, die ihm das antun muss", antwortete Carol bitter.
Sie hatte Mara mittlerweile verraten, dass sie eigentlich Carolin hieß, sie aber niemand so nannte. Früher war ihr Spitzname Caro gewesen. Das L hatte sie hinzugefügt als sie sich selbst zu langweilig wurde.
"Genug von meinen Problemen. Wie heißt du, Darling?"

"Mara Jasephin Plinta." Maurice betrat oberkörperfrei, Gott sei Dank aber mit Jeans, die Szene. Er fand ihren Namen noch immer lustig; originell und außergewöhnlich.
"Das tut mir leid für dich", antwortete Carol trocken.
"Das ist komischerweise immer die erste Reaktion, die ich bekomme, gefolgt von spöttischen Kommentaren oder hämischem Grinsen", erwiderte Mara. "Ich mag meinen Namen."
"Willst du auch Kaffee, schöner Mann?", wandte sich Carol an Maurice.
"Ich bin im Herzen Kind geblieben. Kakao wäre mir lieber."
"Morgen." Der dunkelhaarige Zocker, der Mara gestern die Erlaubnis erteilt hatte, das Bad zu benutzen, lief zum Kühlschrank, nahm sich ein Tetrapack Orangensaft und verschwand wieder.
"Morgen", sagte Carol betont höflich als er schon wieder die Tür hinter sich zuzog.
"Der ist echt nicht gesprächig, oder?"
Maurice hatte sich hinter Mara gestellt und massierte ihren Rücken. Sie seufzte hin und wieder leise, was er zufrieden quittierte.
"Livo ist der Allerbeste. Er putzt, wäscht und kocht. Als Gegenleistung erwartet er, dass wir ihn in Ruhe lassen."
Maurice lächelte: "Wo hast du Kurt gelassen?"
"Er schläft", sagte Carol. "Er pennt immer bis Eins Minimum."
"Wenn wir das Zimmer räumen sollen, klopft einfach oder so", meinte Maurice. Er wollte gerade ins Bad, da fragte Carol: "Und dein Kakao, Mister? Da steht man hier und setzt extra Milch auf den Herd und der Gast haut ab? Machst du das in Cafés und Restaurants auch immer?"
Er sagte nichts, lachte und ging.

Carol schaute fassungslos zu Mara. Aber Mara wurde nur rot, denn wahrscheinlich hätte sie an seiner Stelle genauso reagiert. "Ich kann ihm den fertigen Kakao bringen", schlug sie versöhnlich vor.
"Bist du seine Freundin?", fragte Carol entgeistert.
"Nein."
"Darauf hätte ich wetten können. Der muss ja ein Tier im Bett sein, dass du ihn bedienen willst", zuckte sie mit den Schultern. "Aber bei dem Sixpack würde ich auch nicht nein sagen."
Mara lachte. Carol hatte gedacht, sie wären ein Paar. Ihr Herz machte einen Freudensprung.
Sie langte nach der Tasse und verabschiedete sich.
Gedankenverloren schlenderte sie zurück zu Maurice, der in Ginas Zimmer wartete.
Er hatte das Fenster geöffnet und drehte Mara den Rücken zu. Sie nutzte die Sekunden, um ihre Gefühle zu ordnen: Sie konnte nicht von Verliebtheit sprechen, das Wort war zu stark, aber verschossen war sie auf jeden Fall. Sie fühlte das verräterische Kribbeln im Bauch, wenn sie ihn ansah. Klar, da waren Bedenken. Er war ein Superstar und ein erfolgreicher noch dazu. Wann hätte er je Zeit für sie? Und dann wäre da natürlich noch die Sache mit ihrem Alter. Es war eine Zahl und Mara hasste es, wenn sie über diese Zahl definiert wurde.
Ich bin achtzehn, redete sie sich selbst gut zu. Das war die Wahrheit, sie war volljährig, aber Maurice hätte sie nach Hause geschickt, hätte er davon erfahren. Man schlief nicht mit Mädchen von achtzehn Jahren oder darunter, wenn man über zwanzig war. Es war eine Sache des Gewissens ... Irgendwann musste sie es ihm sagen. Aber erst dann, wenn sie sich absolut sicher wäre, dass es ihm nichts mehr ausmachte.

"Der Kakao", räusperte sie sich.
Maurice drehte sich um. "Ich will ihn nicht mehr."
"Dann trinke ich ihn eben. Elender Lebensmittelverschwender", beschuldigte sie ihn.
Sie kippte das Getränk runter und stellte die leere Tasse auf dem genauso leeren Schreibtisch ab.
"Hast du noch Zeit?", wollte Maurice wissen.
"Nicht mehr viel, ich bin noch verabredet", log sie. Mara war nicht verabredet und hatte trotzdem überhaupt keine Zeit mehr. Das Abitur war wichtig, sie brauchte einen guten Durchschnitt. Ihre Ausbildung zur Hotelfachfrau hatte sie sicher, aber ihre Arbeitgeber erwarteten, dass sie sich in schulischen Belangen anstrengte.
Maurice war ihr wieder näher. Er dachte an ein Zitat, dass er mal gehört hatte. Darüber, dass aus der Nähe alles hässlicher wirke. Es mochte auf vieles zutreffen, aber nicht auf Mara. Er nahm ihr Gesicht in seine Hände und küsste sie sanft. Sie schmeckte nach Kakao und Kaffee.
Maurice schmeckte nach Minze. Vermutlich Zahnpasta. Normalerweise wären Maras Gedanken abgeschweift, da sie sich noch nicht die Zähne geputzt hatte; normalerweise hätte sie jetzt Angst, dass er das auch angewidert merken würde. Aber sie konzentrierte sich auf den Kuss und versuchte sich diese Emotion einzuprägen, die er bei ihr verursachte.
Am Ende lehnte ihre Stirn an seiner und beide atmeten im selben Rhythmus.
"Ich will dich nicht aufhalten, wenn du dich noch mit jemandem triffst", sagte Maurice, aber es tat ihm weh, sie gehen zu lassen. In Wirklichkeit war das Gegenteil der Fall: Er wollte sie aufhalten.
"Ja", sagte Mara, sich ihrer Verantwortung wieder schmerzlich bewusst. "Du hast ja meine Nummer."
Sie ließ von ihm ab und suchte ihre sieben Sachen zusammen.

Als sie schon halb im Flur stand, drehte sie sich noch einmal um. "Es ist übrigens keine gute Idee, einem Fangirl das entsperrte Handy in die Hand zu drücken und es dann damit allein zu lassen, falls du unter Eigene Rufnummer nicht irgendwelchen Müll eingespeichert hast", klärte sie ihn auf und schob ein schüchternes Lächeln hinterher.
Maurice wurde blass. Das war dumm, sie hatte recht.
"Keine Sorge, ich hab nur meine Nummer eingespeichert und sonst nichts gestalkt, aber ... wenn ich nur eine von vielen bin, dann pass in Zukunft auf bei sowas."
Sie hält sich für eine von vielen, dachte er. Das war in Ordnung, zumindest solange, bis er wusste, was er wollte ...

Blau wie wirWo Geschichten leben. Entdecke jetzt