5. Kapitel

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Maurice' gute Laune verpuffte schnell nachdem Mara fort war. Der Schlafmangel machte sich bemerkbar und er wurde heiser. Das war nichts Neues für ihn; es ging ihm häufig so nach Konzerten, aber er wurde den Verdacht nicht los, dass Mara diesen Zustand in Waage gehalten hatte als sie noch da gewesen war. Er bekam sie nicht aus dem Kopf. Während er von Kurts WG nach Hause lief, bildete er sich ihr Lachen ein und Eifersucht keimte in ihm auf; auf denjenigen, der sich mit ihr traf. War es ein Mann?

Maras Mutter stellte ihr Fragen auf Englisch und gab ihr Gesprächsthemen vor, die sie mit ihrer kleinen Schwester diskutierte. Die Sprache hatte ihr nie Probleme bereitet, aber Mara war abwesend und ihre Familie bemerkte es.
"Mara, what's wrong?", fragte ihre Mutter schließlich.
Auf ihre Aufgabe fixiert antwortete Mara: "There is this guy I met last night and I probably fell in love with him, which would turn out as a catastrophe because he's a musician famous all over Germany, so I can't assume our relationship would ever stand a chance."
"Wirst du ihn wiedersehen?", fragte ihre Mutter und Mara schreckte aus ihrer Trance auf.
"Wer ist es?", hakte ihre Schwester neugierig nach.
Mara stand auf. "Ich will nicht darüber reden", sagte sie geknickt und schlich in ihr Zimmer. Konnte man innerhalb weniger Stunden so abhängig von einem Menschen werden, dass man sich ganz krank fühlte, wenn er nicht bei einem war?
Ihr Handy klingelte. Privat, stand da. "Hallo?"
Maurice war verwundert, dass sie abnahm. "Hey", brachte er hervor.
"Maurice?" Unmöglich, dachte sie.
"Ja."
"Hi."
"Hi ... Tut mir leid, ich bin schlecht in Smalltalk." Sie lachte. Maurice Armhärchen stellten sich auf.
"Ich bin schlecht im telefonieren", sagte sie.
"Mehr Gemeinsamkeiten."
"Ich dachte, du würdest diese ungeschriebene Regel befolgen und nicht vor nächster Woche anrufen. Nicht, dass du denkst, dass ich mich das nicht freuen würde oder so, im Gegenteil."
"Ich breche ganz gerne Regeln", sagte Maurice erleichtert. Genau das war seine Angst gewesen: Dass sie ihn für anhänglich halten würde. Er konnte nur interpretieren, dass es nicht so war.
"Können wir das bitte beenden, also das Telefongespräch? Das ist irgendwie ... awkwark. Mir fällt gerade das deutsche Wort nicht ein", sagte Mara.
"Seltsam?"
"Ja, genau das." Gott, ist das peinlich, dachte sie.
"Ist echt seltsam, also zu telefonieren. Wenn du noch Bock hast zu reden, können wir uns ja treffen?" Bitte, verdammt, lass diesen Anruf keinen Fehler gewesen sein, dachte er.
"Wo?" Maras Herz hüpfte.
"Görlitzer Park?" Das war quasi direkt vor seiner Haustür.
"Dauert ein paar Minuten, weil ich in Jogginghose chille und darin gehe ich nicht raus." Was dachte er jetzt von ihr? Dass sie zu viel Wert auf ihr Aussehen legte, eitel war? Scheiße, wieso konnte sie nicht einmal was Richtiges sagen?
"In einer Stunde?", fragte er vorsichtig.
"Ja", antwortete sie hastig. Das war mehr als genug Zeit. Sie brauchte zehn Minuten zu Fuß von hier zum Park.
"Bis dann." Er legte schnell auf. Wie sollte er sich jetzt beschäftigen? Er griff nach einem Buch, konnte sich aber nicht konzentrieren, sodass er irgendwann einfach auf seinem Bett hockte und Däumchen drehte.

Als er am Haupteingang des Parks ankam, war sie schon da.
"Wartest du schon lange?", fragte er.
Mara fuhr sich mit der linken Hand durchs Haar. Ihre Nägel waren unlackiert und kurz, aber gepflegt und ihre Finger waren mit Ringen besetzt.
"Nein, also schon. Ich wohne nicht so weit weg von hier und war früher fertig."
"Cool, wo genau wohnst du denn?"
"Kannst ja später mitkommen, dann zeig ich's dir", grinste sie.
"Gehen wir ein Stück?", bot Maurice ihr an.
Mara trug ein weißes Top mit Knopfleiste, die nicht zu viel, aber auch nicht zu wenig von ihrem Dekolleté preisgab. Dazu eine weite, babyblaue Hose aus leichtem, hochwertigem Stoff und graue Vans. Er fand, sie wirkte entspannt; ihre offenen Haare hatten Naturwellen und fingen das Sonnenlicht ein. Geschminkt war sie wie gestern. Gloss, Wimperntusche, Rouge. Es stand ihr, sie wirkte frisch und die Tatsache, dass er ihre Schminke auch schon in verschmiertem Zustand hatte sehen dürfen, erfüllte ihn mit Stolz. Maurice bildete sich ein, es wäre intim; etwas das nur er von ihr kannte, obwohl er wusste, dass das Quatsch war. Carol hatte sie genauso gesehen, vielleicht auch Livo.
"Gerne." Mara hakte sich bei ihm ein.
Sollte sie es ihm jetzt sagen? Wie vertraut er ihr war ... Bis auf das Geheimnisvolle, dass immer noch um ihn waberte und ihn attraktiver machte als jeden anderen. Sie traute sich nicht. "Weshalb hast du angerufen? Ich meine, wir waren heute Morgen noch in der WG und ich dachte, ich wäre dir egal", sagte sie stattdessen.
"Ich mag es, wenn du in meiner Nähe bist", erwiderte Maurice ehrlich. "Du bist harmoniefördernd und ausgleichend." Er verzog keine Miene.
"Du klingst wie jede zweite Diätwerbung." Maras Mundwinkel zuckten nicht mal. Heiß, dachte er. "Oder nach Yoga, das wird auch immer mit Wörtern wie harmoniefördernd und ausgleichend angepriesen", setzte sie unbewusst hinterher.
"Das sollte ein Kompliment sein, jetzt klingt es, als hätte ich dich beleidigt", lachte Maurice.
Lächelnd schüttelte sie den Kopf. "Dieser Park wird von den Medien so verpönt. Ich finde ihn prima." Sie schaute Bäume und Wiesen an als wären sie etwas, dass sie zum allerersten Mal sah. Auch Maurice schaute sie so an, mit unbändigem Interesse und ausnahmsloser Neugierde.
"Gilt nicht nur für den Park. Der ganze Bezirk wird verteufelt", klinkte er sich ein. "Und du bist mir nicht egal."
"Das lässt du so im Raum stehen?"
"Ja."
Mara musterte Maurice.
Er lächelte sie an und startete das Blickduell.
"Okay", lachte er nach fast zwei Minuten. "Du hast gewonnen."
"Männer und ihr Konkurrenzdenken. Und Frauen und ihr fehlendes", fügte sie hinzu.
"Wenn jemand die Welt nicht verstanden hat, dann sind das du und ich", phrasierte Maurice.
"Wir haben die Welt verstanden, die anderen nur nicht. Denken Sie groß, mein Herr", sagte sie.
"Wir sind die zwei Seiten der Medaille. Beide absolut identisch", alberte er weiter.
"Aha", sagte sie. "Ich habe Hunger. Komm mit, Piggeldy."
"Ich folge dir, Frederick."

Blau wie wirWo Geschichten leben. Entdecke jetzt