25. Kapitel

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Maurice wurde Maras Abwesenheit schnell überdrüssig. Wie war das bloß alles passiert, in so kurzer Zeit? Verdammt, die Uhr tickte. Er wollte raus aus seiner Wohnung, denn sie erschien ihm viel zu groß, wenn Mara nicht da war, um sie mit Leben zu füllen.
"Du glaubst nicht, wer mich auf dem Flohmarkt angesprochen hat."
Maurice erschrak. "Schleich doch hier nicht so herum." Er hatte ihr einen Schlüssel machen lassen.
Sie lachte ihn aus und erzählte von ihrer Begegnung mit Nick. "Ich frag mich, ob ich überhaupt besser bin als er", murmelte sie.
"Bist du. Schon mal jemanden geschlagen, der's nicht verdient hat?"
"Wer darf denn entscheiden, ob er's verdient hat?"
"Jeder lebt sein Leben. Philian zum Beispiel. Er ist ein ausgemachtes Arschloch aus freien Stücken. Die entscheiden doch alle selbst, was sie verdienen. Nur weil andere nicht den Mut aufbringen, diesen Leuten eine runterzuhauen ..."
"Würdest du?"
"Ja."
Mara lag halb auf ihm. Sie schaute aus dem Fenster und fühlte sich gut. Maurice' reine Nähe war wie Balsam für ihre Seele.
Er streichelte ihre Wange. So trostspendend kannte er sich nicht, aber es musste irgendwo in ihm verborgen gelegen haben ...
Mara erhielt am Abend, sie waren wieder zu ihr gefahren, weil ihr Anziehsachen fehlten, eine Nachricht von Carol:


Carolin B.: Jetzt haben wir zum zweiten Mal miteinander geschlafen, nüchtern, aber wirklich regen tut sich da nichts bei mir.
Mara P.: Verarbeite das erstmal und triff keine voreiligen Entscheidungen.
Carolin B.: Leichter gesagt als getan.


In diesem Moment wurde Mara klar, dass es ein wahnsinniger Vorteil war, wie unkompliziert sie mit Maurice zusammengekommen war.
Liebe auf den ersten Blick? - Nein. Sie hatte ihn schon so oft auf Konzerten gesehen, vor dem, an dem sie ihn angesprochen hatte.
Über die Zeit, die sie miteinander verbracht hatten ...? - Ja, das käme eher hin. Er, die Schale Cornflakes in der Hand, nach der Einweihungsparty am nächsten Morgen - Das Bild würde sie niemals vergessen.
"Interessante Denkerpose", lachte er, als er sie auf ihrem Schreibtisch im Schneidersitz vorfand.
"Von hier oben hat man einen besseren Überblick", verteidigte sie sich.
Er stellte sich vor sie und maß mit der flachen Hand den Höhenunterschied zwischen ihnen. Fast ein halber Kopf.
"Das ist dein oben?" Er hob sie hoch und setzte sie auf seine Schultern.
"Nein, das ist mein oben. Hier ist es perfekt, ab jetzt klettere ich immer auf dich, wenn ich nachdenken will", lachte sie fröhlich.
Sie betrachtete das Bild von Maurice und ihr an der Wand. Aleks hatte eingefangen, wie sie auf der Party seinen Schoß erobert hatte und mit neugierigen, großen Augen das Trinkspiel unter die Lupe nahm. Der abgebildete Maurice knabberte frech an ihrem Ohr. Es war eine Zeichnung, wie man sie ohne weiteres als Werbung für Partnerbörsen hätte schalten können.
Es klingelte, aber Maurice ließ Mara nicht runter.
Er öffnete Jeanne die Tür, die ein paar Sekunden lang völlig verdutzt dreinschaute. Der große Mann, der ihre Freundin trug, kam ihr bekannt vor; sie wusste, sie hatte ihn schon mal gesehen.
"Äh ... Wir feiern morgen hölzernes Bestehen, Marsea, nur dass du's weißt." Sie trat schon wieder einen Schritt zurück, da krachte es laut.
"Scheiße, hast du dir wehgetan?" Der Typ war von der einen Sekunde auf die andere total panisch.
"Autsch", schmollte Mara. Mit Maurice' und Jeannes Hilfe ließ sie sich aufrichten.
"Steißbein geprellt und nicht nur so 'n bisschen", grummelte sie.
"Brauchst du Eis oder so?", fragte Maurice besorgt.
"Bitte."
Der Mann verschwand ins Innere der Wohnung. Woher kannte Jeanne ihn bloß? Aber je angestrengter und schärfer sie darüber nachdachte, desto verschwommener wurden ihre Erinnerungen.
"Dachtest du, ich hätte unser Jubiläum verschwitzt?", riss Mara sie grinsend aus ihren Gedanken.
"Nein", erwiderte Jeanne. "Ich wollte nur nochmal den Reminder spielen. Du musst was zu essen mitbringen; weißt du, ja?"
"Ich mach noch Lasagne heute, da bleibt was übrig", beruhigte sie sie.
"Und er?" Jeanne fragte sich, ob der Unbekannte eine Kochphobie hatte. Das wäre allerhand und ein dicker, fetter Minuspunkt.
"Sein Vorschlag. Er muss Gemüse schneiden, ich schichte nur", lächelte Mara.
"Fünf Jahre sind 'ne ganz schöne Zeit, was?", lenkte Jeanne das Thema zurück.
"Komm erstmal rein, es gibt Kaffee, Bier, Wasser und irgendwo gammelt auch noch ein Tetrapack Orangensaft vor sich hin."
Jeanne folgte ihr.
Maurice, der das Eis zum kühlen der Prellung vorbereitet hatte, blockierte die winzige Küche.
"Gibst du zwei Flaschen Bier raus, bitte?", bat Mara ihn.
Er tat wie ihm geheißen und legte das Eis gleich mit in ihre Hände.
"Danke."
"Wer bist du?", fragte Jeanne endlich.
"Maurice, ihr Freund, angenehm", stellte er sich vor. Bei seinem Namen zuckte ein Blitz der Erkenntnis durch ihr Hirn, aber sie konnte ihn nicht festhalten.
Sie weiß, wer ich bin, dachte Maurice.
Mara entging nicht, dass seine Anwesenheit Jeanne verwirrte.
"Jeanne. Ich leite Maras Kollektiv", fing sich ihre Bekannte.
"Die berühmt berüchtigte JeanneCoke", grübelte Maurice. "Stammt der Zusatz Coke von Kokain?"
Jeanne lachte. "Eigentlich von meinem Lieblingsgetränk, Coca Cola, zu Englisch Coke, aber die Doppeldeutigkeit ist beabsichtigt."
"Hab ich leider nicht da, die Cola", entschuldigte sich Mara.
"Wie kann man Cola nicht mögen? Gib es zu, du kommst doch von deinem eigenen Planeten."
Darauf stand Sinan also. Eloquenz. Maurice musste zugeben, dass sie auch optisch ansprechend war. Er fand sie nicht annähernd so hübsch wie Mara, aber andere mit dieser zu vergleichen fand er ausnahmslos unfair ...
"Tourstart ist in drei Wochen." Es hatte ihn viel Überwindung gekostet, diese fünf Worte über die Lippen zu bringen und in Maras Gesichtsausdruck sah er auch sofort weshalb. Ein trauriger Schleier legte sich über das goldige Braun ihrer ausdrucksstarken Augen.
"Wie lange?", fragte sie.
"Anderthalb Monate. Dann ist Pause und dann nochmal einen Monat."
Sie rückte näher an ihn heran. Wie soll ich das denn aushalten?, dachte sie.
"Willst du mitkommen?", bot er ihr vorsichtig an.
"Auf keinen Fall, ich befinde mich in der Ausbildung, bis ich das erste Mal Urlaub genehmigt bekomme, muss ich noch Minimum einen Monat arbeiten."
"Wieso so vorbildlich? Keine Lust, die Regeln zu brechen?", spottete er liebevoll.
"Keine Lust, meinen Ausbildungsplatz zu verlieren. Aus wessen Tasche soll ich leben? Deiner? Vergiss es, Maurice."
Er legte beide Arme um ihre Taille und sie küsste seinen Adamsapfel.
"Können wir einen Film schauen?", sagte sie.
Und sie begannen tatsächlich, aber es endete damit, dass Maurice' Hand unter ihren Pullover wanderte und ihre seinen Hosenstall auf pfriemelte.
Ist auch 'ne Art Probleme zu lösen, dachten sie beide ...

Blau wie wirWo Geschichten leben. Entdecke jetzt