"Danke Berlin!", rief Tarik laut, doch da war Maurice schon von der Bühne verschwunden.
In einem Tempo, das er sich selbst nie zugetraut hätte, tauschte er seine Uniform gegen ein alltagstauglicheres Outfit. Weißes T-Shirt, graue Jeans, Nikes, nichts Besonderes.
"Alter, willst du nicht mal mehr auf den Tourabschluss mit uns anstoßen?", fragte Niko verblüfft.
Maurice verneinte, griff nach seiner Tasche und verabschiedete sich knapp von der Band.
"Was ist denn mit dem los?", warf Tarik in den Raum.
"Der Kleinen geht's nicht gut", antwortete Niko und ignorierte die neugierigen Stielaugen, aus denen ihn die anderen anstarrten. Er konnte ihnen nicht erzählen, was Maurice ihm anvertraut hatte ...
Er fand sie rauchend an die Tür hinter der Edda lag gelehnt.
Maurice stemmte seine Hände links und rechts von Mara gegen die Wand.
Sie blies den Rauch in sein Gesicht.
Er hustete unvorbereitet und der intensive Moment zerplatzte wie eine Seifenblase.
Ein Lachen kroch Maras Kehle herauf. Ein sehr ungewohntes Gefühl nach einem Monat, das sie da spürte.
"Ich glaub es nicht, das hier ist ein Krankenhaus, machen Sie die Zigarette aus!", empörte sich ein Mann um die Dreißig.
Maurice baute sich ziemlich nah vor dem Typen auf. "Sonst was?", fragte er bedrohlich.
"Schwester!", rief der Kerl. Mara musste über den panischen Unterton in seiner Stimme kichern und ersetzte den Unbekannten in Gedanken mit Nick. Noch lustiger. Der hatte es gehasst, wenn sie sich eine Kippe ansteckte.
"Schatz, lässt du bitte die anderen Besucher in Frieden", bat Gabrielle Maurice. Das Funkeln der Freude in ihren Augen erkannte nur ihr Sohn. Er würde sie später umarmen, ihr von der Tour erzählen und davon, wie stolz sie auf ihn sein konnte.
Maurice trat demonstrativ einen Schritt zurück.
"Sie soll die Zigarette ausmachen!", wiederholte der Idiot seine Beschwerde. Ähnlichkeit mit Leons Kleinkindverhalten hatte das schon und wieder musste Mara lachen.
Maurice hatte diese klingelnde Musik mehr vermisst, als alles andere.
Ergeben drückte sie die Kippe auf ihrer Handfläche aus. Erst dadurch bemerkte Maurice die Narben an ihren Unterarmen. Die Schnitte, die feine silberne Linien gewesen waren, seit er sie kennengelernt hatte, waren nun rötlich verfärbt und vor seinem geistigen Auge sah er, wie das Blut an ihnen herabperlte.
Mara entging sein Schock natürlich nicht. Schnell zog sie die Ärmel ihres schwarzen Basic-Shirts herunter.
Sie stahl sich in Zimmer 103. Maurice folgte ihr an Eddas Bett. Es würde einen besseren Zeitpunkt geben, um sie auf die Schrammen und Kratzer anzusprechen.
"Hallo", sagte Maras jüngere Schwester schwach.
Maurice lächelte sie an. "Na, Häschen", missbrauchte er Maras Spitznamen für sie und grinste noch breiter als ihre Wangen die Farbe reifer Pfirsiche annahmen, was sie sofort gesünder aussehen und Mara ein bisschen ähnlicher wirken ließ. Eine Familie bleibt eine Famile, dachte er.
"Ich will schlafen", beschloss Edda und berührte mit den Fingerspitzen Maras Hand. Sie wollte niemandem zur Last fallen und weil das nicht möglich war, wollte sie wenigstens niemanden in seinem Treiben stören. "Du doch auch, spätestens jetzt", fügte sie noch mit einem Seitenblick auf Maurice hinzu.
Mara küsste ihre Schwester auf die Stirn. Eine Geste, die sich zuletzt eingebürgert hatte. "Bis morgen, Häschen."
"Bis dann." Edda schloss die Augen und drehte sich zu Seite ...
"Nein." Sie zog Maurice von der Straßenbahnhaltestelle zur U-Bahnstation. "Ich war bei dir in den letzten zwei Wochen und mein ganzes Zeug ist noch da."
"Warum?"
"Carol wollte reden."
"Du aber nicht."
"Nein."
"War keine Frage."
Mara musterte Maurice' Profil.
"Bist du sauer?"
"Nein."
"Ich hab aber mit Kurt geredet."
"Worüber?"
Mara wurde rot.
"Aha", grinste er anzüglich.
Sie boxte ihn leicht. "Wir haben über dich geredet."
Natürlich nicht über ihre Probleme.
Er küsste sie auf die Wange. Da war so viel nachzuholen. Er hielt sie fest und sie blieben stehen und küssten sich einfach minutenlang. Ein genervtes Schnauben hier und da, von denen, die sie zu spät sahen und anrempelten ...
Endlich gehörte sie wieder ihm. Endlich besaß Maurice wieder jeden Zentimeter von Mara.
Sie schlang gierig beide Arme und Beine um seinen Körper wie ein Äffchen und ließ sich ins Schlafzimmer tragen. Alles in und an ihr hatte Maurice vermisst, durch ihre Adern schoss das Adrenalin. Ihre Oberteile lagen schon im Flur, die restlichen Klamotten schmückten den Teppich ums Bett herum. Fehlte noch die Unterwäsche.
"Du warst so weit weg", sagte sie und presste ihr Becken noch stärker gegen seinen Unterleib.
"Sei still", befahl Maurice leise. Ihr BH glitt zwischen seine Finger und er schüttelte ihn ab. Ihr hohes Seufzen machte ihn wahnsinnig.
Endlich gehörte er wieder ihr. Endlich war Maurice wieder ein Teil von ihr.
Mara fand ihn noch immer wunderschön. Seine blauen Augen zogen sie in ihren Bann.
So viel Attraktivität gehört verboten, dachte sie.
Sie entfernte schleunigst seine Boxershorts. Ihr Stöhnen als er eindrang raubte Maurice den Verstand. Maras Hände kratzten seinen Rücken auf, aber das machte ihn nur geiler, musste er zugeben.
Mehrmals ermahnte sie sich nicht zu betteln. Er wollte das nicht. Trotzdem war es schwerer als erwartet.
Die Küsse, mit denen er sie wieder und wieder dazwischen belohnte, waren leidenschaftlicher als sie es erfassen konnte.
Sein Stoßen wurde langsamer, als er bemerkte, wie nah sie ihrem Höhepunkt war.
Er sah die Qual darüber in ihrem Gesicht. Sie biss sich gepeinigt auf die Unterlippe; hielt den Mund, wie er es gewollt hatte. Ein Blutstropfen formte sich, dort wo ihre Zähne zu großen Druck aufbauten.
Davon alarmiert, stieß er noch dreimal fest zu. Es reichte aus und entlockte ihr jedes Mal einen winzigen Aufschrei, beim letzten den lautesten.
Vorsichtig schaffte er das benutzte Kondom beiseite und beobachtete, wie Mara sich zu einer Kugel zusammenrollte und die Decke über sich zog.
Maurice legte sich zu ihr, sodass er ihr in die strahlenden Augen schauen konnte. Er betastete ihr Schlüsselbein, das deutlich hervortrat, schlug die Decke zurück und betrachtete ihre ganze Figur. Die Rippen traten hervor und auch die Beckenknochen waren deutlich auszumachen. Dazu kamen die Schnitte an ihren Armen. Sie sah nicht gesund aus. Ihre sonst so weiche Haut fühlt sich an manchen Stellen wie Schmirgelpapier an.
"Du isst nicht richtig", stellte er fest.
Mara wich seinem Blick aus.
"Tu dir bitte nicht mehr weh", flehte er, küsste sie auf die Wange.
"Ich ... Ich kann nicht." Ihre Stimme klang fremd. Es war die Stimme einer alten Frau auf dem Sterbebett.
Mara schloss die Augen und zum allerersten Mal seit Maurice weg gewesen war, hüllte der Schlaf sie sofort in sein schützendes Tuch aus Traum.
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Blau wie wir
RomanceMara war anders. Er mochte sie eben. Ihre weizenblonden Haare, wenn sie um sie wogten, ihre haselnussfarbenen Augen, die Stupsnase und ihr Lachen, wie das Klingeln feiner Glöckchen, das der Wind hervorkitzelte ... Maurice war anders. Sie mochte ihn...