24. Kapitel

106 9 7
                                    

An diesem Nachmittag traf Mara Chloe. Sie hatte sich endlich doch überreden lassen, nachdem Mara ihr an die zehnmal erklärt hatte, dass sie ihr keine Vorwürfe machen wollte.
"Tut mir leid, dass ich Jeanne und Philian nicht Bescheid gesagt habe, dass ich nicht da sein werde. Das war dumm", sah sie gerade ein.
"Es ist alles gut, ich hab das mit denen abgeklärt", beschwichtigte sie Mara dürftig. Das hier war mehr als unangenehm. Zu Beginn hatten sie sich nur angeschwiegen, geschlagene drei Minuten. Dann kam der Kellner und sie bestellten Tee (Mara) und Espresso (Chloe).
"Steht der Termin für eure Hochzeit schon fest?", fragte Mara aus reiner Höflichkeit. Sie kannte die Antwort und wusste auch, dass Chloe sie anlog, als sie bejahte.
"Möchtest du kommen?", schob ihre ehemalige beste Freundin vorsichtig hinterher.
"Nein, aber danke für das Angebot", lächelte Mara.
"Also, ich habe mich entschlossen zu studieren." Chloe schaute sie so fragend an, dass Mara nicht sicher sein konnte, ob es wirklich eine Feststellung gewesen war. "Cool! Und was?", erwiderte sie möglichst begeistert.
"Na ja ..." Chloe wich ihrem Blick aus. "Wie läuft's bei dir in der Ausbildung?", versuchte sie abzulenken.
"Die Leute sind scheiße", antwortete Mara wahrheitsgetreu.
"Nichts anderes hatte ich erwartet, du Misanthrop", lachte Chloe.
Mara lachte mit.
"Und Maurice und du?", wurde sie verhört.
"Wir sind zusammen", murmelte Mara.
"Ich freu mich für euch", gratulierte Chloe.
"Chloe, ich will das nicht so quälend in die Länge ziehen, also ... Wir können ja weiter befreundet sein ..." Mara wusste nicht, wie sie weitermachen sollte. Es tat weh, aber es würde nur noch mehr wehtun, wenn sie sich auch zukünftig etwas vorspielten.
"Okay." Chloe war verletzt.
Mara kippte ihren Tee runter. "Ich muss los." Sie raffte ihr Zeug rasch zusammen und flüchtete.
"Scheiße", sagte sie vor der Tür zu sich selbst.
Carol stand schon vor dem Haus, als sie an der WG ankam. Sie schlürfte Sprite aus einem pinken Becher mit Strohhalm. Auf die rosafarbenen Vans folgten eine helle, löchrige Boyfriendjeans und ein weißes, kurzärmliges Crop-Top. Ein echtes Silberkettchen zierte ihren Hals und betonte ihr Schlüsselbein. "Wie lief's?", fragte sie.
"Bescheiden." Mara gab ihr einen Kuss auf die Wange. Die zwanzig Zentimeter Größenunterschied zwangen sie einzuknicken.
"Ich bin weggelaufen."
Carol beäugte sie skeptisch. "Komm. In der Nähe findet ein Flohmarkt statt." Mara hatte mittlerweile mitbekommen, dass Carol in ihrer Freizeit häufiger über Flohmärkte schlenderte. Sie hatte ein Händchen fürs Aussuchen einiger netter Teile, ob Kleidung, Schmuck oder Einrichtungsgegenstände.
"Wie geht's Kurt?", fragte Mara.
"Bescheiden", wiederholte Carol ihre vorangegangene Antwort. "Er wollte sich bei Livo ausheulen. Ging nach hinten los. Wir haben keine Ahnung, wo der zurzeit stecken könnte, jedenfalls war er seit zwei Tagen nicht mehr zu Hause."
"Ist Gina wieder aufgetaucht?"
"Nope. Kurt will ein Zimmercasting veranstalten."
"Das ist entwürdigend", meinte Mara angewidert.
"Meine Worte, aber er denkt, es wird lustig."
"Wartet besser ab, ob Livo noch zurückkommt, sonst müsst ihr mehrere Wettbewerbe veranstalten."
"Vielleicht hau ich auch noch ab. Kurt und ich führen uns auf wie Kindergartenkinder. Wir können uns nicht mal in die Augen schauen. Kennst du nicht 'n paar angenehme Leute, die zu uns passen?" Carol hielt ihr ein süßes Oberteil mit Sixties-Charme an.
"Ich hasse Menschen, schon vergessen? Eine an meiner Berufsschule ist mega, aber danach rangieren nur noch Bitches in der Liste. Drei Euro?! Was für ein Spottpreis. Meinst du das steht mir? Dann nehm ich's mit."
Carol schüttelte den Kopf. "Nicht deine Farbe, dieses rotbraun ist viel zu warm für dich."
Mara zuckte die Schultern und zog ihren langen, beigen Trenchcoat aus, ihr war warm. Der schlichte, azurblaue Sweater harmonierte mit dem hellgrauen, asymmetrischen Wildlederrock.
"Die Schuhe sind Killer." Carol hielt ein paar eleganter Gladiator-Sandaletten hoch.
Mara durchforstete die Ringsammlung aus Altgold. Shoppen half.
Sie berichtete Carol von Maurice' Romantikausbruch gestern.
Deren Augen wurden ganz weich und sie lächelte angetan. "Sowas wünsch ich mir auch."
Carol wirkte immer eher hart und es war Mara neu, dass sie Kitsch mochte.
Sie fragte sich noch immer, warum sie nichts Festes mit Kurt wollte. Oft redete sie von seinen guten Seiten; was für ein putziger Tollpatsch er doch sei und der Sex hatte ihr gefallen, hatte sie gestanden.
"Wieso treibst du's nicht einfach nochmal nüchtern mit Kurt?", schlug Mara vor.
"Dann werde ich ihn doch erst recht nicht los."
"Du willst ihn gar nicht loswerden. Du jammerst."
Es war nicht einfühlsam, aber es stimmte zu hundert Prozent.
"Du bist blöd", beleidigte Carol sie.
"Sehr schlagfertig", lachte Mara.
"Ist eben nicht jeder so eloquent wie ich."
Zufrieden quittierte sie, dass Carol ihr den Rat wohl nicht übel nahm. Sie bezahlte den Ring, der aus mehreren geometrischen Elementen zusammengeschweißt war. Er erinnerte sie an Maurice' Kunstwerk im Studio der Jungs.
"Na, Süße", raunte ihr plötzlich jemand ins Ohr. Sie zuckte zurück. "Nick", erschrak sie.
Er richtete seine Frisur und grinste sie gefährlich an.
"Aus dem Weg", schob ihn Carol trocken beiseite.
"Geht's vielleicht 'n bisschen freundlicher, Hobbit?", zischte er wütend. Sie zeigte ihm den Mittelfinger.
Mara hatte irgendwie Angst. Er kam wieder auf sie zu. Sie ging rückwärts, prallte aber plötzlich gegen einen der Kleiderständer.
"Sag mal, was wird denn das hier, Goliath?" Carol funkelte ihn misstrauisch an und stellte sich zu Mara.
Sichtlich genervt schnalzte Nick mit der Zunge. "Lass uns doch 'ne Minute allein, ja?", bat er Carol.
Mara griff automatisch nach der Hand ihrer Freundin.
"Ganz bestimmt nicht", wies ihn diese zurecht. "Und jetzt verpiss dich."
"Mara, bitte, es dauert auch nicht lange", bettelte er vergeblich.
"Nein, Nick. lass mich in Ruhe. Ich kann auch Anzeige erstatten, wenn's sein muss", fiel ihr ein.
"Sehr schön, jetzt, wo wir das geklärt hätten." Carol zog Mara zum nächsten Stand. Sie leistete keinen Widerstand. Bloß weg von Nick, dachte sie.
"Wer ist der Typ?", fragte Carol. Der Ekel stand ihr ins Gesicht geschrieben.
"Mein Ex. Der ist schon zur Einweihung meiner Wohnung uneingeladen da gewesen, aber Maurice hat ihn eingeschüchtert und dann ist er gegangen."
"Der soll sich bloß von dir fernhalten."
Mara überlegte, ob sie überhaupt das Recht gehabt hatte, ihn damals zu verlassen. Sie war immerhin selbst impulsiv und hatte Magnus die Nase gebrochen. Wie konnte sie sich eigentlich über ihn stellen?

Blau wie wirWo Geschichten leben. Entdecke jetzt