Der Psychologe des Krankenhauses stellte sich als Alexis Asternas vor.
"Das Leid eines Menschen geht zumeist von einem anderen Menschen aus", sagte er. "Wir fangen ganz entspannt an. Ihre erste Assoziation, mit der Sie beim Betreten des Raumes konfrontiert wurden. Ladies first."
Mara sah sich um.
"Nein, nicht jetzt gucken. Versuchen Sie sich zu erinnern."
"Um ehrlich zu sein, hab ich gar nicht daran gedacht, als ich reinkam."
"Sondern?"
"Daran, dass ich anscheinend reif für die Klapse bin."
Ein schiefes Grinsen erschien auf dem Gesicht des alten Psychiaters. "Warum?"
"Sagen Sie's mir", trotzte Mara. Der Mann missfiel ihr.
"Ich stelle die Fragen. Wenn Sie an einen Psychologen geraten, der Ihnen Ihre Fragen beantwortet, können sie sicher sein, dass es sich um einen Aufschneider handelt."
Sie schwieg. Sie hatte auf einmal keine Lust mehr auf diese Lächerlichkeit.
"Ich habe an Carol gedacht", meldete sich Kurt leise zu Wort.
"Was?", fragte Mara überrascht.
"Findest du nicht, dass es hier nach ihr riecht?", fragte Kurt zurück.
Mara schnupperte unauffällig. Er hatte sogar Recht. Es roch dezent nach Rosen. Die sollten angeblich beruhigend auf die Nerven wirken.
"Wer ist Carol?", mischte sich Asternas wieder ein.
"Mein Problem", seufzte Kurt.
Asternas notierte. "Ihres auch?", wandte er sich erneut an Mara.
"Nein, sie ist meine beste Freundin."
"Du hast dich als Erste über sie beschwert", korrigierte Kurt.
Mara zuckte ratlos die Schultern. Schon, aber ich will im Gegensatz zu dir nichts von ihr, dachte sie.
"Weil sie ihr Leben nun mal nicht auf die Reihe bekommt", antwortete sie stattdessen.
"Damit kenne ich dann schon Drei, bei denen das der Fall zu sein scheint."
Asternas warf einen Blick auf seine Armbanduhr. Sie hatten eine ganze Stunde rumgebracht. "Das soll für heute genügen. Wir haben einen der Gründe für Ihre derzeitige Verfassung gefunden. Offensichtlich heißt die Dame Carol. Hat mich gefreut. Kommen Sie jederzeit wieder vorbei, auch wenn ich zu getrennten Sitzungen raten würde. In der Kantine gibt es heute Kohlrouladen, mein Leibgericht, ich verabschiede mich also."
Er schüttelte beiden die Hand und begleitete sie aus dem Therapiezimmer.
Konsterniert schauten Kurt und Mara ihm nach ...
"Dein famoser Seelenklempner nervt mich", berichtete Mara Maurice.
"Wo hast du Kurt gelassen?"
"Der wollte direkt nach Hause", klärte sie ihn auf.
Maurice nahm ihre Hand und zog sie hinter sich die Treppe runter.
"Ich will sehen, womit du dich im Südgelände verewigt hast", meinte er.
"Als Street Artist kannst du dich nicht verewigen. Die meisten Pieces sind nach wenigen Wochen übersprüht. Und das Südgelände ist mehr die Probewand, da kann jeder rumkrakeln, wie er will. Irgendwer hat's bestimmt schon beseitigt."
Er stoppte abrupt. Sie stolperte über ihn. Er fing sie in letzter Sekunde.
"Mara", sagte er ernst und schaute sie aus seinen blauen Augen an. "Ich will's sehen."
"Is' ja okay", schmollte sie ...
Das Bild war natürlich noch da. Während Maurice die Finsternis des düsteren Portraits in sich aufnahm, entdeckte Mara plötzlich ihren Retter vom Nachmittag.
Er hockte allein auf einem Stein. Als sie Augenkontakt mit ihm aufgebaut hatte, lächelte Mara.
Sie checkte kurz, ob ihr Freund mit dem begutachten ihres Werks zugange war, dann schlich sie zu ihm.
"Danke, dass du mich vor dem Idioten so verteidigt hast. Hab ich vorhin bloß so lasch gesagt, aber ich mein es ehrlich, danke. Bist du ganz alleine und noch immer hier?"
"Na ja, ich bin gerade erst nach Berlin gezogen", antwortete der Südländer schüchtern.
"Und du kennst niemanden", lachte Mara wissend. "Ich bin Mara." Sie streckte ihm die Hand entgegen und er schüttelte sie. Von seinem Griff fielen ihr beinah die Finger ab.
"Leo. Ich wollte schon vorhin fragen, ob du vielleicht jemanden kennst, der sich mit mir abgeben würde."
Mara ging nicht darauf ein. "Mit dir würde ich mich auch nicht prügeln wollen", musterte sie seine breiten Schultern.
Maurice hatte seine Freundin nach einem Rundumblick gefunden. Wer ist das? Er schlenderte gemütlich auf die beiden zu.
Prüfend drückte er Mara einen Kuss auf die Wange, aber der Typ zeigte keine nennenswerten Reaktionen.
"Maurice, das ist Leo. Leo, das ist Maurice", stellte Mara sie einander vor.
"Hey, na", grüßte Maxim.
"Hi", erwiderte Leo. "Ich such nur Anschluss. Bin gerade hergezogen", beruhigte er Maurice, weil er ahnte, dass der skeptisch war.
Maurice nickte. Es änderte nicht viel an seiner Skepsis.
"Du, ich schreib dir meine Nummer auf." Mara streckte ihre Hand aus und Leo hielt ihr sein Handy entgegen. Schnell tippte sie die Zahlen ein und gab es ihm zurück. "Wenn du Bock und Zeit hast, ruf an. Dann kann ich dir ein paar Leute vorstellen."
"Das wär cool, danke."
"Bin ich dir schuldig. Bye."
Sie hakte sich bei Maurice unter. Als sie ein Stück gegangen waren fragte er: "Wieso bist du ihm etwas schuldig?"
Mara verdrehte die Augen. "Er hat Nick verjagt."
"Wann?"
"Als ich hier gesprayt habe, da ist er aufgetaucht."
"Mara, ich glaube, dein Ex ist gefährlich. Du hattest unbeschreibliches Glück."
"Nick würde mir nie ernsthaft etwas tun", ruderte sie zurück.
"Wie sicher bist du dir? Er ist doch schon zum zweiten Mal am exakt selben Ort gewesen, an dem du auch warst. Wenn man die Einweihungsparty mitzählt sogar dreimal." Maurice machte sich Sorgen. Natürlich wollte er nicht auf ihr hängen, aber was, wenn ihr irgendwas passierte, weil niemand da war, der Nick stoppen könnte?
"Von der Einweihungsparty hat er durch Chloe erfahren."
"Toll, dann sollte die mal ihre Klappe halten", knurrte er wütend.
"Maurice." Sie blieb stehen und zog ihn in eine Umarmung. "Ich bin hier und Nick ist es nicht. Und ich fände es wirklich schön, wenn wir einfach nach Hause fahren, was zu essen bestellen und den Abend genießen könnten."
Sie küsste ihn auf die Stirn und auf die Mundwinkel.
Er war so unendlich müde und sein Hirn hatte die Sorge um Mara so satt. Sie war achtzehn, aber sie war erwachsen. Er musste nicht ihren Babysitter spielen.
"Wenn du nicht aufisst, was du dir bestellst, stopf ich's dir rein", drohte er nuschelnd, seine Lippen an ihrem Hals.
"Das kitzelt", beschwerte sie sich kichernd.
"Was? Das?", murmelte er und verharrte in der Position.
Sie schob ihn lachend weg. "Du Trottel."
"Dein Trottel."
"Sei nicht so kitschig."
"Na gut."
Gegen dieses Paradies, dass er in ihr fand, war die Tour eine Höllenfahrt gewesen.
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Blau wie wir
RomanceMara war anders. Er mochte sie eben. Ihre weizenblonden Haare, wenn sie um sie wogten, ihre haselnussfarbenen Augen, die Stupsnase und ihr Lachen, wie das Klingeln feiner Glöckchen, das der Wind hervorkitzelte ... Maurice war anders. Sie mochte ihn...