26. Kapitel

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"Aufwachen am schönsten Ort der Welt", murmelte Mara schläfrig an seiner Brust.
"Reizend, wie schnell du dich an Prenzlberg gewöhnt hast. Im wahrsten Sinne des Wortes", erwiderte Maurice grinsend.
"Ich meinte eigentlich in deinen Armen", lachte sie.
"Na, das ist was anderes."
Einen stillen Moment lang, strichen seine Finger über die elegante S-Form ihres Rückens.
"Ich wünschte, ich hätte keine Schule." Maras erste Stunden fielen heute aus, aber ihr fehlte die Zeit, die sie noch vor ein paar Wochen so häufig mit Maurice hatte verbringen können.
"Kannst du haben. Melde dich krank und mach blau mit mir", schlug er vor.
Seufzend, streckte sie sich wie ein Katze, die sich in der Sonne rekelte.
"Ich geh duschen." Sie ging.
Er fand problemlos die Nummer ihrer Schule im Internet.
"Warum spreche ich nicht mit Frau Plinta selbst?", fragte die misstrauische Sekretärin am anderen Ende.
"Oh, ich dachte, sie würden es gar nicht bemerken", scherzte Maurice. Bevor sie einen humorlosen Satz von sich geben konnte, erklärte er: "Ihre Stimme ist weg. Sie hat gestern sehr viel gehustet und dann brachte sie plötzlich kein Wort mehr raus."
Die Tante diskutierte noch eine Weile mit ihm und Maurice befürchtete bereits, dass Mara ihn jeden Moment beim Feilschen erwischen könnte, da ließ sie sich dann endlich erweichen.
"Schönen Tag noch!", verabschiedete er sich gespielt fröhlich.
"Hast du meine graue Jeans gesehen?" Mara rubbelte sich die nassen Haare mit einem Handtuch trocken.
"Du musst nicht zur Schule", meinte er.
"Darüber hatten wir doch schon geredet. Natürlich muss ich zur Schule, sei nicht albern."
"Ich hab dich krankgemeldet."
In ihren Augen lag der eiskalte Todesblick, als sie sich zu ihm umdrehte. "Du hast was?", fragte sie spitz.
"Doktor gespielt und dir Bettruhe verordnet."
Sie feuerte ihre Klamotten zurück in den Schrank. "Ich bin sauer auf dich."
"Bist du nicht." Er machte einen Schritt auf sie zu, aber sie rauschte an ihm vorbei in die andere Ecke des Zimmers.
"Doch. Ich bin diejenige, die eines Tages auf eigenen Beinen stehen muss, nicht du! Nimmst du nie etwas ernst?! Das ist doch nicht deine Entscheidung, ob ich zur Schule gehe oder nicht!"
Er war absolut verwirrt. "Beruhig dich mal. Eben war doch noch alles in Ordnung."
Aber die Wut verschwand nicht aus ihren Augen, also nahm er seine Sachen und zog sich an.
"Was tust du?", fragte sie.
"Nach Hause gehen. Oder hast du 'ne bessere Idee?"
"Ach, fahr doch zur Hölle", nuschelte sie.
"Guter Vorschlag." Er zog seine Jacke über. Das nächste, was Mara hörte, war, wie die Wohnungstür unsanft ins Schloss fiel.
Stille.
Mara war egal, wie sie aussah. Sie sprintete die Treppen runter auf die Straße.
"Maurice!", schrie sie. Aber er war schon zu weit entfernt.
Eigentlich nicht, aber er tat, als hörte er sie nicht.
Ein dubioser Kerl glotzte Mara auf die Brüste. Selber schuld, wenn man nur im BH runter rennt, dachte sie.
Sie konnte nicht zur Schule. Erst versuchte sie zu lernen, wenigstens ansatzweise produktiv zu sein, aber sie konnte sich nicht konzentrieren.
Maurice drückte jeden ihrer Anrufe weg. Er lief geschlagene zwei Stunden planlos durch Berlin.
Mara verbrachte Zeit mit Carol. Sie teilten Chips, während Mara erzählte, was passiert war.
"Du bist mir aber auch eine, Darling", gab Carol ihre Meinung zum Besten. "Er will dir einen Gefallen tun und du lässt ihn dermaßen abblitzen."
"Was sollte ich tun? Der Junge ist vollkommen sorglos, ich muss dafür sorgen, dass ich in Zukunft Geld verdiene."
"Maurice will dich doch gar nicht deiner Freiheit berauben. Ich glaube, er will nur, dass du weißt, dass er dich jederzeit unterstützen würde. Mental, finanziell, wie auch immer."
"Ich wollte zur Schule! Er muss das akzeptieren."
"Das war kein Angriff. Und du musst das auch nicht als Angriff ansehen, Mara. Ich habe dargelegt, welche Position dein Freund wahrscheinlich vertritt."
"Willst du mir sagen, es ist meine Schuld?"
"Ja, zum Teil."
Mara kniff die Augen zusammen.
"Er hätte dich nicht krankmelden und du hättest ihn dafür nicht so angehen dürfen", sagte Carol deutlich. "Stress im Paradies ist übrigens normal."
"Spricht da jemand aus Erfahrung?"
"Ich hab schon ein paar Jährchen mehr auf dem Buckel, Darling." Carol war sechs Jahre älter, erinnerte Mara sich. "Du liebst Maurice und er dich. Das sieht 'n Blinder. Macht so 'ne Scheiße nicht und alles ist gut." Sie wählte seine Nummer.
"Was ist?" Maurice war müde.
"Darf sie sich bei dir entschuldigen?", fragte Carol.
"Mara?"
"Nein, die heilige Dreifaltigkeit. Mit wem hast du dich denn gestritten, hm?"
"Ich hab keinen Bock auf diese Kacke."
"Sie hat überreagiert. Auch wenn du, zugegeben, nicht ganz unbeteiligt warst am Desaster."
"Lass mich in Frieden, Carol." Er legte auf.
Die Worte hatten ihn zu tief getroffen. Er nahm Dinge ernst. Ich nehme sie ernst, dachte er. Aber war sie es wirklich wert, wenn sie seine Intentionen so missverstand? Maurice war verletzt. Grenzen unterschätzte er permanent. In seiner Welt gab es keine Grenzen. Er wusste nicht, ob es Sinn ergab, mit einer Person zusammen zu sein, die Grenzen kannte. Dabei standen sie doch im völligen Widerspruch zu ihr. Mara war der grenzenloseste Mensch, den Maurice kannte ...
In dieser Nacht sprühte sie sein Haus an. Als Vorlage diente ihr das Bild von Aleks, dass sie beide zeigte. Sie versuchte sich an ähnlichen Schattierungen wie Philian, gab aber schnell auf. Das war einfach nicht ihr Stil. Nach und nach entstand ein schlichtes Piece, eine bloße Zeichnung in der Mitte, drum herum, vibrierende Farben, die sich zu Mustern zusammenfügten, geometrischen, grotesken. Carol bannte alles auf Kamera.
Im Anschluss daran lag das Jubiläum. Sie hatte zwar keine Lust hinzugehen, aber das Graffity Collective hatte nichts mit Maurice zu tun. Die Aufnahmen wurden ins Netz gestellt.
"Damn, Marsea, schönes Piece. Sehr emotional", bekannte Philian.
Mara wollte kein Lob. Sie nickte abwesend und schwieg.
Jeanne führte sie schließlich aus dem ungenutzten Parkhaus, in dem sie sich trafen.
"Ihr habt euch gestritten."
"Geht dich nichts an", wehrte Mara ab.
"Das ist normal."
"Ich bin aber nicht normal. Er auch nicht. Ich kann auch nichts Normales wie streiten."
"Scheinbar schon."
"Maul, Jeanne, bitte."
Sie zuckte die Achseln und bot ihr die Zigarette an, dann ging sie rein. Mara rauchte auf, bevor sie einfach abhaute. Carol würde schon nach Hause kommen.

Blau wie wirWo Geschichten leben. Entdecke jetzt