13. Kapitel

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"Schließt die Philharmonie nicht irgendwann?", fragte Maurice. Der Sonnenuntergang war vorbei, so lange hatten sie hier gesessen.
"Für mich nicht. Ich hab diese Mitgliederkarte", sagte Mara. Sie setzte sich auf und küsste ihn.
"So langsam wünschte ich, ich müsste meine Ausbildung nicht schon nächste Woche antreten."
"Was willst du denn in der Zwischenzeit mit mir anstellen?", fragte er.
"Mir fällt schon was ein", lächelte sie und er glaubte ihr. Sie musste nie sonderlich viel tun, damit er bei ihr blieb, weil sie einfach interessanter war als andere Mädchen.
Sein Handy vibrierte und unterbrach ihren Kuss. Mit rollenden Augen sah er nach, wer geschrieben hatte:

Bastian (Kokainklan) K.: Party. Bei mir. Jetzt.

Maurice wollte Mara spielen hören, aber er fand, sie schien nicht unbedingt heiß darauf. Außerdem war er in Feierlaune und da die Zwei mittlerweile exklusiv waren, sollte er seine Band endlich einweihen. "Hast du Lust, ein bisschen feiern zu gehen?"
"Immer. Ich bin achtzehn, schon vergessen?", triezte sie ihn. Erlächelte schief; langsam konnte er ihr Necken von der humoristischen Seite sehen. Da sie Fangirl war, wollte er wissen: "Kennst du den Kokainklan? Bastian schmeißt eine Party."
"Die, die ihre Fans Pisse saufen lassen? Ja, sind mir ein Begriff."
"Die perfekte Gelegenheit, dich all meinen Freunden vorzustellen."
Mara war sich ausnahmsweise nicht sicher wie ernst er das meinte, was er bemerkte. "Keine Sorge, die werden nett sein", interpretierte er.
Mara sah ein, dass es irgendwann auf die eine oder andere Art dazu gekommen wäre. Also teilte sie ihm nur mit: "Auf Partys lernt man Leute immer zuerst von ihrer, sagen wir, versteckten Seite kennen."
"Ist nicht zwingend die schlechteste Seite", erwiderte Maurice.
"Ist auch nicht zwingend die sonderbare Seite."
"Oder die gute Seite."
"Oder die nervige Seite."
"Oder die Hurensohn-Seite."
"Wir können weitere Seiten suchen oder aufbrechen."
"Oder die depressive - warte, was?"
Mara lachte und stand auf. "Gibt's irgendeinen Dresscode?"
Sie sah umwerfend aus in ihrem ausgeleierten, gepunkteten Hoodie, den Hotpants und nicht zugeschnürten Doc Martens aus schwarzem Lack. Ihre Haare waren wirr verknotet, der dunkle Nagellack abgesplittert, aber es passte ins Gesamtbild.
"Schäbig", sagte er. "Hast du erfüllt."
Sie hob den Mittelfinger, stolzierte vom Dach und sperrte Maurice aus.
Er trommelte gegen die Scheibe wie ein wildes Tier, sie streckte ihm die Zunge raus.

Es war Mitternacht, als sie bei Bastian eintrafen.
Der Gastgeber hatte zwar die Tür geöffnet, war aber sofort wieder in der tanzenden Masse verschwunden.
Direkt am Eingang machte Mara einen großen Schritt über, einen Kerl hinweg, den sie als Stean vom Kokainklan identifizieren konnte. Auf ihm lag eine schlanke kleine Blondine mit riesigen falschen Wimpern und verwischtem roten Lippenstift. Unter dem Make Up lag natürliche Schönheit, Mara hatte einen Blick dafür; nicht unbedingt ihr Geschmack und trotzdem, jeder durfte machen, was er wollte.
"Na, Stean", sagte Maurice im Vorbeigehen, erhielt aber keine Reaktion.
"Maurice", rief eine altbekannte Stimme.
Tarik nahm am Trinkspiel teil. Er tat solche Dinge nur selten. Heute hatte er Lust dazu. Als er Mara erblickte, war er überrascht. Er hätte wer weiß was darauf verwettet, dass Maurice sie abschießen würde.
"Echtes Mäuschen", lehnte sich Bastian zu ihm. "Kennst du sie?"
"Die war vor zwei Wochen zum Tourabschluss auf dem Konzert. Er hat sie abgeschleppt", klärte Tarik ihn auf.
"Vor zwei Wochen?" Bastian musterte Mara ungläubig.
"Na." Maurice ließ sich neben Tarik nieder und klopfte auf seine Oberschenkel.
Mara verschränkte die Arme vor der Brust und nahm seine Einladung an.
"Hallo", murmelte Tarik.
"Hallo", antwortete Mara und kam sich ein bisschen blöd dabei vor, weshalb sie den Blick senkte. Eigentlich wäre sie lieber weiter alleine mit Maurice gewesen, gestand sie sich ein.
"Spielt ihr mit?", fragte eine in ihren Augen wunderschöne Frau, deren braune, glatte Haare über ihre Schultern auf das fließende, grüne Samtkleid fielen.
"Ich verzichte", sagte Mara.
"Lass stecken, Aleks", schloss sich Maurice an.
Aleks zuckte die Schultern und sank in den Schatten und die Arme des Mannes, hinter dem Mara Raptoah vermutete.
Wenn sie sich unauffällig umsah, war sie fast ausschließlich von Rappern umgeben.
"Willst du was trinken?", fragte Maurice.
Sie ging nah an sein Ohr. "Lass mich hier bitte nicht allein", flüsterte sie.
Er machte sich Sorgen. Was, wenn ihr das hier alles zu viel war?
"Frische Luft?", fragte er genauso leise zurück und sie nickte energisch.
Auf dem Balkon lehnte sich Mara über die Brüstung. Der Wind tat ihr gut. Drinnen war es stickig und viel zu warm.
"Ich unterstelle dir einfach mal, dass du mit der Situation überfordert bist", sagte Maurice und umarmte sie von hinten.
"Absolut."
Er küsste sie am Hals. "Ich übergebe dich an Aleks und hol was zu trinken. Bis ich wieder da bin hast du eine Menge neue Freunde gefunden."
Mara lächelte.
"Niko, bringst du Mara zu Aleks? Die sitzt beim Trinkspiel", fragte er seinen rauchenden Bandkollegen. Klar hätte er sie selbst begleiten können, aber er wollte, dass sie Kontakt zu seinen Freunden aufbaute. Dazu musste er ihre Bitte von vorhin ignorieren.
"Yo, komm mit", winkte Niko und Mara folgte ihm. So schlecht istes hier drin ja dann doch nicht, dachte sie, umhüllt von süßlichem Grasgeruch.
"Ihr seid zusammen?", fragte Niko, als sie gemeinsam eintraten.
"Ja."
"Glückwunsch."
"Danke", grinste sie.
"Lara. Richtig?", fragte er.
"Mara", korrigierte sie.
"Sorry."
"Schon okay, drei von vier Buchstaben ist 'ne gute Bilanz", lachte sie.
"Aleks?", fragte er in die Runde.
"Niko?", fragte Aleks lächelnd zurück.
"Passt du auf sie auf", bat er sie und zeigte dabei auf Mara. "Das ist Mara, Maurice' Freundin; Mara, das ist Aleks, Luks Freundin." Raptoah winkte, während Aleks beiseite rutschte, damit Mara sich setzen konnte.
"Hi, wie geht's?", fragte Aleks.
"Ganz gut und selbst?"
"Prima-Ballerina. Sicher, dass du nicht mitspielen willst?"
"Ganz sicher."
"Okidoki ... Du musst die Reime entschuldigen, das macht der Alkohol", grinste Aleks.
Maurice beobachtete das Szenario aus sicherer Entfernung und unterhielt sich mit Ivo.
"Wirst du noch sesshaft auf deine alten Tage?", lachte der.
"Ich war noch nie glücklicher."
"Liebe, Maurice, Liebe", meinte der Pfaffe, wie er sich selbstnannte, tiefgründig und hielt sich an seiner Schulter fest.
"Und Liebe braucht Bier", wandte sich Maurice aus seinem Griff.
"Die Weisheit des Tages", rief Ivo lachend.
"Es gibt jede Menge Auswahl." Maurice stellte die Flasche vor seiner Freundin ab.
"Danke." Sie schenkte ihm ein besonders warmes Lächeln. Er hatte darauf spekuliert, dass sie Hochprozentiges ablehnen würde und offenbar Recht behalten.
"Maurice, hast du auch echt gar keinen Bock mitzumachen?", versuchte Aleks ihn zu animieren.
"Nein, ist viel lustiger so mit zuschauen."
"Pussy", forderte ihn Bastian heraus.
"Soll ich meinen Schwanz rausholen?", fragte Maurice grinsend und Bastian lachte.
"Wie sind denn hier die Regeln?", fragte Mara Aleks leise.
"Wir spielen eine Variation von Flaschendrehen. Zeigt die Flasche auf dich, trinkst du drei Shots hintereinander. Wenn du das nicht schaffst, stellt dir jemand eine Aufgabe und wenn du die nicht schaffst, legst du ein Kleidungsstück ab", erklärte sie.
Mara gestikulierte komisch, was Aleks zum Lachen brachte.
"Legt los", lachte Mara. Gut, dass sie sich darauf nicht eingelassen hatte. Ihre Unterwäsche nicht mit eingerechnet, trug sie gerade mal vier Kleidungsstücke und drei Shots auf einmal würden sie umhauen. Trinkfest war sie nicht wirklich.
Aleks drehte die Flasche. Sie traf ihren Freund, der die drei Shots aber ohne mit der Wimper zu zucken runterkippte.
Sein Dreh wies auf Tarik, der am dritten Shot scheiterte. Er hatte schon zu viel intus und erbrach sich in den extra zu diesem Zweck bereit gestellten Eimer.
Maurice belächelte ihn. "Ich würde dir dein Haar zurückhalten, wenn das von Nöten wäre", sagte er und warf seinem Kumpel eine Kusshand zu.
Die Atmosphäre war rau und derbe. Mara fühlte sich auf Anhieb wohl.

Blau wie wirWo Geschichten leben. Entdecke jetzt